τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Mittwoch, 8. April 2015

Verstreute Randbemerkungen

Die Annäherung Ihrer Aristoteles-Lektüren an die Chemie ist wirklich sehr anregend. Ein paar kleine Randbemerkungen fielen mir dazu ein.

Die Frage nach Linie oder Kreis: Denken Sie, denkt die Hermesgruppe es eigentlich als möglich, mit Koyré die Kosmologie des Aristoteles ganz vom Kreis her zu denken, bis in die Sphären, und dagegen die neuzeitliche Wissenschaft seit Galilei von der unendlichen Geraden her? „Ich stelle mir vor, mente concipio, eine unendliche, ganz glatte Ebene, auf der ein Körper (eine Kugel) ohne Widerstände in einer Richtung rollt ...“ – das wird von Koyré/Heidegger als die Grund-Anordnung des neuzeitlichen Wissens stilisiert. Und dagegen die Kreisform als Grundlage des Aristoteles, über die Koyré/Heidegger freilich nur Andeutungen machen.

Das andere wäre die Frage, ob Aristoteles, Euklid und vielleicht die
römische Wissenschaft die Linie wirklich von der Bewegung her gedacht haben, also als etwas, was von einem sich bewegenden Punkt generiert wird? Ist das nicht ein Ergebnis erst der Trigonometrie, also von Pi, also der Bewegung eines generierenden Kreises? Und Euklid hätte wirklich nur die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten konstruiert und mit dieser Konstruktion argumentiert.

Ein kleiner Nebengedanke: Wäre es – ganz freihändig gedacht – auch eine Möglichkeit, die Tragödie vom Drama zu unterscheiden, indem man die Tragödie als ein Geschehen, als Verwandlung an und in Substanzen begreift, das Drama als Geschehen an Akzidenzien? Wahrscheinlich läge das gar nicht im aristotelischen Horizont.

Wesen und Wesenheit: Es wäre schön, einmal eine kleine Arbeit über den Ausdruck, die Programmatik des Wortes „Lebewesen“ zu versuchen. (Ich versuche intern seit längerer Zeit, das Wort Organismus, wo immer möglich, durch Lebewesen zu ersetzen.)

Und die Verbindung zur Transsubstantiation, die Sie machen, ist
wirklich passionierend! Auch Bruno Latours Nachdenken kreist ja seit
einiger Zeit – völlig griechenvergessen - um die Frage: Warum werden nicht Korn und Traube, sondern Brot und Wein in Fleisch und Blut
trans-substantiiert? Er sagt: Es sind eben schon Produkte der Kultur, der Technik, mithin künstliche Produkte, die gewandelt werden.


Peter Berz

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Berlin, im April

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