3. Juli 2022
In der Sitzung vom 15. Juni sagte Wolfgang Koch, alle mittelalterlichen Philosophen hätten Gott in der Mitte der Welt situiert. Nur Thomas von Aquin sei die große Ausnahme gewesen, der noch dazu Gott für unerkennbar gehalten habe.
Am letzten Mittwoch brachte Wolfgang Koch ein Thomas-Zitat mit, welches zur räumlichen Situierung Gottes gar nichts sagt, aber auf den ersten Blick seine Unerkennbarkeit statuiert.
« Nec hoc debet movere, quod in Deo idem est essentia et esse, ut prima ratio proponebat. Nam hoc intelligitur de esse quo Deus in seipso subsistit, quod nobis quale sit ignotum est, sicut eius essentia. Non autem intelligitur de esse quod significat compositionem intellectus. Sic enim esse Deum sub demonstratione cadit, dum ex rationibus demonstrativis mens nostra inducitur huiusmodi propositionem de Deo formare qua exprimat Deum esse. »
Es handelt sich um den Absatz 7 im Kapitel 12 von Buch I der Summa contra Gentiles. Dieses Buch nimmt sich vor, die Lehre der katholischen Kirche betreffend Gott und sein Verhältnis zu den Menschen so weit zu beweisen und darzulegen, wie dies mit der natürlichen Vernunft und damit der Philosophie möglich ist. Ein Teilbereich der Theologie, der als Funamentaltheologie oder Apologetik bezeichnet wird.
Der Absatz formuliert eine überwiegend negative Phase in dem Beweisgang, in welchem Gott indirekt aus den sinnlich wahrnehmbaren Dingen als deren Ursache und zwar durch Verneinung von deren Bestimmungen erkannt werden soll.
Gott ist nicht von vornherein erkannt, und nicht direkt, einfach und vollständig erkennbar. Daher wird der sogenannte ontologische Gottesbeweis, den Anselm von Canterbury ungefähr hundert Jahre vor Thomas formuliert hat, abgewiesen.
Obwohl die Summa contra Gentiles die philosophische Gotteslehre gegen sogenannte Ungläubige verteidigen will, werden derartige abzulehnende Positionen fast gar nicht erwähnt. Die jeweiligen Gegenpositionen werden nur hypothetisch aufgestellt.
Das Besondere am Kapitel 12 liegt nun daran, daß hier die Gegenposition gar nicht bei irgendwelchen Ungläubigen unterstellt wird – sondern ausdrücklich bei denen „die sagen, daß Gott nicht bewiesen werden kann sondern allein durch den Glauben anzunehmen ist“.
Thomas situiert also seine umständliche in 102 Kapitel (Buch I) gegliederte Unternehmung zur Gotteserkenntnis auch gegen Nur-Gläubige. Und man muß sich fragen, wen er damit konkret gemeint haben könnte. In erster Linie vielleicht zeitgenössische christliche Theologen – in Klammer Sekten Fragezeichen – die sich durch Übereifer in Sachen Glauben und Offenbarungsdenken (siehe Absatz 1) ausgezeichnet haben und dem menschlichen Erkenntnisvermögen mit seiner Zusammengesetztheit mißtrauen. Oder aber islamische Theologen wie Al-Gazzali, die einen ähnlichen Fideismus vertreten. Oder aber Thomas springt auf die lutherische Theologie vor, die seine Kennzeichnung „sola fide“ wörtlich übernommen und zu ihrer Parole gemacht hat – welche sie allerdings durch zwei weitere „sola“-Parolen abzustützen für nötig gehalten hat. Daß dieser Thomas-Satz mit seiner absichtlichen Paradoxie jetzt in unsere Aristoteles-Lektüre hereinzitiert wird, liegt wohl daran, daß Aristoteles mit seinem Insistieren auf dem – allerdings stückwerkhaften – Erscheinen der Dinge auch heute noch für unbefriedigend, unmodern, unwissenschaftlich sowieso gehalten wird.
Thomas mit seinem zusammengesetzten Intellekt bastelt schließlich im Buch I dieser Summa eine aus mehreren Dutzenden von Propositionen zusammengesetzte Gotteserkenntis. Einige davon lauten: Die Meinung derer, die sagen, Gott könne nicht bewiesen werden, da er selbst-evident sei. Argumente für den Beweis Gottes. Gott gehört keiner Gattung an. In Gott gibt es keine passive Potenzialität. In Gott gibt es keine Materie. In Gott gibt es keine Zusammensetzung. In Gott gibt es nichts Gewalttätiges und nichts Unnatürliches. Gott ist nicht Körper. Gott ist seine Wesenheit. In Gott ist kein Akzidens. Gott ist nicht das formale Sein aller Dinge. Gott ist nicht die Form irgendeines Körpers. Von der göttlichen Vollkommenheit. Welche Namen von Gott ausgesagt werden können. Die verschiedenen Namen Gottes sind keine Synonyme. Wie unser Intellekt eine Proposition über Gott bildet. Gott ist gut. Gott ist einer. Gott ist unendlich. Gott ist intelligent. Gottes Intelligenz ist seine Wesenheit. Gott erkennt zunächst und von sich aus nur sich selber. Gott erkennt andere Dinge. Argumente zur Überlegung, wie die Vielheit der Intellekte im göttlichen Intellekt besteht. Die göttliche Erkenntnis ist nicht diskursiv. Gott erkennt nicht durch Zusammensetzen und Auseinandernehmen. Gott ist Wahrheit. Gott ist reinste Wahrheit. Die Argumente derer, die die Erkennntis der Einzeldinge von Gott abtun wollen. Gott erkennt niedrige Dinge. Gott erkennt Übel. Gott hat einen Willen. Gottes Wille ist sein Wesen. Der göttliche Wille nimmt den Dingen nicht ihre Kontingenz und zwingt ihnen keine absolute Notwendigkeit auf. In Gott ist freier Wille. In Gott sind keine leidenschaftlichen Affekte. Die Ergötzung und Freude in Gott tut seiner Vollkommenheit keinen Abbruch. In Gott sind moralische Tugenden, die sich auf Aktionen beziehen. In Gott sind kontemplative Tugenden. In Gott ist kein Haß. Gott lebt. Gott ist glückselig.
Soweit einige Titel von Propositionen über Gott – von Thomas von Aquin.
Walter Seitter
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen