Das Kontinuum,
welches die zweite Bedeutung des Begriffes „ein“ (oder die zweite Verwendung
des Begriffs) begründet hat, spielt sich innerhalb des Akzidens „Quantität“ ab.
Eine weitere
Begriffsbedeutung (oder -verwendung) von „ein“ wird durch Unterschiedslosigkeit
im Substrat veranlasst, worunter Aristoteles das Material versteht, wie aus den
Beispielen (Wasser, Wein) hervorgeht und aus der erkenntnistheoretischen
Bestimmung: wo bei einer Zerlegung kein qualitativer Unterschied für die
Sinneswahrnehmung entsteht: wenn bei der Zerteilung von Wasser immer Wasser
übrigbleibt, hat man es mit dem einheitlichen Stoff „Wasser“ zu tun. Wie schon
in 1015a 9ff. erwähnt Aristoteles auch hier die Möglichkeit, dank dem Schmelzprozeß
zu einem Urstoff „Wasser“ aufzusteigen, den wir eher als den Aggregatzustand „Flüssigkeit“
bezeichnen würden. Damit wäre eine sehr weitreichende, geradezu universale
„Einheit“, erreicht.
Eine
andersartige Begründung, viele Dinge als „eines“ zu bezeichnen, sieht
Aristoteles, wenn sie einer gemeinsamen Gattung angehören. Er nennt übrigens
auch die Gattung ein „Substrat“ – aber ein logisches, und er vergleicht
ausdrücklich den Stoff und die Gattung bezüglich ihrer
Einheitsstiftungsfunktion. Verschiedenartige Lebewesen – darunter auch der
Mensch – bilden „eines“ aufgrund der gemeinsamen Gattung. Man könnte hier von
einer Parallele zu Darwin sprechen, auch wenn Aristoteles die
„Verwandtschaft“ nicht als Nacheinander sondern als Nebeneinander betrachtet.
Und wie beim
Stoff spricht Aristoteles auch bei der Gattung vom Aufstieg zu umfassenderen
Gemeinsamkeiten, woraus sich noch größere Einheitsbildungen ergeben.
Fünftens
werden Dinge „eines“ genannt, wenn der Logos ihr Was-Sein (Was(es war)Sein) so
aussagt, daß er es ununterscheidbar vom einen wie vom anderen darlegt. Das
heißt wohl: Dinge, denen die Wesensform oder Wesensart gemeinsam ist, sind
„eines“. Eine Selbstverständlichkeit, wenn sogar die gemeinsame Gattungsform,
die ja etwas Dünneres ist, dies bewirkt. Bemerkenswert, wie das Besitzen der
Wesensform auf subjektartige Aktivitäten zurückgeführt wird: einmal sozusagen
tautologisch mit logos legon sowie mit „die Sache darlegend“. Und
außerdem wird der Sachverhalt ausdrücklich auf ein Erkenntnisvermögen
zurückgeführt – wie das ja auch schon bei den Materialien der Fall war: aisthesis.
Vielleicht ist aber mit noesis gar nicht bloß das Erkenntnisvermögen
gemeint, sondern der Erkenntnisvollzug – der im Deutschen zumeist mit „Denken“
wiedergegeben wird. Besser aber vielleicht mit Erfassen, Verstehen, Erfassung.
Dazu kommt, daß dieser Ausdruck, so wie oben logos, mit dem
entsprechenden Partizip Präsens nicht nur verdoppelt, sondern ausdrücklich
„verbalisiert“ wird: die das Was-Sein erfassende Erfassung. Noesis noousa – eine
beinahe feierliche um nicht zu sagen jubelnde Formel. Spielt sie etwa auf eine
ähnlich klingende und viel berühmtere Formel an? Also doch ein tiefsinniger
Text? Erinnern wir daran, daß noesis laut Hermes-Motto keineswegs das
Ganz Andere zur aisthesis ist.
Walter Seitter
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Sitzung vom 4. März 2015
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