Buch III gilt als das Aporien-Buch: 14 Fragen, deren
Behandlung, Durcharbeitung, Lösung einen – oder den? – methodischen Einstieg in
die „gesuchte Wissenschaft“ bildet.
Der Begriff „Aporie“ lenkt die Erinnerung zurück an
ein anderes Vorkommen von Aporien in der griechischen Philosophie, nämlich in
den platonischen, vor allem in den frühen, Dialogen, nennen wir sie lieber die
sokratischen Dialoge. Da hat das Wort „Aporie“ eine eher „subjektive“ oder
sagen wir lieber eine fast „existenzielle“ Bedeutung, häufig auch mit dem Verb
„aporein“ bezeichnet. Diese Bedeutung spielt auch bei Aristoteles gelegentlich
herein (Met. I, 982b 17f, 995a 31f.), aber in den sokratischen Dialogen ist sie
die dominante, ja die einzige. Da handelt es sich um Zustände der Verlegenheit,
des Nichteinundauswissens innerhalb einer Diskussion, eines Streitgesprächs.
Und zwar so gut wie immer aufseiten von Gesprächspartnern des Sokrates, denen
er mit seiner aggressiven Fragerei ihre Selbstgewißheit ausgetrieben hat.
Sokrates zerstört bei den anderen die Gewißheiten, die Selbstverständlichkeiten
soweit, daß sie ihre Verlegenheit, eben ihre „Aporie“, ihr „aporein“
eingestehen müssen – womit sie gezwungen werden, das Gespräch mit Sokrates
fortzusetzen – egal ob dieses dann zu einer Auflösung der Aporien führt oder
nicht. Immerhin entzieht Sokrates sich selber auch nicht der „Aporetisierung“,
wie seine Aussage, er wisse immerhin, daß er nicht weiß, was andere zu wissen
meinen (vgl. Platon: Apologie 21d 4ff.) zeigt. Seine eigene man könnte sagen
„Lehr-Aporetisierung“ wurde von einem delphischen Orakelspruch provoziert und
sie hat ihn - angeblich - dazu berufen, andere in die „Aporie“ genannte Enge zu
treiben.
Zu denen, die von Sokrates dergestalt behandelt worden
sind, gehört Menon – und der gibt es ihm richtig heraus, indem er aus seiner
kognitiven Ausweglosigkeit – in einer Diskussion über das Wesen der Tugend -
heraus zu einer praktischen Replik ansetzt – wenn auch nur im Sinne einer vagen
Drohung: du mit deiner Gesprächsführung, du tust gut daran, unsere Stadt nicht
zu verlassen; wenn du dich anderswo als Fremder derart aufführen würdest, würde
man dich als Zauberer festnehmen (vgl. Platon: Menon 13, 80). Eine
heimtückische Warnung: denn genau in seiner Heimatstadt sollte Sokrates
festgenommen werden und nicht nur das.
Wir können sagen, daß zwischen dem sokratischen
Aporetisieren, einer Art Mitbürger-Belästigung, und dem aristotelischen
Aporien-Buch, einem rein theoretischen Fragenkatalog, ein bestimmter Zyklus von
Philosophieren in Gang gesetzt worden ist: auf der Strecke dazwischen liegen
noch die positive Formulierung der platonischen Lehre sowie die Inangriffnahme
der objektsprachlichen Untersuchungen des Aristoteles über die Lebewesen, die
Seele, den Himmel, die praktischen und die poietischen Tätigkeiten. Mit dem Aporien-Buch
dürfte dieser Zyklus – nennen wir ihn den klassisch-athenischen - allerdings
nicht zum Abschluß gekommen sein; denn es bringt ja nur den methodischen
Einstieg in die sogenannte gesuchte Wissenschaft, die ein anderes Niveau
erreichen will als die vielen Einzeluntersuchungen. Aber genau wissen wir noch
nicht, wohin die Aporien-Behandlung wirklich führen wird.
In der Nennung der aristotelischen Aporien folgt nun
die Frage, ob nur die Wesen zu betrachten sind oder auch die Akzidenzien der
Wesen an sich bzw. zu welcher Wissenschaft mehrere Grundbegriffe gehören, von
denen die Dialektiker ausgehen, deren Präzisionsgrad zwischen dem der
Wissenschaftler und dem der Rhetoriker liegt. Weiterhin eine anders
spezialisierte Fragestellung in bezug auf Akzidenzien. Dann die Frage, ob sich
die Prinzipien aus der Gattungszugehörigkeit bestimmen oder aus den
Bestandteilen. Sodann die Frage, ob das Gattungsprinzip außerhalb des
Individuums und höherrangig existiert. Das sind nun lauter aristotelische, zum
Teil auch platonische Fragen.
Walter Seitter
PS.: Am kommenden Mittwoch um 16 Uhr Lektüre von
Aristoteles Physik II, 1 und Martin Heidegger „Vom Wesen und Begriff der Physis.
Arisoteles, Physik B,1" – mit Peter Berz (Berlin).
PPS.: Kunsthistorisches Museum
Dienstag,
13. November: Ausstellung „Bunte Götter“
16 Uhr:
Oliver Primavesi (München): Winckelmann als
Entdecker
der Farbigkeit der griechischen Skulptur
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