Der
britisch-amerikanische Philosoph Barry Smith, der sich hauptsächlich als
Ontologe versteht, verbindet seine Auffassung von Philosophie mit starkem
Interesse für die österreichische Philosophie, die seit dem späten 19.
Jahrhundert eine Schule des logischen Empirismus hervorgebracht hat. Seit
einigen Jahren fragt man sich mehr und mehr, wieso es zu dieser
österreichischen Entwicklung gekommen ist, die sich deutlich vom Mainstream
deutschen Philosophierens absetzt. Barry Smith, dessen erstes 1994 erschienenes
Buch Franz Brentano (1838-1917) gewidmet war, möchte die Frage beantworten,
indem er sie durch eine anscheinend entgegengesetzte These ersetzt. Den
Sonderfall philosophischer Entwicklung habe nicht Österreich sondern
Deutschland hervorgebracht: mit dem Deutschen Idealismus und weiterhin mit
Nietzsche und Heidegger sei das begründet worden, was man seit einigen
Jahrzehnten als „Continental Philosophy“ bezeichnet: ein Philosophieren,
das sich stärker an Literatur und Politik anlehnt als an wissenschaftliches
Forschen und Argumentieren, und dessen Ergebnisse sich durch
Kommentarbedürftigkeit und sogar durch Unübersetzbarkeit auszeichnen.[1] Die
deutsch-französische – von Amerika aus so benannte - „Continental Philosophy“
stehe der normalen Philosophie gegenüber, die weltweit verbreitet ist, die die
Standards der Wissenschaftlichkeit nicht ignoriert – und mit der Philosophie
überhaupt erfunden worden ist: also auch mit Aristoteles.
Daher geht es
in unserer Lektüre hier nicht darum, einen tiefsinnigen Text zu feiern, sondern
eine rationale Suchbewegung zu verstehen, ihr auch mit eigenen Fragen und
Thesen zu begegnen, sofern diese geeignet erscheinen, den Text mitsamt seinem
Sachbezug verständlich zu machen.
So habe ich im
letzten Protokoll die Frage aufgeworfen, ob die akzidenziellen Bestimmungen
(mit ihrer Art von Einheit, also Zugehörigkeit) total nicht-notwendig im Raum
schweben. Oder ob auch sie mit einer Art Notwendigkeit verbunden sind. Im Sinne
der „Unvermeidlichkeit der Akzidenzien“ (Menschenfassungen: 169ff.) habe
ich die These aufgestellt, dass die nicht-notwendigen Akzidenzien in aller
Regel einer bestimmten Notwendigkeit unterstehen: dass sie als Variablen in konstanten
Parametern auftreten, die zu bestimmten Wesen gehören. Menschen müssen nun
einmal irgendwelche ethischen Eigenschaften haben – auch wenn sie das
theoretisch oder sonstwie (siehe Der Mann ohne Eigenschaften – das
Gegenbuch gegen den von Per Leo nachgezeichneten „Charakterismus“ der
vorletzten Jahrhundertwende) vermeiden zu können meinen. Ebenso hängen den
Menschen notwendige Dimensionen physischer Eigenschaften an: zum Beispiel
Geschlecht, Körpergröße, Augenfarbe. Diese Skalen kann man Eigenschaftsdimensionen
oder Parameter nennen und damit wird das von Aristoteles Gesagte nicht
unbedingt korrigiert, wohl aber vervollständigt. Oder ich habe hier das moderne
Präfix „meta“, das der - indirekt aus der Brentano-Schule stammende - polnische
Logiker Alfred Tarski (1901-1983) erfunden hat, um die Metasprache von der
Objektsprache zu unterscheiden, eingeführt, um den Gesamtduktus der
aristotelischen Metaphysik klarer zu machen. Und wie verläuft dieser
Duktus bisher? Aristoteles versucht sowohl objektsprachlich wie metasprachlich
über die einzelnen schon gegebenen Wissenschaften hinaus Rationalität
auszuweiten – und zwar wissenschaftliche.
Nach der
akzidenziellen Einheit bespricht Aristoteles das „Eine an sich“. Und zwar
zuerst das Kontinuum, welches sich dadurch auszeichnet, dass es viel Vielheit
(im Sinne von Ausdehnung) enthält. Unterschiedliche Typen von Kontinuum
enthalten mehr oder auch weniger Einheit. Als Maß der räumlichen Einheit wird
die Einheitlichkeit der Bewegung aufgestellt – so kommt auch die Zeit in
Betracht. Die Kontinuen schließen „kontinuierlich“ an die akzidenziellen
Einheiten an.
Bleibt die
Frage, wieso das Eine in der antiken Philosophie (und überhaupt in den
Wissenschaften) so ein wichtiger Grundbegriff (und zwar nicht nur in der Mathematik)
war und wieso das heute nicht mehr der Fall zu sein scheint.
Für uns ist
„ein(e)s“ ein Zahlwort und darauf scheint Gianluigi Segalerba zu rekurrieren,
wenn er einen Aufsatz „Numerische Einheit als ontologisches Kriterium. Zur
Unterscheidung der Entitäten bei Aristoteles“ nennt. Er bezieht das „Eine“ nur
auf die aristotelische „erste Substanz“, also das existierende Ding, das dem
„Allgemeinen“ gegenübersteht. Hingegen sieht er in der platonischen Lehre eine
„stufenartige Ontologie“: Existenz eines unvollkommenen Abbildes sowie eines
vollkommenes Urbildes.[2]
PS.: Thomas
Sautner, der Autor des finanzpolitischen Gesprächs zwischen Aristoteles und dem Engelchen (DER STANDARD, 21. 2. 2015), wird am 26. März 2015 in der Sonnenfelsgasse
3 lesen.
Walter Seitter
--
Sitzung vom 25. Februar 2015
[1]
Siehe
Barry Smith: Philosophie, Politik und wissenschaftliche Weltauffassung: Zur
Frage der Philosophie in Österreich und Deutschland, in: R. Haller (Hg.): 1ff.
[2]
Siehe
Gianluigi Segalerba: Numerische Einheit als ontologisches Kriterium. Zur
Unterscheidung der Entitäten bei Aristoteles, in: Wiener Jahrbuch für
Philosophie, XXXV/2003: 82f.
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