τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Donnerstag, 22. März 2012

In der Metaphysik lesen (990b 30 – 991a 23)


Mit dem Beginn von Kap. 9 hat sich Aristoteles in einen ihm wohlbekannten Raum begeben, den man seit langem als platonische „Ideenlehre“ bezeichnet. Dieser Raum besteht in gewisser Hinsicht nur aus Wörtern, eben den von Platon gebrauchten Wörtern, von denen viele einfach der griechschen Sprache jener Zeit angehören, einige aber als platonische Spezialbegriffe gelten – vor allem idea. Aristoteles beschreibt und beurteilt diesen Raum  wiederum mit Wörtern der allgemeinen griechischen Sprache, aber auch mit einigen seiner Spezialbegriffe wie eidos und ousia, sowie symbebekos und hypokeimenon. Idea und eidos bedeuten – für uns – ungefähr dasselbe, übersetzt aber werden diese Begriffe nicht unbedingt einheitlich, auch die englischen Übersetzungen stimmen miteinander nicht überein (das heißt ja: es gibt Übersetzungen) und so geraten wir hier in ein ziemlich enges wie auch chaotisches Wörtergemenge – eben weil die theoretischen Positionen, die da aufeinanderstoßen, die platonische und die aristotelische, nicht sehr weit voneinander entfernt sind. Wenn Franz Schwarz eidos mit „Form“ wiedergibt, so ist das ja nicht eigentlich falsch, aber die sprachliche Nähe zwischen idea und eidos wird undeutlich. Schließlich können wir nicht umhin, da wir selber ja auch Philosophen sind (wie Aristoteles), Sprachelemente der gegenwärtigen Philosophie, wie „Voluntarismus“ oder „Konstruktivismus“ einzusetzen, um das, was uns da vorliegt, für uns verständlich zu machen.

Und wie soll man so eine Ausdrucksweise beurteilen, die in diesem Text öfter vorkommt, nämlich die Substantivierung des Infinitivs „sein“, der sich auf einen Gegenstand bezieht, also „das Sein von diesem oder jenem“? Keineswegs ein erhabenes und intransitives „Sein“ in der Art von Heidegger (und vielleicht Parmenides). Dieser eher banale Gebrauch von „sein“ scheint zur „Grundsprache“ des Aristoteles zu gehören, analog zum Präsenspartizip „das Seiende“ oder „die Seienden“. Und diese schlichten Wortverwendungen hat er dann gelegentlich gesteigert und terminologisiert zum to ti en einai oder zum on he on.

Wie sich Aristoteles ins platonische Theoriegebäude hineinbegibt, seine Eigenheiten übertreibend, überspitzend, nämlich seine Neigung zur Verdoppelung der Entitäten – aufgrund der Wahrnehmung von Ähnlichkeiten zwischen den Dingen sowie aufgrund der Tatsache, daß wir die Wörter wiederholen ... Einmal erwähnt er sogar den Fall, daß man keine Gemeinsamkeit wahrnimmt und trotzdem ein und dieselbe Bezeichnung vergibt.

Schließlich die Frage, was denn die eide – gemeint sind die platonischen Ideen – beitragen zu den ewigen wie zu den vergänglichen Sinnesdingen (991a 9). Aus diesem Satz können wir schließen, daß das, was Aristoteles wirklich „interessiert“, die Existenz von Dingen ist – da aber gibt es sowohl die ewigen wie die dem Entstehen und Vergehen unterworfenen. Die ewigen – das sind wohl die Himmelskörper (einschließlich der Erde) – insofern ist die Scheidung zwischen der supralunarischen und der sublunarischen Sphäre keine totale.

Die Leistungsbilanz fällt sehr schlecht aus für Ideen: sie verursachen nicht deren Bewegungen und sonstige Veränderungen; sie verhelfen nicht zu ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis, da sie weder deren Wesen noch deren Existenzursache sind (weil sie nicht in ihnen sind); sie sind nicht einmal in dem Sinne ihre Ursache, wie das Weiße, das sich mit einem Ding vermengt, Ursache für dessen Weißsein ist. Schließlich wird die Grundbehauptung des Platonismus, die eide seien die Urbilder oder Vorbilder der anderen Dinge, als leeres Gerede und „poetische Metaphern sagen“ bezeichnet: Poesie am unrechten Ort oder oder Pseudo-Poesie?

Walter Seitter

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