τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Freitag, 4. April 2014

In der Metaphysik lesen (1006a 12 – 1006a 19)


Der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch ist zwar nicht direkt beweisbar, wohl aber indirekt, nämlich „elenktisch“: dem das Gegenteil behauptenden Gesprächspartner wird gezeigt, daß er sich selber widerspricht. Das Beweisverfahren ist also insofern tautologisch, als die gegnerische These vom nicht-ausgeschlossenen Widerspruch als Selbstwiderspruch „vorgeführt“ und disqualifiziert wird. Es wird dem Gegenredner gezeigt, daß seine Gegenrede darauf hinausläuft, „überhaupt nichts zu sagen“ – obwohl er ja redet. Und da greift der Physiker (Naturphilosoph) Aristoteles zu einem drastischen Vergleich, indem er den Gegenredner mit Wesen gleichsetzt, die schon deswegen nichts sagen, weil sie überhaupt nicht reden: das sind die Pflanzen. Er hätte ihn auch mit einem solchen Tier gleichsetzen können, das offensichtlich – ich meine offenhörlich – redet: dem aber die logos-Beiziehung fehlt, welche das Reden zu einem Sagen macht.[1]

Mit seinem Sprung zwei Stufen unter das menschliche Niveau behauptet Aristoteles implizit, daß die Pflanzen überhaupt nicht reden oder (akustisch) signalisieren.

Er spricht ja den Pflanzen eine Seele zu, die aber nur die „Ernährung“ zustandebringt: Verwandlung von vorhandenen Stoffen in die Pflanze selber, somit auch deren Wachstum und Fortpflanzung. Abgesprochen werden den Pflanzen: Bewegung, Wahrnehmung, Strebung. Diese Leistungen wären demnach die Voraussetzungen für das tierische „Reden“ (Brüllen, Singen usw.) wie auch für das menschliche Reden, Sagen, Sprechen.
Stimmt es, daß man den Pflanzen die genannten Fähigkeiten absprechen muß? Neuere Forschungen verneinen das jedenfalls im Hinblick auf die Wahrnehmung. Fest steht, daß die Pflanzen die Stoffe aus ihrer Umwelt (Sonnenlicht, Erde, Wasser) selektiv und „zweckrational“ zum Zweck ihrer Selbsterhaltung und –vermehrung aufnehmen und verarbeiten – sodaß auch eine Art Strebung unterstellt werden muß (die im aristotelischen Begriff der entelecheia bereits impliziert ist). So etwas wie Reden wäre allerdings ein aktives Sich-Zeigen, das situativ geleistet wird. Arteigene Präsentierungsleistungen, wie visuelle Auffälligkeiten (Blütenfarben, Fruchtfarben), gehen in diese Richtung.

Am Mittwoch hielt Prof. Eugen Dönt einen Vortrag mit dem Titel
„Der wahre Grund für Platons Rede vom ‚Streit zwischen Philosophie und Dichtkunst’ und die beiden Formen des Wissens der Dichter“. Er stellte einen Platon vor, der ein dichterfreundlicher und selber dichterischer Philosoph ist. Hat er damit Platon richtig charakterisiert? Und wie stellt sich demgegenüber Aristoteles dar?

Da nunmehr nach langer Verzögerung auch der Band 2 von Poetik lesen erschienen ist, sollen wir versuchen, für Mitte Juni eine Buchpräsentation zustandezubringen. 

Walter Seitter


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Sitzung vom 2. April 2014


[1] Als eine weitere Stufe des Redens könnte man mit Lacan das Sprechen anführen, das nicht nur signalisiert (wie die tierischen Verlautbarungen), auch nicht nur signifiziert (wie die meisten menschlichen Aussagen), sondern evoziert (wie gelegentliche Sprechakte).

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