Anteskriptum:
Wissenschaftszuwachs
für Wien
Der Schweizer
Philosophiehistoriker Christophe Erismann erhielt vom Europäischen
Forschungsrat eine an die Universität Wien gebundene Projektförderung über die
frühmittelalterliche Pflege der aristotelischen Logik durch griechische,
lateinische, syrische und arabische Gelehrte.
Beim Lateiner handelt es sich um
den aus Irland stammenden und im heutigen Frankreich tätigen Scotus Eriugena
(815-877), der als Neuplatoniker gilt und die griechische Philosophie mit der
christlichen Theologie zu vermitteln suchte. Sozusagen trotzdem hat er die
aristotelische Logik sehr scharf analysiert und auch ihre ontologischen
Konsequenzen in einer Weise formuliert, die ihresgleichen sucht.
Erismann
zitiert in einem Aufsatz folgenden Eriugena-Satz: „Nullus homo alio homine
humanior est.“[1]
Dieser Satz
sperrt sich gegen so manche moderne Sentimentalitäten – die allerdings die
traurige Eigenschaft haben, dass sie still und leise Sexismus und Rassismus und
ähnliche Entgleisungen auf den Weg bringen. Hierzu erinnere ich an die deutsche
Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, die im Jahre 2014 von „Halbwesen“ und
„zweifelhaften Geschöpfen, halb Mensch, halb künstlichem Weißnichtwas“ sprach,
wobei sie sich auf jetzt lebende Menschen bezog, die ihr Leben sogenannten
nicht natürlichen Zeugungsmethoden verdanken (aber doch wohl natürlichen
Keimzellen). Im 18. Jahrhundert musste sich der deutsche
Aufklärungsphilosoph(!) Christoph Meiners (1747-1810) immerhin um ein paar
hundert oder tausend Kilometer nach Osten versetzen, um die mongolischen Völker
als „Mittelwesen zwischen den Europäeern und den unvernünftigen Thieren,
oder als eine Art von Halbmenschen“ einzustufen.
Der zitierte
lateinische Satz geht direkt auf eine Passage in den aristotelischen Kategorien
zurück(3b – 4a), welche doch im allgemeinen modernen Bewusstsein nur als scholastisch
und längst überholt gelten. Tatsächlich formuliert er eine notwendige logische
und sogar ontologische Voraussetzung für die politischen Errungenschaften, die
wir für unsere kulturellen Optionen beziehungsweise für gültige Normen halten.
Im Unterschied
zu Wesenheiten können akzidenzielle Bestimmungen mit den Vorzeichen „mehr“ oder
„weniger“ auftreten: ein Mensch kann eifriger sein als ein anderer oder als er
selber früher war; er kann sogar ganz uneifrig sein, dann wird man ihm eine
positive Eigenschaft zusprechen, die auf demselben Parameter das Gegenteil
darstellt, zum Beispiel: faul. Möglicherweise wird man jedem Menschen einen
Grad auf dem Parameter „Arbeitsfreude“ zusprechen. Andere Parameter wie etwa
Hautfarbe sind bei allen Wesen mit Haut notwendige Akzidenzienparameter – mit
nicht-notwendigen Farbnuancen.
In der
Metaphysik lesen (1016b 12 – 18)
Aristoteles
setzt wiederum mit einem „subjektiven Faktor“ ein, formuliert ihn aber jetzt
nicht mehr mit einem theoretischen Begriff wie logos oder noesis,
sondern umgangssprachlich, indem er sich und seine Zuhörer als Subjekte des
subjektiven Faktors setzt – das Wort „Subjekt“ kommt ja aus der Grammatik: wir
nennen Eines ... ein Quantum oder ein Kontinuum. So bereits in 1016a 1. Doch
jetzt zieht er diese Zusage zurück und behält sie dem Ganzen vor, das eine Form
hat. Womit er die Passage 1016a 32 – 1016b aufgreift. Am Beispiel von
„Schuhzeug“ unterscheidet er zwischen bloß irgendwie Zusammengeleimtem und der
Einheit der Schuhform.
Das folgende
Beispiel aus der Geometrie schließt anscheinend direkt daran an. Doch indem er
die Kreislinie als die „einste“ von allen Linien bezeichnet, indem er den
Superlativ von „ein“ bildet, verlässt er die mit dem Wesen verbundene
Alternative von „Wesen“ und „Nicht-Wesen“. Eigenschaften, die im Positiv,
Komparativ oder Superlativ auftreten, fallen gewöhnlich unter die Akzidenzien:
süß, süßer, noch süßer ..... Der Kreislinie spricht er den Superlativ zu,
weil er da die einfache Eigenschaft von Ganzheit und Vollkommenheit unterstellt.
Eine platonisierende Wesensunterstellung für den Superlativ – siehe dazu Luigi
Segalerbas „Stufenontologie“ vom 25. Februar. In 1016a 12 hat Aristoteles
allerdings die unterschiedlichen Formen der Linie bezüglich der Einheit
andersherum bewertet.
Abgesehen von
dieser inneraristotelischen Unklarheit wird die Einheit dennoch nicht als
akzidenzielle Eigenschaft gelten können und schon gar nicht als eine Wesenheit.
Sondern als eine „transzendentale“ Eigenschaft, die allen Entitäten zukommt –
aber stufenweise je nach dem Grad der Seiendheit: ens et unum convertuntur.
Postskriptum:
Im Buch IV hat
Aristoteles hartnäckig und verbissen den „Satz vom Widerspruch“ gegen
Vorsokratiker und Sophisten verteidigt – allerdings gibt es den dort explizit
gar nicht ...
Am Donnerstag,
dem 26. März 2015, findet um 18.30 Uhr im Hörsaal 3E im NIG, Universitätsstr.
7, eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung
Zum Problem des Widerspruchs
statt.
Leitung: Werner Gabriel.
Walter Seitter
--
Sitzung vom 18. März 2015
[1]
Zit. in: Christophe Erismann:
The logic of Being: Eriugena’s Dialectical Ontology, in: J.Marenbon (Hg.): Vivarium
45: The Many Roots of Medieval Logic: The Aristotelian and the
Non-Aristotelian Traditions (Leiden 2007): 217.
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