Die Begriffe „entgegengesetzt“
und „Gegenteil“ mögen zwar aus der Logik stammen, aber hier beziehen sie sich
auf Phänomene der Außenwelt. Innerhalb der Logik spricht man eher von
„Gegensatz“, denn die Logik hat es mit Sätzen zu tun. Die Rhetorik mit Reden –
daher „Gegenrede“.
Die
Gegenteile sind Teile der Welt, es können auch psychische, ethische,
politische, eventuell göttliche („dämonische“) Sachen sein. Das einzige und
knappe Beispiel, nämlich die Entgegensetzung grau-weiß (die wir zur
Polarität schwarz-weiß ergänzt haben), bezieht sich eindeutig auf die physische
Außenwelt. Und zwar handelt es sich um Eigenschaften.
Im weiteren
Verlauf von Abschnitt 10 erläutert Aristoteles seine Begriffe mit „Art“,
„Gattung“, „Unterscheidung“, die wiederum der Logik angehören, aber
„entgegengesetzt“ und „Gegenteil“ gehen weiterhin über die Logik hinaus – egal,
ob damit Dinge oder Eigenschaften gemeint sind (aus dem Text geht das überhaupt
nicht hervor, weil Aristoteles nur karge Artikel und Pronomina einsetzt:
die da und solche und jene ...)
Unser
aristotelisches Buch operiert auf weite Strecken als "objektorientierte
Logik". Es setzt die Logik voraus und schaut hinaus, es setzt der Logik
Augen ein.
In der von
Ursula Wolf herausgegebenen Rowohlt-Ausgabe der Metaphysik wird nun genos
nicht mit „Gattung“ übersetzt sondern mit „Geschlecht“.
Das ist als
Übersetzung abstrus – und eben deswegen lehrreich. Denn das griechische Wort genos
hat ursprünglich eine biologische Bedeutung und heißt „Abstammung“,
„Verwandtschaft“, „Geschlecht“. Die Wurzel „gen“ verweist auf Zeugung. Auch das
deutsche Wort „Gattung“, das inzwischen als logischer Begriff etabliert ist,
stammt aus einem biologischen Kontext. Durch Begattung und Zeugung werden
Individuen produziert, die verwandtschaftlich zusammengehören, und diese
Zusammengehörigkeit heißt „Gattung“ oder „Art“.
In der Logik
bezeichnet dann Gattung eine weitere Zusammengehörigkeit, Art eine engere.
Das
lateinische genus hat dieselbe Bedeutung wie das griechische genos. In
der Grammatik bezeichnet es die Wortgeschlechter männlich, weiblich, sächlich.
In der
Verwandtschaftslehre gibt es die Geschlechter des Miteinander (Mann, Frau) und
die Geschlechter des Nacheinander (Eltern, Kinder, Vorfahren, Nachkommen).
Die
lateinische Sprache hat neben dem sächlichen genus einen männlichen,
gewissermaßen personalen, Parallelbegriff hervorgebracht: den genius. Die
Zeugungskraft, die Seele des Mannes, die er mit der Zeugung von Kindern ins
Werk setzt, welche dann ihrerseits auch so einen genius haben (die
Frauen haben jeweils eine Juno). Aber nicht nur Menschen, auch Hügel,
Täler, Gebäude, Institutionen haben dieser animistischen Vorstellung zufolge
jeweils einen Genius – einen Schutzgeist oder ein „Geistchen“.
Der
österreichische Philosoph Edgar Zilsel (1891-1944) ist diesen Dingen
nachgegangen, als er die Vorgeschichte des Geniebegriffs erforscht hat, auch
die Wurzeln des modernen Geniekults, der bei Otto Weininger große Wirkung getan
hat.[1]
Inzwischen
rühmt sich Österreich, ein genfreies Land zu sein.
Walter Seitter
--
Sitzung vom 24. Juni 2015
[1]
Siehe Edgar Zilsel: Die
Entstehung des Geniebegriffes. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der Antike und
des Frühkapitalismus (Tübingen 1926): 9ff.; ders.: Die
Geniereligion. Ein kritischer Versuch über das moderne Persönlichkeisideal, mit
einer historischen Begründung (1918) (Frankfurt 1990)
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