In
diesen Tagen wird viel an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert und im
Fernsehen erfahre ich einiges darüber, woran ich mich eigentlich auch selber
erinnern könnte, zum Beispiel darüber, dass damals nicht wenige Menschen in der
amerikanischen Besatzungszone zum ersten Mal schwarze Menschen gesehen haben.
Wenn man Aristoteles liest, dann ist das auch eine Art Fernsehen: man sieht,
was vor über 2000 Jahren in Griechenland geschrieben worden ist. In der
sogenannten Metaphysik findet sich im
Buch X die S†elle, in der geschrieben steht, dass es nicht nur Weiße sondern
auch Schwarze gibt. Und genau an derselben Stelle ist die Rede davon, dass es
Männer und Frauen gibt. Diese verschiedenen Menschensorten (die sich natürlich
überkreuzen, sodaß es mänliche Weiße und weibliche Weiße, männliche Schwarze
und weibliche Schwarze gibt) bilden jedoch keine Arten, sie gehören alle zur
Spezies Mensch und in dieser bilden sie interindividuelle, zwischenmenschliche
Unterschiede.
Die
Hautfarben hat Aristoteles immer als Akzidenzien bezeichnet, so auch hier
(1058b 12). Die beiden Geschlechter bezeichnet er nicht als Akzidenzien,
sondern betont:
sie
„existieren als Lebewesen“ (zoon)
(1058b 33). Mit dem „als“ bindet er diesen individualisierenden
Unterschied an die Gattung zurück, wie er das oben mit dem artbildenen
Unterschied (zwischen Mensch und Pferd) getan hatte.
Wir
können uns natürlich fragen, wieso am Ende dieses Buches X diese
individualisierenden Menschensortenunterschiede in einer zwar nur knappen aber
doch prägnanten Weise thematisiert werden.
Aber
der allerletzte Abschnitt von Buch X geht über diese Bestimmungen hinaus. Er
steigt sozusagen auf der Arbor
porphyriana zu höheren Gattungen hinauf. Zu den beiden Gattungen „vergänglich“
und „unvergänglich“ (1059a 26ff.), die kontradiktorische Gegenteile bilden,
sodaß sie jedwedes, das ist, unter sich aufteilen. Alles, was ist, ist entweder
vergänglich oder unvergänglich – und es ist das jeweils notwendigerweise.
Es
handelt sich um zwei hoch positionierte Gattungen – für uns allerdings nicht
sehr einsichtige. Aristoteles macht gar keine Angaben darüber, welche Entitäten
vergänglich bzw. unvergänglich sind. Daher schaue ich im modernen
Aristoteles-Lexikon nach, was dort unter „aidion/ewig“ verzeichnet ist. [1]
Alles
Ewige ist ungeworden, unvergänglich und notwendig; Notwendigkeit, Wirklichkeit
und Möglichkeit fallen in ihm zusammen. Unvergängliche Wesen sind die
unbewegten und unkörperlichen Bewegursachen der Himmelskörper und vor allem das
erste Bewegende, das Tätigkeit, Leben, Geist ist. Aber auch die Himmelskörper
sind ewig und mit ihnen der Kosmos als Gesamtheit. Nicht ewig sind die
irdischen Wesen – wohl aber deren Artformen und speziell der Geist, der sich
mit der menschlichen Seele verbindet. Ewig sind auch die mathematischen Formen.
Ebenso die Bewegung des äußeren Himmels sowie die Zeit (!).
Mit
dieser Aufschlüsselung gewinnen die beiden Gattungen an Verständlichkeit und es
ergibt sich ein Vorblick auf die aristotelische Theologie, die im Buch XII
geliefert werden wird. Aber im Abschnitt 10 von Buch X wird nur betont, dass
der Abstand zwischen den Gattungen viel größer ist als derjenige zwischen den
Spezies und derjenige zwischen den Individuen.
Intergenerischer,
interspezifischer, interindividueler Abstand stehen am Schluß von Buch X.
Inwiefern haben sie mit dem Einen zu tun?
*
Den
Hinweisen, die der Übersetzer der Reclam-Ausgabe jedem Abschnitt des Buches XI
vorangestellt hat, ist zu entnehmen, dass dieses Buch aus Wiederholungen oder
Paraphrasen von früheren Büchern der Metaphysik oder der Physik besteht. Damit
scheint sich dieses Buch aber nicht radikal von der Schreibweise des
Gesamtwerks abzusetzen, dessen Zusammenstückelungscharakter mir schon öfter
aufgefallen ist und die das Lesen nicht immer leicht oder angenehm gemacht hat.
Sie hat aber zumindest einen Vorteil: sie lässt erwarten, dass zu einem schon
behandelten Thema noch etwas, vielleicht etwas Neues gesagt wird, das sich
nicht „logisch“ aus vorstehenden Aussagen ergibt.
Der
Anfang von Buch XI erweckt den Eindruck, dass er eine völlig „neue“, in
Wirklichkeit aber alte Ebene einführt: mit welchen Tätigkeiten dieses Werk
zustandegekommen ist, welche Denktätigkeiten immer noch in den einzelnen Sätzen
drinnenstecken: einwenden, sich fragen, Weisheit, Wissenschaft, mehrere
Wissenschaften, annehmen, beweisen, betrachten ...
Walter
Seitter
[1]
Otto Höffe /Hg.). Aristoteles
Lexikon (Stuttgart 2005):
9f.
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