τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Freitag, 15. November 2019

Über Werden und Vergehen (als gegenläufige Vorgänge)

Werden und Vergehen sind die beiden gegenläufigen Vorgänge, die nach Aristoteles eng aneinander gekoppelt sind. Immer wenn etwas wird, vergeht ein anderes. Immer wenn etwas vergeht, wird etwas anderes. Es scheint eine Art Nullsummenspiel zu sein. Ja Aristoteles setzt das Werden des einen mit dem Vergehen des anderen gleich. (318a 24, 30) Dennoch stellt er die Frage, wieso das Werden bei dem vielen Vergehen immer weiter gehen kann, immer wieder anknüpfen kann, wieso das Ganze nicht schon längst aufgebraucht und fort ist. (318a 16)

Mir scheint, dass er damit die Frage stellt, die sich die moderne Kosmologie zu wenig stellt, da sie ja seit dem späten 19. Jahrhundert von dem Gedanken der Entropie so fasziniert ist, der zwar nicht die Vernichtung wohl aber die totale Entspannung und Erschöpfung der Energie nahelegt.

Aristoteles operiert hier mit anderen Begriffen und die Ausgewogenheit von Werden und Vergehen sorgt dafür, dass immer wieder ein Woraus für neues Werden da ist.

Sowohl beim Werden wie beim Vergehen unterscheidet Aristoteles schlechthinniges und partielles.

Wenn jemand durch Lernen ein Wissender wird, so liegt ein partielles Werden vor – das auch Veränderung genannt werden kann: ein Weg zu einer neuen Beschaffenheit. (318a 35) Würde ein Wissender sein Wissen verlieren und unwissend werden, so handelte es sich um ein partielles Vergehen.

Schlechthinniges Werden führt zu einem schlechthin Seienden, schlechthinniges Vergehen führt zu einem schlechthin Nicht-Seienden.(318b 10) Dafür bieten sich die deutlicheren Ausdrücke „Entstehung“ und „Zerstörung“ an. Und der Unterschied zwischen partiellem und schlechthinnigen Werden entspricht demjenigen zwischen Akzidens und Substanz.

Aristoteles führt dann Beispiele an, in denen sich eines der vier Elemente in ein anderes wandelt. Solche Wandlungen können als partielle oder als schlechhinnige Werden betrachtet werden – je nachdem, wie diese verschiedenen Elemente eingeschätzt werden: da spielen unterschiedliche kosmologische Positionen eine Rolle. (318b 2ff.)

Neben solchen eher spekulativen Unterscheidungen erwähnt Aristoteles dann eine andere Unterscheidung, die den meisten Menschen vertraut ist: diejenige zwischen Wahrnehmbarem und Nicht-Wahrnehmbarem. Wenn etwas Unwahrnehmbares in Wahrnehmbares übergeht, dann ist das für die meisten ein Entstehen, der gegenläufige Übergang ist für sie ein Verschwinden oder Vergehen. Denn sie setzen das Unwahrnehmbare mit dem Nicht-Seienden, das Wahrnehmbare mit dem Seienden gleich. (318b 18ff.) Diese sensualistische Auffassung wird von Aristoteles mit starken Vorbehalten akzeptiert. Er setzt ihr jedoch eine der oben angedeuteten Thesen entgegen, wonach etwa der unsichtbaren Luft eine höhere Wirklichkeit zukomme als der berührbaren und bekanntlich auch sichtbaren Erde. (318b 25ff.)

Walter Seitter
13. November 2019

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