Wolfgang
Koch hat aus meinem letzten Protokoll die Klammerbemerkung
(so
etwas wie eine „Krone der Schöpfung“ kennt Aristoteles nicht)
herausgegriffen
und in Frage gestellt.
Diese
Redensart geht auf ein Lehrstück zurück, das unter dem Namen Scala naturae
bekannt geworden ist und die feinen Abstufungen aufzeigt, die vom Unbelebten zum Belebtem einschließlich des
Menschen führen. Wolfgang Koch führt zwei aristotelische Textpassagen (Historia
animalium (588b 4 -589a 9) und De partibus animalium (681a 10) sowie einen
Aufsatz von Otfried Höffe an, der unter dem Titel „Der Mensch – die Krone der
Schöpfung?“ im Internet erschienen ist. Darin werden die theologischen
Implikationen der Redensart abgewiesen.
Zuletzt
haben wir im Abschnitt 8 von Buch X gelesen, daß
Aristoteles
die artbildenden Unterschiede zwischen den beiden Spezies Mensch und Pferd
gegenüber der Gattung Lebewesen zu einem Gattungsunterschied umbenennt, der die
Gattung selber verschieden macht.
Die
beiden Spezies werden also tiefer voneinander geschieden – es werden ihnen
beinahe zwei Animalitäten zugeschrieben.
Diese
Problematik ist ein schwieriger Sonderfall innerhalb eines anderen
(post)aristotelischen Lehrstücks – genannt „Arbor porphyriana“.
Da
geht es nicht um die Hierarchie der natürlichen Wesen sondern um die logische
Aufstufung vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Individuum über die differentia
specifica zur Spezies und vom genus proximum bis zum genus summum.
Zweierlei Schemata für die „Ordnung der Dinge“
Die
Gattung, innerhalb derer verschiedene Spezies (Plural!) nebeneinander stehen,
lässt sich als supraspezifische Ebene bezeichnen. Hingegen bilden die
Individuen, die zu ein und derselben Spezies gehören, die subspezifische Ebene.
Sie tragen auch Eigenschaften, durch die sich einzelne Individuen voneinander
unterscheiden können.
Und
da sind die Farben einzusetzen, deren Polarität (zwischen Weiß und Schwarz) im
Abschnitt 7 thematisert worden ist.
Nun
geht es darum, wie die Farben als Eigenschaften den Menschen zugeschrieben
werden und ob sie etwa eine Rolle für die Ordnung der Menschen spielen.
Die
Eigenschaft „weiß“ ist uns schon sehr oft begegnet und wir haben uns
beispielsweie am 25. Jänner 2017 gefragt, ob damit die menschliche Hautfarbe
gemeint ist, die konventionell den Europäern zugeschrieben wird - oder etwa
irgendeine andere Art von Blässe. „Weiß“ und „gebildet“ sind die beiden Eigenschaften,
die Aristoteles den Menschen quasi automatisch zuspricht – und zwar als
Akzidenzien. Er betont immer wieder, dass sie nicht wesenhaft sind. Das müsste
eigentlich heißen, dass Menschen auch eine andere Hautfarbe haben können, dass
es also weiße und andersfarbige Menschen gibt und sie sich dadurch voneinander
unterscheiden können.
Innerhalb
der Metaphysik spricht Aristoteles erst hier ausdrücklich davon, dass es weiße
und schwarze Menschen gibt. Und er stellt klar, dass es beim weißen Menschen gegenüber
dem schwarzen Menschen keinen Unterschied der Art nach gibt, auch dann nicht,
wenn man jeden mit einem besonderen Ausdruck bezeichnet. „... deshalb sind ja
auch die einzelnen Menschen nicht Arten des Menschen ...“ (1058b 4-7)
Es
wird angedeutet, dass die Bezeichungen „weiß“ und „schwarz“, auch wenn sie rein
denotativ gemeint sind, schwerlich konnotative, also ästimative Bedeutungen
vermeiden können, zumal sie ja zwischen Selbst- und Fremdbezeichnungen oszillieren
müssen. Sprachliche Bezeichnungen können nicht so natürlich sein wie die
bezeichneten Eigenschaften vielleicht sind. Vor allem bei der Bezeichnung
„weiß“ ist unübersehbar, dass sie rein deskriptiv fast immer eine verfälschende
Schematisierung darstellt. Parallel zu dieser Benennung kann die erscheinende
Hautfarbe durch Körperverhalten oder Kosmetik in Richtung „weiß“ befördert
werden oder aber im Gegenteil entsprechend einer im 20. Jahrhundert
aufgekommenen Mode in Richtung „braun“ modifiziert werden.
Akzidenzielle
Bestimmungen machen Unterschiede zwischen Individuen, also interindividuelle
oder zwischenmenschliche Unterschiede und sie bilden auch dann keine Arten,
wenn sie zu homogenen Gruppen, Sorten oder Rassen zusammengefasst werden. Was
ja bekanntlich in der modernen Politik sehr wirkmächtig geworden ist.
(In
einer großen Klammer komme ich jetzt auf das zweite Akzidens zu sprechen, welches
von Aristoteles in großer Regelmäßigkeit dem Menschen zugesprochen wird: die
Eigenschaft „gebildet“, wörtlicher „musisch“. Im Unterschied zu „weiß“
offensichtoich keine natürliche Eigenschaft sondern ein Ergebnis kultureller
Anstrengung – die individuell, sozial, auch politisch geleistet, gefördert oder
aber hintertrieben wird. Diese Eigenschaft wird auch von Aristoteles positiv
geschätzt, auch wenn die knappen Erwähnungen in der Metaphysik das kaum
erkennen lassen.
Die
menschlichen Individuen unterscheiden sich voneinander auch dadurch, dass sie
mehr oder weniger oder vielleicht gar nicht gebildet sind. Aristoteles spricht
jedoch hier nicht davon, dass gebildete und ungebildete Menschen miteinander
oder nebeneinander koexistieren und damit unterschiedliche Menschensorten
bilden. Jedenfalls würde er diese nicht als Arten betrachten; die Menschenart
übergreift alle solche akzidenziellen Unterscheidungen.
Den
Kontrast zwischen „gebildet“ und „ungebildet“ situiert er in der Schrift Über
Werden und Vergehen innerhalb eines Individuums, von dem er
apodiktisch-aphoristisch berichtet: „Der gebildete Mensch ist vergangen, der
ungebildete Mensch ist entstanden, doch der Mensch besteht als dasselbe
weiter.“ (De generatione 319b 6f.) Das Ergebnis dieses inversen Bildungsfalles
wird sein, dass es dann einen Ungebildeten mehr gibt.)
Während
die vielen flüchtigen Andeutungen vom weißen und vom gebildeten Menschen den
Eindruck erwecken konnten, Aristoteles halte sowohl diese sogenannte weiße
Hautfarbe wie auch das erfreuliche Erziehungsresultat für selbstverständlich
mit dem Wesen des Menschen gegeben, so erfahren wir nun, dass er die
akzidenziellen Unterschiede zwischen den Individuen und sogar innerhalb der
Individuen nicht übersieht.
Im
Abschnitt 9 von Buch X kommt Aristoteles noch auf einen anderen akzidenziellen
Unterschied zwischen den Menschen zu sprechen, den er jedenfalls in der
Metaphysik nur selten thematisiert - zuletzt in 1030b 20-27.
In
1058a 29ff. schreibt er, es könnte jemand unschlüssig sein darüber, weshalb
sich die Frau vom Manne nicht der Art nach unterscheide. Das klingt fast so,
als würde irgendein Anschein oder irgendeine Annahme eher dafür sprechen. Und
ebenso die Tatsache, dass der Unterschied zwischen dem weiblichen und dem
männlichen Lebewesen ein Unterschied des Lebewesens an sich ist. Männlich und
weiblich kommen dem Lebewesen zu, insofern es Lebewesen ist – ganz anders als
weiß und schwarz.
Es
fällt nicht schwer zu verstehen, wieso ausgerechnet diese akzidenziellen
Bestimmungen, die man heute die sexuellen nennt, dem Lebewesen an sich zukommen
– also der Gattung. Und es lässt sich feststellen, dass sie – anders als die
beiden anderen hier genannten Menscheneigenschaften – drei porphyrianische
Ebenen nicht nur berühren sondern tragen und gestalten: die individuelle, die
spezifische, die generische.
Walter
Seitter
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