Der nächste
Begriff in dem „Wörterbuch“ ist immerhin ein ordentlicher Begriff und in seiner
Grundbedeutung entspricht er einem Begriff, der dank Michel Foucault zu einem
Hauptbegriff in Philosophie und Humanwissenschaften aufgestiegen ist: Macht.
Doch die
Übersetzungen, die sich auf die aristotelische Begriffsverwendung beziehen,
reduzieren die Bedeutung auf „Vermögen“ (nicht im ökonomischen Sinn, sondern im
Sinn von „Fähigkeit“). Eine Fähigkeit, die etwas (oder jemand) hat, um etwas zu
bewegen oder zu verändern, und zwar bei einem anderen. Also eine transitive
Fähigkeit. Sie kann zwar faktisch auch reflexiv wirken, aber selbst in diesem
Fall besteht Aristoteles darauf, dass sie theoretisch bei einem anderen wirkt:
bei einem selber als einem anderen, weil das Vermögen, bewegt oder verändert zu
werden, zwar auch ein Vermögen ist, aber ein anderes.
In einer
Kaskade von Unterscheidungen geht Aristoteles vom aktiven Vermögen zum
passiven, vom positiven zum negativen über. Die Unterscheidungsfolge wirkt
reduzierend, minimalisierend, negierend, jedenfalls absteigend und somit in der
Gegenrichtung zum Aufstieg, der sich im Abendland lang durchgesetzt hat und zu
dem geführt hat, was Heidegger „Onto-Theologie“ genannt hat: Aufstieg zum summum
ens oder Gott. Hier hingegen Abstieg zum Minimum oder Minimalontologie.
„Ontologisch“
können diese Vermögen nur in einem vagen Sinn genannt werden: genauer sind sie
als „kinetisch“ oder „metabolisch“ zu bezeichnen, denn sie wirken bewegend oder
verändernd.
Dieser Abstieg
landet schließlich beim Vermögen, nicht verändert oder zerstört zu werden. Was
denn doch als beachtliche Fähigkeit oder Stärke oder Mächtigkeit gelten kann.
Jedenfalls wurde es von den Stoikern so eingeschätzt und zum Prinzip ihrer
Ethik erhoben. Aristoteles verwendet selber das Wort „apathisch“ (1019a 27).
Für Aristoteles war die Apathie ein Extrem - folglich keine Tugend; er nennt
sie sogar „nicht menschlich“ (NE 1119a 7). Foucault greift die logische Form
der Apathie auf und bezeichnet mit der nicht ganz synonymen Formel von der
„Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“ eine Empfehlung oder Tugend.[1]
Aber die
sogenannte Metaphysik bemüht sich nur, alle Möglichkeiten von Vermögen
zu nennen und zu ordnen. Wobei die Ordnungstätigkeit hier eindeutig die
Richtung nach „unten“ einschlägt – in krassem Gegensatz zu aller Helden- und
Göttersteigerung sowie zu jedem sogenannten „metaphysischen“ Transzendieren.
Wir können
sogar sagen, dass dieses Wörterbuch durchaus den Duktus der „Ontologie“
einhält, in welcher die Substanzbegriffe wie Wesen oder Natur zwar auch
irgendwo genannt werden und keineswegs an erster Stelle, aber die eher
niedrigeren Seinsmodalitäten, Akzidenzien und dergleichen, unaufhörlich
herbeigenannt werden, um eindeutig und beinahe endlos die Überzahl zu bilden.
Die Ontologie ist wesenhaft multipel - ihre Multiplizität ist zwar
grundsätzlich hierarchisch, doch erscheint sie kaum eingrenzbar, strikt
ordenbar, streng systematisierbar. Deduziert ist sie überhaupt nicht und
daher trifft Kants Charakterisierung der aristotelischen Kategorienaufstellung
als „rhapsodistisch“ erst recht zu, wenn man die vielen „superakzidenziellen“
Modalitäten, von denen das Vermögen eines ist, auch noch einbezieht.
Im Falle des
Vermögens verläuft die Reihung der unterschiedlichen Aspekte vom Substantiv zum
Adjektiv und dann auch noch vom Kinetischen zum Logischen. Die logischen
Modalitäten „möglich“ und „unmöglich“, die mit „notwendig“ und „kontingent“ logisch
verknüpft sind, haben uns bei der Poetik-Lektüre beschäftigt (wo dann
auch noch wahrscheinlich und unwahrscheinlich dazugekommen sind) und sie sind
zweifellos ontologisch schwächer als die kinetischen Möglichkeits- bzw.
Mächtigkeitsbegriffe.
Übrigens
stammt das deutsche Wortfeld von dem Verb mögen ab – das in der heutigen
Sprache so etwas wie „wollen“ bedeutet. Früher jedoch bedeutete es „können“ –
und das ist die semantische Wurzel für Vermögen und Möglichkeit. In Österreich
gibt es noch Dialekte, wo mögen „können“ bedeutet.
PS.:
Philosophisches Café am 17. Oktober 2015 um 16 Uhr im Café Korb
Thema: Metaphysik
Walter Seitter
Sitzung vom 7. Oktober 2015
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