Mittwoch, den 19. April 2023
Hermann wendet sich weiter gegen den angeblichen Atomismus von Galen mit dem überraschenden Argument, das auch die kältesten Eltern ein männliches Kind bekommen können, wenn die astrologische Wahl oder Bestimmung durch die Sterne stimmt. Hier meint Hermann ein klares Argument zu haben, wie er schreibt, „dass die Wirkung der Natur durch die obige Kraft vollständig beeinflusst wird, da die Anordnung dieser Natur der Änderung jener Disposition folgt“. Dennoch läßt eine genaue Lektüre auf eine Verunsicherung Hermanns durch Galens innere, stoffliche Methode und Behandlung der Körper schließen, denn Hermann zitiert Galen mit einer Stelle, die das schwierige Wissen oder gar die Unerkennbarkeit von Dingen behauptet, die nicht unter die Sinneswahrnehmung fallen. Das soll wohl seine astrologische Einflusstheorie bestärken, die hier mit einem sogenannten Wissen einspringen kann. Dabei glaubt Hermann nach einer besonders strikten Disziplin vorzugehen, diese Selbsteinschätzung kommt wohl von der Euklid-Übersetzung her, die für Hermann auch ein Maßstab für wissenschaftliche Methodik gewesen sein dürfte.
Dazu ein aktuelles Buch von Benjamin Wardhaugh: „Begegnungen mit Euklid – Wie die »Elemente« die Welt veränderten.“ (2022) Der Autor legt in seiner wissenschaftsgeschichtlichen Darstellung auch einigen Wert auf die stilbildenden Folgen der Lektüre durch die Jahrhunderte, er erwähnt Hermann de Carinthia allerdings nur kurz im Kapitel über Abaelard.
Hermann zitiert Galen, worin dieser den Überblick über die Medizin einem genauen Detailwissen vorzuziehen scheint. Zitat aus Galen: „Es ist notwendig, so weit wie möglich zu versuchen, die Stärken und Schwächen (der Medizin) zu kennen, wenn auch nicht nach einer bestimmten strikten Disziplin, sondern nach einer Art kunstgerechter Vermutung.“ - im lateinischen Original „sed secundum coniecturam quandam artificialem.“ Während in der Medizin die kunstgerechte Vermutung vielleicht zu einer gelungenen Behandlung führt, besteht Hermanns Einflusstheorie eigentlich nur aus Vermutungen, die zu keiner zuverlässigen Voraussage führen, sondern nur zu rückwärtsgewandten Erklärungsversuchen.
Burnett kann die zitierten Stellen keinen bestimmten Werk von Galen zuordnen und auch ich verfüge nicht über die Kenntnis des umfangreichen Werks Galens, um es genau zu bestimmen, ich würde es in den Bänden „Methode der Medizin“ vermuten.
Hermann kehrt zu seiner Vorstellung zurück, dass die Essenzen die Mischung der Substanz betreiben und dadurch die verschiedenen Erscheinungen des Frühlings, des Sommers und des Herbstes schaffen. In diese Erörterung fällt die Erwähnung des sogenannten Geburtshoroskops (genezia) für die Zeit von Jesu Geburt, was schon etwas unvereinbar mit der christlichen Tradition scheint, wenn dadurch eine Hilfestellung des Mondes bei der Geburt Jesu impliziert wäre.
Dieser Verdacht einer Führung durch den Mond drängt sich im nächsten Absatz auf, wenn Hermann von den Aufgaben des mittleren Teils, also der Planeten, spricht, die das rechtmäßige Bündnis der Gesellschaft herstellen sollen. Dabei hätten die Planeten die eigene Führung wie der Mond über den ganzen Körper, die Sonne über die Seele, der Merkur über die Vernunft, die gemeinsame Führung (hier unmissverständlich das Wort ducatus), wie die Sonne über das Gehirn, der Mond das Mark und Merkur die Öffnungen des Körpers. Die gemeinsame Führung ist teilweise substantiell, teilweise akzidentiell, wegen der eigenen Bewegung der Planeten.
Mineralien – Pflanzen – Tiere
Wenn sich die Materie für die Form öffnet (vielleicht habe ich hier „patens“ schon etwas sexuell interpretiert) und eine Mischung aus Erde und Wasser anzieht, bildet sich ein Mineral. Es ist eine Bewegung ohne die Vermittlung eines Samens, direkt aus der Materie herausgerissen und dennoch der Ursprung der Natur.
Kommt ein weiteres Element dazu werden Pflanzen gebildet, sie erstrecken sich auch von der Erde durch das Wasser in die Luft, sind zwar belebt, aber noch nicht fühlend. Hermann kommt hier bereits auf die künstlich geschaffenen Arten von Pflanzen zu sprechen, die aus einer sekundären Bewegung der Zeugung heraus geschaffen werden – also durch Züchtung. Die kunstfertig gezeugten Pflanzen bringen Unterschiede zu den ursprünglichen Arten hervor.
Tiere sind aus allen vier Elementen gebildet und haben zusätzlich sinnliche Wahrnehmung und willkürliche Bewegungsfähigkeit. Es gibt eine kurze Gliederung nach den Bewegungsarten und Überlegungen zu verschiedenen Mischungen wie fliegende Schlangen, was eine Mischung aus Fliegen und Kriechen wäre. Auch eine Mischung in den Reichen der Natur zwischen Pflanzen und Tieren wird kurz angerissen. Auch hier wird über die Kunstfertigkeit (artificium) die Arbeit der Natur übernommen und es entstehen neue Arten von Tieren wie das Maultier.
Sowohl Pflanzen wie auch Tiere benötigen zur Aufrechterhaltung der Proportionen Ernährung durch Brennstoffe (fomentis), mit denen sie durch Zu- und Abflüsse wachsen und abnehmen, bis Bewegungen dieser Art notwendigerweise zu ihrem Ende kommen.
Karl Bruckschwaiger
nächste Sitzung: 4. Mai 2023
Hermann lesen, 75rF, S.200 bei Burnett
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