In der Metaphysik
lesen (BUCH VII (Z) 1031a 12 – 1031a 18)
8.November 2017
Im Rückblick auf die zuletzt gelesene
Stelle ist zu sagen, dass Aristoteles da die sprachanalytische Seite seines
Vorgehens so weit treibt, dass er die Regeln einer normalen Syntax
überschreitet. Damit spielt er den sturen Professor – und doch weitet er dann
die Möglichkeit der Definition auch über die Wesen aus.
Sodann unterscheidet er am Wesen
selber die beiden Aspekte des Was-ist und das Das-da. Sind die beiden wirklich
zu unterscheiden, obwohl jedes Das-da sein Wesen zu sein scheint und jedes
Was-ist als Wesen jedes Das-da bezeichnet (gesagt) wird?
Durch das Scheinen und das
Gesagt-werden, das Gesehen-werden und das Gesagt-werden, das Sehen und das
Sagen (von seiten der Menschen) werden die beiden Aspekte ständig zur
Koinzidenz gebracht. Das ist die aristotelische Position gegenüber der
platonischen, in der das Was-ist in eine „erhabene“ Sphäre gerückt wird.
Aber begrifflich unterschieden sind
sie auch für Aristoteles.
In den Kategorien hat er sie „Erstes
Wesen“ und „Zweites Wesen“ genannt. Im Abschnitt 8 von Buch V geht er zu einer
völlig anderen Benennung über, indem er die Ontologie als die Lehre von den
Seinsmodalitäten auf eine Ebene der Realitätsschichten, eigentlich auf eine
Realitätsschicht, projiziert, nämlich auf die der Körper, die so etwas wie eine
Seele haben müssen, um qualifizierte Körper zu sein. Er übersetzt die genannte
Unterscheidung in die Unterscheidung zwischen Körper und Seele. Und die
Ontologie in die Physik – Physik im weiteren Sinn, die mit den „einfachen
Körpern“ (Elementen) anhebt, und über die Lebewesen bis zu den Himmelskörpern
geht, denen Aristoteles auch so etwas wie Leben und sogar Göttlichkeit
zuschreibt.
Es handelt sich durchwegs um qualifizierte
Körper, die zu verschiedenen Bewegungen fähig sind: zu den „natürlichen“
Bewegungen (etwa der Planeten) bzw.
darüber hinaus zu den Bewegungen der Lebewesen, die „selbstgemachte“ Bewegungen
sind (auch das Wachsen der Pflanzen, das Produzieren von Früchten, die
Stoffwechsel gehören dazu).
Macht man aus der Unterscheidung
zwischen den beiden Aspekten eine Trennung, so kommt man einerseits in die
höhere Ebene der Ideen oder der Schöpfer und andererseits in die Ebene der
bloßen Materie. Diese ist die Gesamtheit aller bloßen „Das-da“, aller puren
„hic-et-nunc“. Im Mittelalter galt sie – die materia prima - als
raumzeitliches Individuationsprinzip. In der frühen Neuzeit hat die
quantifizierende Naturwissenschaft diese entqualifizierte Materie zu ihrem
Gegenstand gemacht und sie konsequenterweise mit „Trägheit“ identifiziert.
Trägheit ist „inertia“ – Kunstlosigkeit, Unfähigkeit zu Kunst, zu Tätigkeit.
Die Zuschreibung der Trägheit
an die Materie wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Erfindung der
Entropie radikalisiert, wonach die Aktiv-Energie ständig und unwiderruflich in
Passiv-Energie umgewandelt wird und daher – angeblich – gegen Null tendieren
müsste. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand dem
Fortschrittsglauben eine Entropie-Faszination gegenüber, welche sich auf die
Wissenschaft berufen konnte und gleichzeitig auch Weltanschauungen und
Stimmungen hervorbrachte. Ein sehr zeitgemäßer Philosoph wie Eduard von
Hartmann (1842-1906) schrieb den Essay „Entropie als Erlösung“.
Im Jahre 1900 hat der Statistiker und
Publizist Georg Hirth (1841-1916)angefangen, in Naturwissenschaft zu
dilettieren, und er entdeckte, dass die Pflanzen anti-entropisch tätig sind –
also ektropisch, aktiv-energetisch. Der fast vergessene Physiker Felix Auerbach
(1856-1933) weitete diese Entdeckung aus und beschrieb unter dem Titel
„Ektropie“, was dann unter „negativer Entropie“, „Negentropie“ oder
„Information“ gefasst wurde: unwahrscheinliche und insofern künstliche Ordnung,
die von jedem Planeten als solchem, von Pflanzen, Tieren, Menschen, Kulturen
produziert wird. Also das Gegenteil von „inertia“: Kunsttätigkeit,
Kunstleistung, Gestaltung, Unterschiede, neue Unterschiede.
In unserer Text-Passage heißt dieser
Wesensaspekt das „Was-ist“ – andere aristotelische Bezeichnungen lauten
„Form“, „Energeia“ oder eben „Seele“. Daher habe ich diesen Sachverhalt unter „Morphismus,
Energismus, Krypto-Animismus .... Eine postaristotelische Glosse“
zusammengefaßt.[1] Unter dem Animismus versteht man ja jene „primitive“
Auffassung von der Beseeltheit aller Dinge. Die aristotelische
Realitätsauffassung würde im Schema von Philippe Descola als „Analogie“
bezeichnet werden, sie steht zwischen dem Animismus und dem – modernen –
Naturalismus.
Walter Seitter
Sitzung vom 8. November 2017
Nächste Sitzung am 15. November 2017
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