τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

* * *

Donnerstag, 7. Mai 2015

In der Metaphysik lesen (1017a 31 – 1017b 9)

Gegenstand dieses Kapitels ist das Seiende, folglich erscheint das Seiende oder aber leichte sprachliche Abwandlungen wie die Sein (Plural) oder das Sein als Subjekt von Sätzen nach dem Schema „to on legetai .....“. Zunächst sind diesem Subjekt die Kategorien zugesprochen worden – und zwar disjunktiv.

Jetzt heißt das Subjekt das „Sein“ oder das „ist“ und von ihm wird gesagt, dass es wahr sei. Und zwar sozusagen automatischerweise, notwendigerweise, scholastisch gesagt konvertiblerweise: alles Seiende ist in dem Maß, in dem es ist, wahr und diese Skala führt auch nach unten in Richtung Nicht-Sein, wo dann das Prädikat „nicht wahr“ lautet. Soweit die ontologische Wahrheit. In der Umgangssprache aber dominiert die logische, die Aussagenwahrheit: eine keineswegs notwendige, nur mögliche, eventuell erwünschte Eigenschaft von Aussagen. Aristoteles nennt die beiden Sorten Bejahung und Verneinung. Es gibt auch viele Aussagen, die nicht wahrheitsfähig sind – zum Beispiel Fragen, Befehle: aber sie implizieren irgendwie wahrheitsfähige Aussagen. Foucault hat in der Archäologie des Wissens das Kunststück fertiggebracht, ein ganzes Buch über Aussagen zu schreiben und den Wahrheitsbezug so gut wie beiseitezulassen (mit dem Parallelbegriff „Wissen“ hat er ihn doch berücksichtigt).

Dann werden dem Sein und Seienden disjunktiv zwei Prädikate zugesprochen: Möglichkeit oder Vollendung, genauer gesagt: der Möglichkeit nach oder der Vollendung (Wirklichkeit) nach. Und als Beispiele (für Sein bzw. Seiendes) werden genannt: sehen(d), Wissen gebrauchen(d), ruhen(d). Meine Vermutung, mit dem Sehen als Beispiel für Sein konzipiere Aristoteles die leibnizianische Konvertibilität „esse est percipere“, ist wohl nicht zutreffend. Das Sehen ist nur ein Beispiel, ebenso die angewandte Wissenschaft oder die Ruhe. Hingegen könnte die Polarität zwischen „möglich“ und „wirklich“ (wofür einmal auch das neugriechische Wort für „existierend“ eingesetzt wird) sehr wohl als Transzendentalie gelten: das Seiende ist weniger oder mehr „vollendend-vollendet“ - womit die Polarität in eine gleitende Skala umformuliert wäre.

Als nächste Substrat-Kategorie für dieselbe Polarität dann die Wesen mit den Beispielen der Entstehung eines Hermes aus bzw. in dem Stein, die kurze Linie in der langen, das reifende Weizenkorn in der Ähre. Artefakt (aus einem bereits herausgeschnittenen Stück Natur), Geometrie, Natur (landwirtschaftlich geförderte Natur).

Walter Seitter


--

Sitzung vom 6. Mai 2015 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen