Dieses Mal
lesen wir fast nichts Neues, nur den Vergleich mit der Rechtsfindung nehmen wir
dazu.
Mit dem
Anfang von Buch III befinden wir uns offensichtlich noch immer nicht so richtig
innerhalb der „gesuchten“ Wissenschaft, d. h. bei der sachlichen Erörterung eines
für diese Wissenschaft definierten Gegenstandsfeldes. Die ersten Zeilen sehen
nach einem typischen Eingangsgeplänkel aus, einem anderen als in den Büchern I
und II. Einem solchen, das sogar direkt als solches thematisiert wird bzw.
einem, welches längere und umständliche Präliminarien als notwendig erachtet.
Diese Präliminarien werden als „Aporien“ bezeichnet bzw. sie bestehen in der
Durchdringung, in der Auflösung solcher Aporien, womit die bereits
vorliegenden, aber unzureichenden, ja verwirrenden und blockierenden bisherigen
Ansätze zu dieser Wissenschaft gemeint sind.
Dass es
sich bei der Durchdringung und Auflösung der Aporien um Erkenntnistätigkeit
handeln muss, versteht sich von selber, wie die Aporien ja nur
Erkenntnisversuche, Erkenntnisbehauptungen, leider auch Erkenntnisverfehlungen
und Erkenntnishindernisse sind. Allerdings nicht Erkenntnishindernisse in dem
Sinn, daß man als Erkenntnisliebhaber und Erkenntnissucher die Flucht ergreifen
und in die entgegengesetzte Richtung eilen sollte. Sondern im Gegenteil: in die
Gegenrichtung, in die Schwierigkeiten hinein sollte man sich begeben. Und zwar,
um durch sie hindurch aus ihnen hinauszukommen.
Damit
habe ich bereits ein Vokabular eingeführt, das dem Bereich entstammt, aus
welchem Aristoteles selber die Wörter entnimmt, mit denen er besagte
Ratschläge, Empfehlungen und Einschärfungen formuliert. Mit mehreren Wörtern,
vor allem mit drei verschiedenen Verben mit der gemeinsamen Wortwurzel por beschreibt
er die Geschicke und Mißgeschicke von Weg, Bahn, Fortbewegung, Orientierung,
Desorientierung. Es handelt sich also um eine Analogiebildung, wenn man will,
um eine metaphorische Redeweise, in der Erkenntnisverhältnisse mit
Fortbewegungs- oder Verkehrsverhältnissen umschrieben, veranschaulicht werden.
Kognitive Verhältnisse mit motorischen oder kinetischen Verhältnissen. Eine
Redeweise, die übrigens auch uns durchaus „geläufig“ – auch dieses Wort bereits
eine derartige Umschreibung – ist. Wenn wir etwa von „vorwärtskommen“,
„weiterkommen“, „steckenbleiben“, „verwirrt sein“ sprechen. Übrigens wird auch
das lateinische Wort „discursus“, das eine bestimmte Laufbewegung meint, so
verwendet, daß es ein bestimmtes Sprech- und Erkenntnisverhalten ausdrückt.
Aristoteles
hält diese metaphorische Sprechweise mehrere Sätze hindurch aufrecht.
Zwischendurch verbindet er sie mit der Rede von Knüpfung, Lösung, Fesselung und
meint damit ebenfalls Erkenntnisverhältnisse „negativer“ und „positiver“ Art.
Beide Metaphernebenen haben nun meines Erachtens den Bedeutungseffekt, dass die
aristotelische Erkenntnisempfehlung oder –einschärfung den Charakter von
Arbeitsempfehlung oder –einschärfung annimmt: kognitive Arbeit, Anstrengung,
die zunächst einmal nicht unbedingt angenehm ist: sich herumschlagen mit
Schwierigkeiten. Ohne dass Aristoteles von „Arbeit“ spricht, weil das
gewissermaßen unter seiner Würde gewesen wäre. Wir haben die Parallele zu
Sokrates gezogen, der seine philosophische Tätigkeit mit der Hebammentätigkeit
verglichen hat: einer doch wohl „niedrigen“ noch dazu Frauentätigkeit, niedriger
als sein angestammter Bildhauerberuf.
Nun hat
Aristoteles sein Philosophieren bestimmt nicht insgesamt als niedrig
eingeschätzt – ganz im Gegenteil. Das Philosophieren steht in seiner
Rangordnung sogar über der politischen Tätigkeit und weit über jeder
werktätigen. Nur an dieser Stelle redet er so von ihr – und zwar speziell von
der präliminarischen Phasen, in der sich die gesuchte Wissenschaft nach den
vielen unzureichenden und verwirrenden Anläufen befindet (übrigens hat Kant die
Sache mit der „Metaphysik“ genauso eingeschätzt – aber 2000 Jahre später).
Für
diese Phase hat Aristoteles ich würde sagen ein „Arbeitsethos“ formuliert – als
Anforderung hauptsächlich an sich (und die Seinen), das uns tatsächlich
„ungriechisch“ (aus anderen Gründen fand Nietzsche den Platon „ungriechisch“),
beinahe christlich (kalvinistisch) vorkommen mag.
Das
Arbeitsethos ist keine Metaphernebene, die Aristoteles einführt, sondern eine
Konnotation, die man da sehen kann, etwas indirekt Gesagtes.
Zum
Schluß aber führt er punktuell eine weitere Metaphernebene ein: der Philosoph
hat die Geduld und die Großzügigkeit aufzubringen wie ein Richter, der alle
Parteien anhört, bevor er urteilt. Diese Ausübung der Gerechtigkeit liegt auf
der Ebene der politischen Tätigkeit, der höchsten – unterhalb der Theorie. Sie
vermittelt immerhin zwischen den niedrigen Tätigkeiten des Arbeitslebens
einerseits und der eben auch niedrigen Phase der „Metaphysik“. Aber vielleicht
dauert diese ziemlich lang ...
Anstatt
des Lesens von Sekundärliteratur hier unsererseits eine Sekundärlektüre, besser
gesagt eine Sekundärbesprechung einer kleinen Textpassage. Eingehen auf den
Wortlaut, auf die Sprache selber, in der die „Pragmatik“ des Textes, seine
Mikro(?)politik, sichtbar wird.
Walter Seitter
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