τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Dienstag, 14. Februar 2023

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 24 (71rA - 72rH) Seite 176, Z 18 bis Seite 180, Z 7 bei Burnett

Mittwoch, den 8. Februar 2023 

 

Eingangs wurde wieder besprochen, mit welchem Selbstverständnis Hermann seine Schriften verfasst habe. Walter Seitter will darauf hinaus, das Hermann sein Projekt als Wissenschaft verstanden habe und fragt mich, wie Hermann es selbst benannt hat, ob er es selbst als Wissenschaft bezeichnen würde. Ich meinte kurz, ohne zu lange zu überlegen und genau zu erinnern, das er es zumindest als Untersuchung benannt habe. Aber eine kurze Überprüfung ergibt, das Hermann weder das Wort „quaestio“ noch „investigatione“, sondern „studium“ „opus“ oder „tractatus“ verwendet, was nicht ganz die wissenschaftliche Untersuchung trifft. Dennoch benennt er viele wissenschaftliche Tätigkeiten, die er als Selbstbeschreibung seines Projekts anführt, wie einteilen - dividere, Vorschläge machen - propositiones, beschreiben - describere, Beobachtungen machen - observationes, er zitiert aus anderen Werken und polemisiert gegen andere Ansichten.

Das Wort „scientia“ wird von Hermann, laut index verborum von Burnett, genau zweimal verwendet, an Stellen, wo er Autoritäten zitiert, einmal Boethius auf 68vD, das andere Mal Ptolemäus auf 78rD. Damit zielt dieser Begriff bei Hermann weniger auf die forschende Tätigkeit in einem Bereich, sondern mehr auf das Einbringen von gesichertem Wissen. Das Begründen und Ordnen von Wissen überlässt Hermann anderen Autoritäten oder aber Gott, der neben Schöpfer – creator eben auch Gründer – conditor und Handwerker – artifex genannt wird. Weil die Welt aus handwerklicher Tätigkeit entstanden, kann sie auch verstanden werden, weil Gott diese Möglichkeit offen gelassen hat. Man muss die Zusammensetzung – compositio der Welt erkennen wollen, indem man die richtigen Unterscheidungen – differentiae trifft. So ist man in der Lage den Aufbau – constitutio der Welt zu verstehen, wenn man die Konstruktion der Dinge – rerum constructione aus den Elementen der Welt, der Materie oder Körper (elementa mundi) erklären kann. Dazu kommen noch geometrische und logische Hilfsmittel wie Kreise, Kugel, Längen, Intervalle, Durchmesser oder Möglichkeit, Notwendigkeit und Wirklichkeit.

Man kann mit einigen Recht sagen, dass sich Hermann als Wissenschaftler versteht, wenn er sich auch von einigen Wissenschaften distanziert, wie der Medizin, und andere bevorzugt wie Astronomie und Astrologie.

Im vorgelesenen Abschnitt bringt er die Unterschiede zur Sprache, die die Essenz der Einfachheit der Substanz einprägt. Dadurch treten neue Teilungen auf, zwischen körperlich und unkörperlich. Das Körperliche teilt sich wieder in beständig und vergänglich. So hat ein Lebewesen sowohl eine körperliche wie eine unkörperliche Substanz, die allgemeine Konstitution beider Gattungen von Substanz ist fühlendes Lebewesen. Dass ich hier sensibilis nicht mit fühlbar, sondern mit fühlend (wie auch Burnett) übersetzt habe, wird von Walter Seitter eigens gelobt, denn auch Hermann kann sich irren. Aber Hermann stellt sich die Frage, was es bedeutet, wenn wir beide Gattungen als fühlende Dinge bestimmen, für die materiellen Körper ist es klar, für die Seele nicht. Daher muss das Fühlen der Seele untersucht werden.

Zuerst wurde noch festgestellt, dass die Seele die Vernunft aus der eigenen Natur hat, der Körper aber von der Seele. Aber Hermann stellt sich die Frage nach der Gefühls- und Wahrnehmungsverbindung von Körper und Seele. So scheint es ihm, dass die Seele von den Schmerzen des Körpers beeinflusst wird. Er fragt weiter nach den Wahrnehmungen der Seele ohne die körperlichen Organe (instrumentis), ob die Seele ohne Augen sehen kann. Er bejaht die Frage und meint sogar, das die Seele weiter sehen kann und auch Macht über die potentielle Existenz von Dingen hat, da die Sicht durch kein körperliches Hindernis begrenzt wird. Dass die Seele dennoch körperliche Kraft spürt oder erleidet, hat mit ihrer Verwandtschaft mit einem tierischen Geist zu tun.

Wenn es darum geht, ob die Seele die höllischen Strafen der ewigen Flammen spüren kann, verweist er auf die Autorität der Theologen, wobei er sich dabei keine eigene Autorität zumisst. Neben der Frage nach dem Verzehr einer unlöslichen Substanz wie der Seele durch materielle höllische Flammen, wird noch die irdische Frage nach dem Brennmaterial gestellt. Da führt Hermann die unaufhörlichen Feuer der Vulkane Ätna und Vesuv an, die seit frühester Zeit unaufhörlich Feuer ohne Einbuße an Materie ausstoßen.

Es folgt eine dreiteilige Spekulation über die Materie, in der Hermann Boethius folgt, geteilt in Zusammensetzung, Anordnung und kontrollierende Ursachen – compositiodispositiocausa moderante. Die Zusammensetzung ist eine Mischung aus den konstituierenden Ursachen, während die Anordnung die geordnete Habitudo des Gemischten ist. Deren Vereinigung führt zur Bildung und Vervollkommnung jeder körperlichen Substanz.

 

 

Karl Bruckschwaiger

 

Nächster Termin:  22. Februar 2023

Aristoteles, Metaphysik, XIII. Buch, ab 1086 b 12

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