Die Sache mit den erkenntnispolitischen Orientierungen, welche auch den Wissenschaften zugrundeliegen, „obwohl“ sie auf Begründetheit, kritische Absicherung und Objektivität ihrer Aussagen Anspruch erheben, diese Sache, die ich in den zuerst 1985 erschienenen Menschenfassungen als Problem benannt und einerseits historisch illustriert, andererseits auch theoretisch skizziert habe, und auf die Michel Serres in seiner Lukrez-Paraphrase langsam aber sicher zusteuert, die ist nun offensichtlich publikumswirksam bekannt geworden, und zwar in der Serres-Version.
Eine der einschlägigen Textstellen habe ich in meinem letzten Sommer-Dichter-Lektüre-Protokoll Nummer IX vom 28. September 2022 zitiert:
„Die Mars-Natur, die martialische Physik, wird von festen, von harten Körpern gebildet, die venerische Natur und Physik entsteht im Fließenden.“
Und nun lese ich, daß Francis Fukuyama in seinem neuen Buch Der Liberalismus und seine Feinde (Hamburg 2022) eine Autorin zitiert, die behauptet, es gebe eine männliche Physik, das sei die Festkörpermechanik, und eine weibliche Physik, nämlich die Strömungsmechanik.[1] Allem Anschein nach ist diese Aussage der obigen Serres-Stelle nachgebildet – aber mit grober Entstellung. Dazu sagt Fukuyama, da werde die Identitätspolitik absolut gesetzt, alles sei beeinflußt durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, es gebe keine objektive Realität.
Serres deutet in seinem Text schon an, daß er mit dieser These nicht die Objektivität der Wissenschaft in Abrede stellt, sondern ihr einen „subjektiven“ Faktor unterschiebt, was eine heikle und mißverständliche Hypothese sei.
Es besteht also aller Grund, die Serres:Lukrez-Lektüre fortzusetzen.
Walter
Seitter
[1] Karl Gauhofer im Gespräch mit Francis Fukuyama: Der alte Haß auf die neue Vielfalt, in: Die Presse, Spectrum, 1. Oktober 2022.
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