τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Freitag, 10. Oktober 2014

Ontologie a und b

Bekanntlich gliedern sich die Wissenschaften bei Aristoteles so:

A Theoretische Wissenschaften
Physik (Zweite Philosophie)
Mathematik
Erste Philosophie

B Poietische Wissenschaften
Poetik, Architektonik, Medizin, Strategik ....

C Praktische Wissenschaften
Ethik, Ökonomik, Politik
 Zur Steigerung der Deutlichkeit und Verständlichkeit formuliere ich A folgendermaßen um:
 A  Theoretische Wissenschaften
A I Physik: alle Wissenschaften von materiellen Dingen, also auch von den Tieren, sowie vom Menschen (folglich auch De anima) und gewissermaßen auch von den künstlichen Dingen.

A II  Erste Philosophie spaltet sich in
A II 1 Ontologie: Lehre von allen Bestimmungen, die jedem Seienden als solchem zukommen (also allen Gegenständen aller Wissenschaften). Der allgemeine Grundsatz der Ontologie auf Lateinisch: ens multipliciter dicitur.
A II 1 a Und diese Lehre setzt bei der Kategorienlehre ein und setzt sich mit der Suche nach weiteren sozusagen dramatischen Seinsmodalitäten fort, die in Met. IV, 1003a 32ff. genannt werden. Die Begriffe dieser Lehre lauten also Substanz, Akzidenzien (Qualität, Relation, Wirken, Leiden ...), Wesen, Weg zum Wesen, Entstehung, Vergehung, Verneinung des Wesens, ... : Ontologie a.

In der Analytischen Philosophie wird die aristotelische Tradition der Ontologie mit dem Akzent auf Substanz (oder Ding) und Akzidenzien fortgesetzt, so Barry Smith; oder aber mit dem Akzent auf Ereignis, welcher Begriff ja als Zusammenfassung der aristotelischen Akzidenzien aufgefasst werden kann, wobei alternativ oder komplimentär auch Zustand, Handlung, Veränderung, Prozeß als Kategorien vorgeschlagen werden, so Christian Kanzian, Uwe Meixner. Es handelt sich dabei erklärtermaßen um mehrkategoriale Ontologien, andernfalls würden sie ja in die Lehre von den Transzendentalien umschlagen.
Martin Heidegger hat mit der Unterscheidung zwischen dem Seienden und dem Sein eine Ontologie, die vom Seienden (Substanz, Ding) ausgeht, kritisiert und dagegen ein Seinsdenken, welches das Ereignis zugrundelegt, vorschlagen wollen (sichtbar bereits in der Einsetzung von „Dasein“ für „Mensch“).
A II 1 b In der Scholastik wurde eine spezifische Richtung der Ontologie entwickelt: Lehre von den Transzendentalien bzw. von den Konvertibilitäten: Ontologie b.
Ens, res, aliquid, unum, verum, bonum; später wurde häufig auch das pulchrum hinzugefügt.

Was res, aliquid betrifft, so begnügen sie sich anscheinend mit der Wiederholung allgemeinster, banaler und sogar niedriger Begriffe – was besonders beim aliquid hervorsticht: denn es heißt bloß was im Sinne von etwas, aber durch das „ali“ wird sogar das sozusagen weggeworfen: irgendwas, man weiß nicht was, irgendwas anderes, bloß nicht dieses bestimmte Etwas hier, sondern irgendein anderes. Gleichwohl will dieses „aliquid“ besagen: etwas Bestimmtes, von anderem Abgegrenztes, also selber ein „anderwas“, ein aliud.

Demgegenüber erscheint res schon als eine sehr hohe Modalität, die eigentlich bereits das Wesen oder gar die selbständig existierende Substanz impliziert. Aber die Transzendentalien müssen als so „flexibel“ gedacht werden, dass sie allen Seinsmodalitäten zukommen können – jeweils in Entsprechung mit deren Eigenart und Rang. Also ist jedwedes, auch eine Eigenschaft, eine res: etwas res-haftes.

Ens et unum convertuntur: das Seiende als solches ist eines, ist einheitlich, kohärent. Dieses Transzendentale ist in der älteren griechischen Philosophie – von Parmenides bis Platon – schon häufig postuliert und diskutiert worden, auch in der Metaphysik war es schon vorgekommen.

Ens et verum convertuntur: dieser Satz ist von Platon und Aristoteles vorbereitet worden: je höher etwas in der Stufung der Seienden steht, umso intelligibler, umso klarer ist es – nicht unbedingt für uns, wohl aber an sich.

Ens et bonum convertuntur: und umso erstrebenswerter: appetibler.

Ens et pulchrum convertuntur: das Schöne ist eine Kombination aus Wahrem (Wahrnehmbarem) und Gutem: das was gefällt.

Ergibt sich nicht aus diesen ca. sechs Konvertibilitäten der Satz: Ens et convertibile convertuntur - ? Ja, aber der Satz gilt nicht so generell wie die vorigen. Ens ist nur mit „convertibile cum re, cum aliquo, cum vero ...“ konvertibel. Immerhin ist das schon eine multiple Konvertibilität, sodaß der Satz „ens multipliciter dicitur“ in beschränktem Maß auch auf die Transzendentalienlehre bezogen werden kann.
Tatsächlich gehört er direkt in diese Lehre hinein, denn bei Thomas gibt es auch die multitudo absoluta sive transcendens: die innere Opposition zur transzendentalen Einheit. Das Transzendentale „aliquid“ geht schon in diese Richtung. Wird dadurch das „ens et unum convertuntur“ aufgehoben? Wohl nicht.

Ens est convertibile multipliciter und folglich
Ens et convertibile (multipliciter) convertuntur.
Lassen sich die ontologischen Konvertibilitäten noch vermehren?
Etwa in Richtung Aktivität? Das verum und das bonum werden ja wie üblich mit Passiv-Eigenschaften übersetzt, obwohl sie doch Vollkommenheiten bezeichnen (diese Passiv-Eigenschaften beruhen allerdings auf ihrer Vollkommenheit: sie attrahieren, sie faszinieren).
Andere Vollkommenheiten, die wir mit „aktiv“ verbinden, würden lauten:
Ens et potens, et agens, et intelligens, et appetens (desiderans) convertuntur. Solche Konvertibilitäten würden die Richtung „res“ in Richtung „substantia“ intensivieren und zu „animal“, „spiritus“, „persona“ weiterführen. Sie würden auch das sächliche Geschlecht nur mehr als neutrale Hülle bestehen lassen. Res ist ja grammatisch bereits aus diesem Geschlecht herausgetreten, semantisch nur schwach. Immerhin macht „res“ ein grammatisch weibliches Wort zur allgemeinen Begriffshülse.


A II 2: Für die andere Richtung der Ersten Philosophie passt die Bezeichnung „Metaphysik“ einigermaßen: Lehre von den ersten oder höchsten oder entferntesten Ursachen, wie sie in Buch I flüchtig erwähnt worden ist. Vielleicht kann man auch sagen: Lehre von den überirdischen oder nicht-irdischen Dingen. Also vom Guten an sich oder vom unbewegten Beweger oder vom Göttlichen.

Walter Seitter


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Sitzung vom 8. Oktober 2014 

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