Gegenstand
dieses Kapitels ist das Seiende, folglich erscheint das Seiende oder aber
leichte sprachliche Abwandlungen wie die Sein (Plural) oder das Sein als
Subjekt von Sätzen nach dem Schema „to on legetai .....“. Zunächst sind diesem
Subjekt die Kategorien zugesprochen worden – und zwar disjunktiv.
Jetzt heißt
das Subjekt das „Sein“ oder das „ist“ und von ihm wird gesagt, dass es wahr
sei. Und zwar sozusagen automatischerweise, notwendigerweise, scholastisch
gesagt konvertiblerweise: alles Seiende ist in dem Maß, in dem es ist, wahr und
diese Skala führt auch nach unten in Richtung Nicht-Sein, wo dann das Prädikat
„nicht wahr“ lautet. Soweit die ontologische Wahrheit. In der Umgangssprache
aber dominiert die logische, die Aussagenwahrheit: eine keineswegs notwendige,
nur mögliche, eventuell erwünschte Eigenschaft von Aussagen. Aristoteles nennt
die beiden Sorten Bejahung und Verneinung. Es gibt auch viele Aussagen, die
nicht wahrheitsfähig sind – zum Beispiel Fragen, Befehle: aber sie implizieren
irgendwie wahrheitsfähige Aussagen. Foucault hat in der Archäologie des
Wissens das Kunststück fertiggebracht, ein ganzes Buch über Aussagen zu
schreiben und den Wahrheitsbezug so gut wie beiseitezulassen (mit dem
Parallelbegriff „Wissen“ hat er ihn doch berücksichtigt).
Dann werden
dem Sein und Seienden disjunktiv zwei Prädikate zugesprochen: Möglichkeit oder
Vollendung, genauer gesagt: der Möglichkeit nach oder der Vollendung
(Wirklichkeit) nach. Und als Beispiele (für Sein bzw. Seiendes) werden genannt:
sehen(d), Wissen gebrauchen(d), ruhen(d). Meine Vermutung, mit dem Sehen als
Beispiel für Sein konzipiere Aristoteles die leibnizianische Konvertibilität
„esse est percipere“, ist wohl nicht zutreffend. Das Sehen ist nur ein
Beispiel, ebenso die angewandte Wissenschaft oder die Ruhe. Hingegen könnte die
Polarität zwischen „möglich“ und „wirklich“ (wofür einmal auch das
neugriechische Wort für „existierend“ eingesetzt wird) sehr wohl als
Transzendentalie gelten: das Seiende ist weniger oder mehr
„vollendend-vollendet“ - womit die Polarität in eine gleitende Skala
umformuliert wäre.
Als nächste
Substrat-Kategorie für dieselbe Polarität dann die Wesen mit den Beispielen der
Entstehung eines Hermes aus bzw. in dem Stein, die kurze Linie in der langen,
das reifende Weizenkorn in der Ähre. Artefakt (aus einem bereits
herausgeschnittenen Stück Natur), Geometrie, Natur (landwirtschaftlich
geförderte Natur).
Walter Seitter
--
Sitzung vom 6. Mai 2015
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen