Das Protokoll
wird geschrieben und herumgeschickt, damit es am Anfang der nächsten Sitzung
bei allen präsent ist und sofort besprochen werden kann. Damit also ein fester
Faden von einem Mittwoch bis zum nächsten gespannt ist oder eine ordentliche
Signifikantenkette, eine feste und natürlich physische Schiene, damit wir nicht
irgendwie im Vagen hängen bleiben. Das Ungefähre ist keine philosophische
Qualität und ein Seminar braucht auch eine – mindestens eine - schriftliche
Bahnung, um mehr zu sein als ein „Lesekreis“. Die Dinge müssen schriftlich
eingraviert werden, wie die Pflänzchen in die Erde gesetzt werden:
„seminarium“. Auch soll später nachgelesen werden können und geschaut, ob die
Pflanzen vielleicht schon größer geworden sind.
Zunächst
Erinnerung daran, dass die aristotelische Bestimmung der Quantität durch
Teilbarkeit anhand unseres Frühlingsthemas, nämlich des Mutter-Essens durch den
Säugling (unser aristotelischer Frühling), drastisch exemplifiziert worden ist.
Das Beispiel ist drastisch, aber nicht durch Einwände, die Milch sei kein Teil
der Mutter, die Mutter sei doch nicht nur ein Quantum, die arme Mutter, aus der
Welt zu schaffen. So ein Beispiel, das gerade nicht aus dem aristotelischen
Text genommen ist, sondern aus einer wenn man will banalen jahrtausendealten –
und immer wieder erneuerten – Praxis, ist geeignet, Aristoteles sachlich, also
philosophisch, zu verstehen. Lacan hat mit seinen vier Objekten klein a ein
paar Körperausscheidungen namhaft gemacht, darunter auch die der mütterlichen
Brust; die hat er zu Freud dazugesagt. Ich habe dieselbe zu Aristoteles
dazugesagt. Also Lacan zu Freud koinzidiert hier mit Seitter zu Aristoteles.
Und wenn
irgendwann ein Psychoanalytiker dies zu Gesicht bekommen und zur psychoanalytischen
Ansicht kommen sollte, der Seitter, der muß irgendwie einem Mutter-Komplex
verfallen sein, dann würde damit nichts Schlimmes passieren: er könnte damit
seine Theorie bestätigen und an meiner Sache würde er immerhin etwas kapieren.
Und nun die
„Qualität“. Zu meiner Überraschung – das Beste, was einem Leser passieren kann
– bestimmt Aristoteles Qualität zunächst nicht als Gegenstück, als anderes
Akzidens, neben der Quantität, sondern hebt sie auf die höhere Stufe der ousia,
als Sosein der Art, differentia specifica zwischen Mensch und Pferd
(womit der Mensch ziemlich antihumanistisch in die Ordnung der Dinge, in den
Garten der Arten, in den Zoo der Gattung eingesperrt wird (da kann er dann
sehen, ob er nicht etwa doch etwas Besseres ist)). Und dann die Qualität wieder
als Artbestimmtheit – aber jetzt von arithmetischen und geometrischen
Entitäten. Um ein anderes Beispiel für die Zahlen anzuführen: da gibt es die
„rationalen“ und die „irrationalen“. Sobald eine Art von Zahlen herausgegriffen
wird und sei es auch nur die „natürliche“ Zahl 6, haben wir es mit einer
Wesenheit zu tun, und die ist nicht teilbar (genau so wenig wie die Mutter als
Wesen(heit)).
Und dann erst
die Qualität als Akzidens, eines der neun Akzidenzien. Doch Aristoteles
vermengt sie gleich mit einem anderen Akzidens: den „Leiden“ der „bewegten
Wesen“. Die bewegten, veränderten usw. Wesen bilden den Gegenstandsbereich der
Physik und bewegt, verändert werden sie, indem sie Einwirkungen erleiden – und
so bekommen sie ihre Qualitäten, die nicht notwendig sind: warm, kalt; schwer,
leicht .... Die bewegten Wesen werden hier auch als „sich verändernde Körper“
bezeichnet – da gibt es vielerlei Arten, so die oben genannten zweifüßigen
Tiere, also Menschen. Daß Aristoteles auch jetzt an sie denkt, geht daraus
hervor, dass er den körperlichen Menschen – es gibt keine anderen (siehe
Mutter) – auch andere mögliche Qualitäten zuschreibt: Tugendhaftigkeit,
Schlechtigkeit (mit allen möglichen Mischungen).
Indem
Aristoteles solche physischen Eigenschaften wie „warm“ oder „schwer“ und solche
moralischen wie „tugendhaft“ oder „weniger tugendhaft“ auf engstem Ort
zusammenschreibt, demonstriert er seine Auffassung von den Gemeinsamkeiten
zwischen allen Wesen dieser Erde. Bernd Schmeikal spricht von „bioenergetisch“,
einem Begriff von Reich und Lowen, die das zu Freud, gegen Freud dazugesagt
haben. Im Abschnitt 8 hat Aristoteles seinen ontologischen Hauptbegriff „Wesen“
mit seinem physikalischen Haupt- und Doppelbegriff erläutert: nämlich „Körper“
und „Seele“ – die hier für zwei Versionen von Wesen stehen. Bei Aristoteles
wird die Ontologie nicht absolut gesetzt, wie bei Heidegger. Sondern sie ruht
jederzeit auf Physik oder Ethik oder Poetik auf.
Die
Körperlichkeit der Menschen und ihrer moralischen und intellektuellen
Leistungen (sowie Fehlleistungen) erhellt aus den technischen, kulturellen
Verkörperungen etwa sprachlicher oder schriftlicher Art: Körperausscheidungen,
Körpererweiterungen, weitere Objekte klein a, klein b, klein c, groß D.
Walter Seitter
Sitzung vom 28. Oktober 2015
Postskriptum:
Erstes Wiener Philosophen-Café am 31. Oktober 2015 um 16 Uhr im Café Korb:
„Werte“.
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