Bekanntlich gliedern sich die Wissenschaften bei
Aristoteles so:
A Theoretische Wissenschaften
Physik (Zweite Philosophie)
Mathematik
Erste Philosophie
B Poietische Wissenschaften
Poetik, Architektonik, Medizin, Strategik ....
C Praktische Wissenschaften
Ethik, Ökonomik, Politik
Zur Steigerung der Deutlichkeit und
Verständlichkeit formuliere ich A folgendermaßen um:
A
Theoretische Wissenschaften
A I Physik: alle Wissenschaften von materiellen
Dingen, also auch von den Tieren, sowie vom Menschen (folglich auch De anima)
und gewissermaßen auch von den künstlichen Dingen.
A II Erste Philosophie spaltet sich in
A II 1 Ontologie: Lehre von allen Bestimmungen, die
jedem Seienden als solchem zukommen (also allen Gegenständen aller
Wissenschaften). Der allgemeine Grundsatz der Ontologie auf Lateinisch: ens
multipliciter dicitur.
A II 1 a Und diese Lehre setzt bei der
Kategorienlehre ein und setzt sich mit der Suche nach weiteren sozusagen
dramatischen Seinsmodalitäten fort, die in Met. IV, 1003a 32ff. genannt werden.
Die Begriffe dieser Lehre lauten also Substanz, Akzidenzien (Qualität,
Relation, Wirken, Leiden ...), Wesen, Weg zum Wesen, Entstehung, Vergehung,
Verneinung des Wesens, ... : Ontologie a.
In der Analytischen Philosophie wird die
aristotelische Tradition der Ontologie mit dem Akzent auf Substanz (oder Ding)
und Akzidenzien fortgesetzt, so Barry Smith; oder aber mit dem Akzent auf
Ereignis, welcher Begriff ja als Zusammenfassung der aristotelischen
Akzidenzien aufgefasst werden kann, wobei alternativ oder komplimentär auch
Zustand, Handlung, Veränderung, Prozeß als Kategorien vorgeschlagen werden, so
Christian Kanzian, Uwe Meixner. Es handelt sich dabei erklärtermaßen um
mehrkategoriale Ontologien, andernfalls würden sie ja in die Lehre von den
Transzendentalien umschlagen.
Martin Heidegger hat mit der Unterscheidung
zwischen dem Seienden und dem Sein eine Ontologie, die vom Seienden (Substanz,
Ding) ausgeht, kritisiert und dagegen ein Seinsdenken, welches das Ereignis
zugrundelegt, vorschlagen wollen (sichtbar bereits in der Einsetzung von
„Dasein“ für „Mensch“).
A II 1 b In der
Scholastik wurde eine spezifische Richtung der Ontologie entwickelt: Lehre
von den Transzendentalien bzw. von den Konvertibilitäten: Ontologie b.
Ens, res, aliquid, unum, verum, bonum; später wurde
häufig auch das pulchrum hinzugefügt.
Was res, aliquid betrifft, so begnügen sie sich
anscheinend mit der Wiederholung allgemeinster, banaler und sogar niedriger
Begriffe – was besonders beim aliquid hervorsticht: denn es heißt bloß was im
Sinne von etwas, aber durch das „ali“ wird sogar das sozusagen weggeworfen:
irgendwas, man weiß nicht was, irgendwas anderes, bloß nicht dieses bestimmte
Etwas hier, sondern irgendein anderes. Gleichwohl will dieses „aliquid“
besagen: etwas Bestimmtes, von anderem Abgegrenztes, also selber ein
„anderwas“, ein aliud.
Demgegenüber erscheint res schon als eine sehr hohe
Modalität, die eigentlich bereits das Wesen oder gar die selbständig
existierende Substanz impliziert. Aber die Transzendentalien müssen als so
„flexibel“ gedacht werden, dass sie allen Seinsmodalitäten zukommen können –
jeweils in Entsprechung mit deren Eigenart und Rang. Also ist jedwedes, auch
eine Eigenschaft, eine res: etwas res-haftes.
Ens et unum convertuntur: das Seiende als solches
ist eines, ist einheitlich, kohärent. Dieses Transzendentale ist in der älteren
griechischen Philosophie – von Parmenides bis Platon – schon häufig postuliert
und diskutiert worden, auch in der Metaphysik war es schon vorgekommen.
Ens et verum convertuntur: dieser Satz ist von
Platon und Aristoteles vorbereitet worden: je höher etwas in der Stufung der
Seienden steht, umso intelligibler, umso klarer ist es – nicht unbedingt für
uns, wohl aber an sich.
Ens et bonum convertuntur: und umso
erstrebenswerter: appetibler.
Ens et pulchrum convertuntur: das Schöne ist eine
Kombination aus Wahrem (Wahrnehmbarem) und Gutem: das was gefällt.
Ergibt sich nicht aus diesen ca. sechs
Konvertibilitäten der Satz: Ens et convertibile convertuntur - ? Ja, aber
der Satz gilt nicht so generell wie die vorigen. Ens ist nur mit „convertibile
cum re, cum aliquo, cum vero ...“ konvertibel. Immerhin ist das schon eine
multiple Konvertibilität, sodaß der Satz „ens multipliciter dicitur“ in
beschränktem Maß auch auf die Transzendentalienlehre bezogen werden kann.
Tatsächlich gehört er direkt in diese Lehre hinein,
denn bei Thomas gibt es auch die multitudo absoluta sive transcendens: die
innere Opposition zur transzendentalen Einheit. Das Transzendentale „aliquid“
geht schon in diese Richtung. Wird dadurch das „ens et unum convertuntur“
aufgehoben? Wohl nicht.
Ens est convertibile multipliciter und folglich
Ens et convertibile (multipliciter) convertuntur.
Lassen sich die ontologischen Konvertibilitäten
noch vermehren?
Etwa in Richtung Aktivität? Das verum und das bonum
werden ja wie üblich mit Passiv-Eigenschaften übersetzt, obwohl sie doch
Vollkommenheiten bezeichnen (diese Passiv-Eigenschaften beruhen allerdings auf
ihrer Vollkommenheit: sie attrahieren, sie faszinieren).
Andere Vollkommenheiten, die wir mit „aktiv“
verbinden, würden lauten:
Ens et potens, et agens, et intelligens, et
appetens (desiderans) convertuntur. Solche Konvertibilitäten würden die
Richtung „res“ in Richtung „substantia“ intensivieren und zu „animal“,
„spiritus“, „persona“ weiterführen. Sie würden auch das sächliche Geschlecht
nur mehr als neutrale Hülle bestehen lassen. Res ist ja grammatisch bereits aus
diesem Geschlecht herausgetreten, semantisch nur schwach. Immerhin macht „res“
ein grammatisch weibliches Wort zur allgemeinen Begriffshülse.
A II 2: Für die andere Richtung der Ersten
Philosophie passt die Bezeichnung „Metaphysik“ einigermaßen: Lehre von den
ersten oder höchsten oder entferntesten Ursachen, wie sie in Buch I flüchtig
erwähnt worden ist. Vielleicht kann man auch sagen: Lehre von den überirdischen
oder nicht-irdischen Dingen. Also vom Guten an sich oder vom unbewegten Beweger
oder vom Göttlichen.
Walter Seitter
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Sitzung vom 8. Oktober 2014
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