τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Mittwoch, 26. Oktober 2022

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 17 (68vB - 68vF) Seite 150, Z 1 bis Seite 152, Z 1 bei Burnett

  19. Oktober 2022

 

 

Im zweiten Buch von Hermanns „De Essentiis“ wird zu Beginn der Begriff Natur eingeführt, als ein bestimmtes Gesetz der universalen Form, wobei habitudo hier mit Form übersetzt wurde. Kaum eingeführt ist schon klar, dass der Begriff zunächst schwierig zu bestimmen ist und in ein Verhältnis zu Gott gebracht werden muss. Hermann zitiert dabei aus der Fülle seiner Lektüren, beginnend mit Cicero, Ovid und Seneca, die von einer Identität von Natur und Gott ausgehen.

 

Hermann weiß alles, zumindest hat er einen gründlichen Überblick über die damals gerade noch bekannten wichtigen Autoren der Antike, ohne dass bei ihm der Gedanke eines unterschiedlichen Zeitalters oder einer notwendigen Wiedergeburt auftaucht. Die Fäden der Argumente werden von Platon zu den medizinischen Autoren seiner Zeit geführt und mit theologischen Gedanken über die Entstehung des Bösen sowie mit astrologischen Themen und kosmologischen Erwägungen zu historischen Ereignissen vermischt. Walter Seitter würde die Art der Wissenschaft, die von Hermann hier betrieben wird, am ehesten als Kosmologie bezeichnen und das ist gar nicht von der Hand zu weisen, da Hermann nach ein paar Seiten zu den Planeten zurückkehrt, wann immer ein Einfluss auf ein historisches Ereignis erklärt werden soll oder ein Lebensverlauf vorhergesagt werden soll.

 

Als andere Vorstellung der Natur wird von Hermann die dreifache Natur der Seele des Universums bei Platon vorgestellt. Aber da taucht mit einer gewissen drängenden Notwendigkeit die „andere Natur“ auf, denn in der medizinischen Ordnung sind „Dinge gegen die Natur“ hinzugefügt. Und noch schwerwiegender scheint es, dass die von Gott geschaffene Natur sich ins Gegenteil kehren kann, also zum Widersacher Gottes wird. Hermann fragt sich, woher dieses Widerständige kommen kann. Ein Grund wäre, dass man die Natur nicht so allgemein bestimmen kann, denn es würde den Versuch bedeuten, das Unbegrenzte durch feste Grenzen beschränken zu wollen.

Die Frage nach dem Widersacher Gottes in der Natur bleibt vorläufig als Anmerkung stehen und Hermann wendet sich wieder seinen begrifflichen Bestimmungen zu. Zuerst stellt er fest, dass die Natur von unaufhörlicher Dauer ist. Was ist das Unaufhörliche? Eine sich durch die universelle Zeugung verbreitende und bewahrende Habitudo, hier am ehesten als Gestalt zu übersetzen. Habitudo wird in der Folge entweder als Aufnahme und Ausübung oder Zustand von Kraft zwischen Gleichen und Gegensätzlichen bestimmt, was uns auf die folgende Einteilung der drei Teile der Natur vorbereitet, wobei wir es hauptsächlich mit den gespannten Mischungen aus Gleichen und Gegensätzlichen zu tun haben werden.

 

Also schreibt Hermann die Dreiteilung von Platons Weltseele als die drei Teile seiner Natur auf, die „gleiche Natur“, die „unterschiedliche Natur“ und die „gemischte Natur“, in die eine störende Andersheit einfließt. Diese „gemische Natur“ gehorcht dem „Gleichen“ und bewegt die „Unterschiedlichen“ und ist die Mutter der zweiten Zeugung und die zweite Ursache all ihrer Bewegungen. Denn wie die Zeugungen müssen auch die Ursachen in allgemeiner Weise aufgestellt werden, um eine Abfolge der Bewegungen nachvollziehen zu können.

 

Das wird alles im Habitus der Wissenschaft vorgetragen, obwohl der durch die Praxis erworbene Habitus Hermanns eher der eines Übersetzers in der Übersetzerschule von Toledo ist. Ein zweiter Habitus oder eine habituelle Mischung von Übersetzung und Wissenschaft?

 

Karl Bruckschwaiger

 

 

 

Nächste Sitzung: Mittwoch 26. Oktober 2022, Aristoteles Buch XIII

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