In dem Text, den wir heute
lesen, spricht Aristoteles wie so oft irgendeinem Menschen ganz beiläufig und ohne
eine ethnographische oder gar politische Aussage machen zu wollen, als Beispiel
für eine akzidenzielle Bestimmung die Farbe „weiß“ zu – neben der Eigenschaft
„musisch“ oder „gebildet“ das Standard-Beispiel für Akzidens. Bei „gebildet“
kann man annehmen, dass er diese Eigenschaft für eine erwünschte hält, und im
Buch über das Werden und Vergehen hat er sie sogar einmal dramatisiert, indem
er von ihrem Abhandenkommen (bei einem Menschen) sprach. Wir haben uns schon
öfter gefragt, was er mit „weiß“ eigentlich meint (so am 15. November 2017),
denn wir haben keine Stelle gefunden, an der er diese Eigenschaft auch nur im
mindesten kommentiert. Also vermuten wir, dass er damit die Hautfarbe meint,
die natürlich oder angeblich bestimmten Völkern wie eben den Griechen zukomme.
Wolfgang Koch weist nun
darauf hin, dass in der heutigen FAZ ein ausführlicher Artikel erschienen ist,
der von einem heftigen Streit berichtet, der innerhalb der
Altertumswissenschaft in den USA ausgebrochen ist. Diese Wissenschaft widmet sich
ja so gut wie ausschließlich der griechischen und römischen Antike und sie wird
nun von einigen Fachvertretern unter den Verdach† gestellt, dem weißen
Rassismus Vorschub zu leisten – worauf ich hier nicht eingehe.[1] Immerhin gibt Aristoteles gerade in 1051b
8f. zur weißen Hautfarbe eine rein logische Erklärung ab, mit der er nur seine
Wahrheitsauffassung bekräftigen will: „du bist nicht deswegen weiß, weil wir
der Wahrheit gemäß meinen, du seist weiß“.
Nach der Lektüre einiger Abschnitte des Buches I von Werden und
Vergehen kehren wir zum Lesen in der Metaphysik zurück und
kommen zum Abschnitt 10 von Buch IX. Am Anfang resümiert Aristoteles
drei verschiedene ontologische Differenzierungen des Seienden und wiederholt
damit ungefähr die Dreiheit, die er im Abschnitt 7 von Buch V angeführt hatte.
Dort hatte er die drei Differenzierungen von „seiend“ kurz charaktersiert
(Differenzierung zwischen akzidenziell und „an sich“, zwischen wahr und falsch,
zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit) – das Buch V ist ja als
„Begriffslexikon“ zwischen abhandlungsartige Bücher eingeschoben. Der Abschnitt
10 von Buch IX schließt an die ausführlichen Erörterung von Möglichkeit und
Wirklichkeit an. Die Nennung der drei ontologischen Achsen steht nun unter
einem anderen Vorzeichen, da das Seiende nun von vornherein durch das
Nicht-Seiende „verdoppelt“ erscheint, auch an Möglichkeit und Wirklichkeit
werden ihre Gegenteile angehängt, wahr und falsch bilden ohnehin ein
Gegensatzpaar. Hier erscheint also das Seiende – gemeint ist das Seiende der
ontologischen Betrachtung, also das Seiende als Seiendes – durch seine Negation
nicht aufgehoben wohl aber angegriffen und zersetzt. Die Ontologie ist eine
zersetzende Betrachtungsweise - auf einer Metaebene (die jedoch ins Objektive
gewendet ist). Heideggers „Ex nihilo omne ens qua ens fit.“[2] ist keine physikalische sondern eine
ontologische Aussage.
Erstaunlicherweise sagt
Aristoteles, die Differenzierung nach wahr oder falsch treffe das Seiende am
eigentlichsten, obwohl doch wahr und falsch Eigenschaften von Aussagen sind –
doch bei den Sachen handle es sich um Zusammengesetztsein oder Getrenntsein.
Auf welcher Ebene diese Bestimmungen ihren Platz haben, sei jetzt einmal
dahingestellt. Das Zusammengesetzt- oder Getrenntsein kann entweder notwendig
oder wirklich oder möglich oder unmöglich sein – hier wird also eine andere
Ontologie-Achse eingeschoben.
„Weißes Holz“ scheint eine
kontingente, „inkommensurable Diagonale“ eine notwendige Zusammensetzung zu
sein.
Wahres und Falsches
ergeben sich in unterschiedlicher Weise bei zusammengesetzten und
unzusammengesetzten Dingen und jetzt führt Aristoteles zusätzlich zu den
Aussagen, die entweder wahr oder falsch sind, eine Reihe menschlicher
Wahrheitszugänge oder Wahrheitsverhalten (mitsamt negativen Versionen) ein, die
da heißen: erfassen, nennen, bejahen, behaupten, nicht-erfassen, nicht-wissen,
Täuschung, denken, nicht-denken, nachforschen ...
Über das Was sei eine
Täuschung nicht möglich, außer in akzidenzieller Weise, und ebenso über die
unzusammengesetzten Wesen, die weder entstehen noch vergehen. (1051b 26ff.) Und
dann ein plakativer Satz über das „Seiende selbst“, das weder entsteht noch
vergeht (1051b 29). Ist damit das parmenideische Seiende gemeint, das von der
Göttin als unentstanden, unvergänglich, unteilbar, unörtlich, unzeitlich,
unwahrnehmbar und vollkommen verkündet worden ist? Oder aber das ziemlich
mehrdeutige Substrat der ontologischen Differenzierungen – to on
legetai pollachos?
Die erste Antwort ist
auszuschließen, die zweite klingt gar nicht plausibel.
Dieses hiesige Seiende
entsteht und vergeht nicht, weil, wenn es entstünde, es aus etwas entstehen
müsste. Immerhin hat Aristoteles in der kleinen Schrift vom Werden und Vergehen
ein Entstehen aus Nichts sozusagen erfunden.
Walter Seitter
27. November 2019
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