Bericht über
den Vortrag von Christoph Erisman zur „Übertragung der aristotelischen Logik
von Alexandria nach Konstantinopel“:
Der
griechische Philosoph Stephanos von Alexandria wurde bald nach 610 vom
oströmischen Kaiser Herakleios (575-641) nach Konstantinopel berufen, wo er den
Titel „Weltlehrer“ erhielt. Er verfasste Kommentare zu Aristoteles und
Schriften zur Astronomie und Alchemie. Damit gehört er in die große Bewegung
der translatio studiorum hinein: die sowohl historische wie auch
geographische Übertragung antiker Wissenschaft ins Mittelalter sowie in neue
Räume.
Eine Frucht
war dann zweihundert Jahre später der Mönch und Kirchenlehrer Theodor Studites
(759-826), der im Byzantinischen Bilderstreit gegen die Ikonoklasten auftrat.
Diese argumentierten gegen die bildliche Darstellung Christi folgendermaßen:
mit der Inkarnation sei zwar die zweite göttliche Person Mensch geworden, doch
sie habe den „allgemeinen Menschen“ angenommen; daher sei es unmöglich und
widersinnig, seine Gestalt mit bestimmten Farben darzustellen.
Dagegen
Theodoros: wie kann der „allgemeine Mensch“ in Christus anwesend sein?
Doch nur genauso wie in allen Menschen, in Peter oder Paul oder sonst wem.
Nämlich in ihnen als Individuen. In dieser Hinsicht fällt Christus überhaupt
nicht aus dem allgemeinen Schema heraus. Und für dieses Schema setzt Theodoros
die aristotelische Ontologie ein: das Allgemeine existiert nur
partikularisiert. Nicht wie die Platoniker meinen, in einer Sonderform in
einer Extrawelt, nicht wie die Nominalisten annehmen, nur im menschlichen Geist
bzw. in der Sprache (in Form von Wörtern). Diese Aristoteles-Rezeption in
Konstantinopel vollzieht zwar eine Applikation auf die christliche Theologie,
aber sie respektiert so weit wie möglich Buchstaben und Geist der
aristotelischen Logik (und Ontologie).
Ja, sie führt
in die Theologie ein Stück „weltliches“ Denken ein. Und das geht in diesem Fall
so weit, dass die malerische Darstellung des Gottmenschen theoretisch
ermöglicht wird: wobei die Malerei nur auf die Menschheit, nämlich die
Menschengestalt, direkt abzielen kann. Christus muß als Mensch eine bestimmte
Gestalt gehabt haben, bestimmte Haare, bestimmte Augen und so weiter. Nicht ein
Mensch „ohne Eigenschaften“. Theographie via Anthropographie.
Konkrete
Fragen nach der Möglichkeit einer „ähnlichen“ Christographie bleiben damit
natürlich offen. Dazu etwa: Hans Belting: Bild und Kult. Eine Geschichte des
Bildes vor dem Zeitalter der Kunst (München 1990).
All dies im
Rahmen einer Theologie, die den unvermeidlichen theologischen Überschwang
(Enthusiasmus) mit common sense (lumen naturale) verbindet.
Sicherlich
wäre auch die theologische Position möglich, der „Ausnahme-Mensch“ Jesus (der
er ja dem Glauben gemäß ist), müsse auch in seiner Menschheit anders
konstituiert sein, etwa durch direkte Realisierung der „Menschheit an sich“. So
könnte er „mehr Mensch“ sein als die anderen. Doch Studites scheint diese
Möglichkeit zu verneinen. Insofern hält er sich an die ebenfalls aristotelische
Devise „Nullus homo alio homine humanior est“, die im März (über Erisman
und Eriugena) hierher zitiert worden ist.
Was Christus
von den anderen Menschen unterscheidet, ist also nicht seine „Menschheit“,
sondern die Tatsache, dass in seiner Person (Hypostase) mit der Menschheit die
Gottheit koexistiert – und zwar unvermischt (entgegen den „Monophysiten“).
Diese Koexistenz wird von den Theologen „hypostatische Union“ genannt. Oder
auch von der Trinität her „Zirkuminzession“ oder „Perichorese“. Insofern mit
der Trinität das aristotelische Ideal der akzidenzienlosen Substanzialiät schon
durchbrochen scheint, könnte man vielleicht diese Union oder Zirkuminzession
oder Perichorese als Akzidens auf höchster Ebene bezeichnen. Die beiden
Wesenheiten koinzidieren nicht miteinander, sondern sie akzidieren einander.
Diese
Koexistenz von Menschheit und Gottheit wirft naturgemäß gravierende
ontologische Probleme auf – sofern man überhaupt mit griechischer Philosophie
an sie herangeht.
Walter Seitter
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