Für den Fall,
dass die seit dem Frühling geführte Rede von der Muttermilch irgendwie
„antifeministisch“ aufgefaßt worden sein sollte, ist zum Ausgleich nachgetragen
worden, dass auch der Mann ein Quantum ist, folglich auch er teilbar, und
aktuelle Teilungen finden statt, indem geringe Mengen einer weißlichen
Flüssigkeit abgetrennt, ausgeschieden, subtrahiert werden (wohin auch immer sie
gelangen mögen).
In reduzierter
Quantität hat das Aristoteles-Seminar (das auf diese Wesensqualität Anspruch
erhebt (Latour setzt für „Wesen“: „Institution“)) noch einmal auf die Kategorie
„Qualität“ zurückgeblickt und festgestellt, dass Aristoteles in der
Kategorienschrift ausführlicher auf sie eingeht, wobei er jedoch nur die
akzidenzielle Qualität berücksichtigt und nicht auch die essenzielle wie in Metaphysik
V, 14. Die essenziellen Qualitäten kommen den Dingen notwendig zu – so die
„Pferdheit“ den Pferden. Die akzidenziellen Qualitäten wie „dunkelbraun“ oder
„nervös“ könnten auch durch andere ersetzt sein. Ich meine aber, dass in diesen
Qualitäten auch eine Notwendigkeit am Werk ist: dass nämlich für Pferde die
Eigenschaftsdimension „Farbigkeit“ ebenso unvermeidlich ist wie die
Eigenschaftsdimension „Temperament“. Wesensnotwendigkeit und
Eigenschaftskontingenz überlappen sich zu einer gewissen
Eigenschaftsnotwendigkeit oder Kontingenznotwendigkeit. Aristoteles muß das
vorausgesetzt haben, hat es aber m. E. nicht thematisiert.[1]
Und nun zur
akzidenziellen Kategorie pros ti, Relation, Bezüglichkeit.
Ich meine,
dass diese Kategorie aufgrund ihrer heute üblichen Bezeichnung dem modernen
Menschen ziemlich wichtig vorkommt, er sogar dazu neigt, sie für grundlegender
zu halten als etwa die Substanz. Die altgriechische Bezeichnung hingegen ist
ein Extrem von Lakonie, Dürftigkeit, Unvollständigkeit: zu was. In der Metaphysik
führt Aristoteles irgendwo aus, dass die Relation die seinsschwächste Modalität
sei (1088a 22ff.), und in unserem Kapitel führt er sie zunächst als
Weiterbestimmung der Quantität ein: das Doppelte, das Dreifache, das Vielfache,
das Übertreffende. Aber dann doch auch als das Bewirkende zum Bewirkten –
welche beiden ja als eigene Kategorie figurieren und im Grunde genommen das
ausmachen, was man „Kausalität“ nennt. Und schließlich einige Bewirkte oder
Resultate zu den jeweiligen kognitiven Tätigkeiten wie Messen, Wissen,
Wahrnehmung.
Es handelt
sich also um eine weit verbreitete Kategorie bzw. Modalität und insofern kommt
Aristoteles der modernen Einschätzung doch wieder nahe.
Bei den
quantitativen Relationen unterscheidet Aristoteles zwischen den zahlenmäßig
bestimmten und den zahlenmäßig unbestimmten. Damit greift er die im vorletzten
Abschnitt getroffene Unterscheidung zwischen „diskret“ und „stetig“ wieder auf
und der amerikanische Übersetzer Joe Sachs macht dazu eine
theoriegeschichtliche Anmerkung, die ich so verstehe, dass seit Descartes die
nicht-zahlenmäßige, also die stetige Quantität ihre rationale Eigenständigkeit
verloren hat: alle Quantitäten werden „numeralisiert“, „digitalisiert“.[2] Dies
in der Mathematik. Und die sogenannte Quantenphysik: weitet sie die
Digitalisierung auf die Physik aus?
Walter Seitter
Sitzung vom 4. November 2015
[1]
Zur
Unvermeidlichkeit der Akzidenzen siehe Walter Seitter: Menschenfassungen.
Studien zur Erkenntnispolitikwissenschaft. Mit einem Vorwort des Autors zur
Neuausgabe 2012 und einem Essay von Friedrich Balke: „Tychonta, Zustöße. Walter
Seitters surrealistische Entgründung der Politik und ihrer Wissenschaft“
(Weilerswist 2012):169ff. Davon strikt zu unterscheiden der exzeptionelle
„Akzidenzialismus“ in der aristotelischen Poetik; siehe Walter Seitter: Poetik
lesen 1 (Berlin 2010): 102ff.
[2]
Siehe
Aristotle’s Metaphysics. A new translation by Joe Sachs (Santa 2002): 97.
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