τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Mittwoch, 8. September 2021

In der Metaphysik lesen * Ponge – Sonne V


Im Nachwort zum Tischbuch von Francis Ponge[1] habe ich zwischen Wissenschaftlicher und Philosophischer und Poetischer Physik unterschieden und dazu bemerkt, daß zwischen den dreien keine hohen Mauern aufgerichtet sind, sondern daß gegenseitiges Wahrnehmen und sogar Abschreiben nicht ausgeschlossen sind.

 

Am 13. Juni 1953 fertigte Ponge auf sechs Blättern Auszüge aus einem Handbuch physikalischer Astronomie, Le Soleil von Georges Bruhat und Lucien d‘_Azambuja, an. Die Auszüge beschränken sich im Wesentlichen auf das erste Kapitel über Geometrische und physikalische Gegebenheiten. Einen Tag später fügte er noch ein Schema zur Auswirkung der Sonnenenergie auf autotrophe Lebewesen (Pflanzen), Mineralien und heterotrophe Lebewesen (Tiere, Menschen) hinzu; außerdem noch eine Formel für (oxygene) Photosynthese: Umwandlung, durch (Sonnen)Lichteinwirkung, von Kohlenstoffdioxid und Wasser zu Glucose (Traubenzucker) und Wasser. Dazu sein Kommentar: „Das ist die dem Leben wesentliche Reaktion. Nicht wir bringen sie hervor. Die Natur bringt sie hervor. Diese Reaktion ist endothermisch: sie bedarf der Energie. Die Sonnenstrahlung stellt sie zur Verfügung. Sie bringt Chlorophyll hervor, eine hochkomplexe Verbindung …  Durch diese Reaktion also kommt es zur Bildung von Kohlehydraten (Glucosen). Doch die Pflanzen können sie nicht nach Belieben erwirken, denn sie akzeptieren nicht unbeschränkte Zufuhr von Wasser und Kohlenstoffdioxid….“ (566f.)

 

Ponge macht dazu folgende Bemerkungen: „Die Sonne ist nur ein gelber, schwach leuchtender Stern, der Größe 5. ungefähr, verloren unter Milliarden anderer im Innern einer Galaxie, die vielleicht selber nur Teil eines Moleküls ist, dessen Zusammensetzung und Nutzung uns entgeht. Manchmal finden erst durch Deflation, im Verlauf einer insgeheim rückwendigen Operation, die Proportionen ins entsprechende Verhältnis, wodurch alles wieder in Funktion gesetzt wird. Eine Art Abmagerungskur … Die Schwierigkeit im Vorgang der Zurücknahme … des großartigen Eindrucks, den die Sonne, am und als Ursprung alles Lebens (auf der Erde) auf alles Lebendige macht, liegt darin, daß der Rahmen, in dem die Sonne … funktioniert, fehlt. Mit der Abkühlung des Verhältnisses zur Sonne setzt für den (irdischen) Beobachter nicht weniger als das Leben als Anhaltspunkt im Hinblick auf die Funktion der Sonne, der Rahmen aus Leben-und-Tod, in den er sich (wie die Sonne) gespannt fand, aus.“ (567).

 

„Hier wird die tyrannische Ausstrahlung benutzt, um jene diversen Aktivitäten einzuräumen, deren eine, durch gebundenen Kohlenstoff, in der Schaffung eines Licht- und Energieersatzes liegt. Die es insbesondere erlaubt (wo nicht auf Sonne zu verzichten), zumindest sie zu untersuchen und in Gedanken an den ihr zukommenden Platz zurückzustellen …. Eine andere unter den diversen Aktivitäten ist das Feuer. (Prometheus).  Durch gebundenen Kohlenstoff schafft sie ein Licht, das (gewissermaßen) das Sonnenlicht ersetzen, und also (zusätzlich) dessen Beobachtung erleichtern kann….“ (567f.) 

 

Die Chlorophyll-Notiz zur Photosynthese setzt die Tyrannei der Sonne, zusätzlich zur Minimierung ihres Status in galaktischen und intergalaktischen Dimensionen unterm Gesichtspunkt physikalischer Astronomie, der ihre Verkleinerung ins Mikroskopische provoziert, auch im und als Ursprung des Lebens (auf der Erde), der ihr zugeschrieben wird, unter Druck: die abgestorbenen Pflanzen bilden (organisch) gebundenen Kohlenstoff, der als Licht- und Energieersatz der Sonne ironisch  … Paroli bietet. 

 

 

„Um alles zu sagen. Doch in eben diesem Augenblick empfinde ich die Versuchung, die Sonne zu definieren. So sucht mich die Versuchung heim.“ (584)              

 

Walter Seitter


[1] Francis Ponge: Der Tisch (Klagenfurt 2011, 2019)

 

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