Am Beginn der
Sitzung macht Bernd Schmeikal korrigierende bzw. ergänzende Ausführungen zu
meinem letzten Protokoll in Sachen Entropie und Negentropie – sie finden sich als
Kommentar an das Protokoll vom 10. Januar. Dazu noch der Begriff
„Phasenübergang“, der auch die Veränderungen der Aggregatzustände bezeichnet.
Der Abschnitt
19 ist so extrem kurz – er besteht aus kaum mehr als einem Satz, dass ich mich
des Eindrucks nicht erwehren kann, das Buch V sei nicht ganz ordentlich
komponiert oder redigiert – womit das hier gewählte Stichwort als Frage an das
ganze Kapitel gerichtet wird. Wie ordentlich ist die Anordnung seiner Teile?
Ist diese Anordnung eher chaotisch oder doch „kosmisch“.
Denn das
Stichwort lautet „Disposition“ – ich ziehe hier die lateinische Übersetzung
vor, weil sie dem Griechischen näher ist. Disposition ist die Ordnung, die
innere Ordnung eines Dinges, das über Teile verfügt, und zwar über Teile in
drei möglichen Hinsichten: Raumteile, Fähigkeitsteile, Definitionsteile. Dann
wird aus dem Wort „Disposition“ der Wortteil „Position“ herausgegriffen und als
Begriff oder Sache dem Begriff oder der Sache „Disposition“ irgendwie
zugeordnet. Ich finde diesen Nachsatz semantisch nicht besonders klar – als
syntaktische Operation hingegen zumindest reizvoll. Was wiederum gut „passt“ –
denn die Disposition steht der Syntax besonders nahe.
Wie
überzeugend dieser lakonische Abschnitt 19 auch sein mag, sein Thema oder gar
sein Anliegen ist die Ordnung und das wollte ich mit meiner etwas ironischen
Paraphrase auch gar nicht in Abrede stellen. Wohl aber wollte ich darauf
hinweisen, dass man sich mit dem Insistieren auf der Ordnung auch ein bisschen
verhaspeln kann – und das tut Aristoteles hier, indem er die Lakonie doch etwas
übertreibt. Wenn man eine Sache extrem verkürzt, hat sie nämlich höchstens zwei
oder drei Teile, und dann ist es mit der Ordnungsleistung möglicherweise nicht
mehr weit her.
Gianluigi
Segalerba weist darauf hin, dass nicht Platon der Hauptgegner des Aristoteles
ist sondern Empedokles, dessen Lehre von Liebe und Streit voller Selbstwidersprüche
sei. Daß Aristoteles bei aller Kritik an Platon doch Platon-Schüler geblieben
sei, habe ich in den Sechzigerjahren ganz explizit bei Helmut Kuhn in München
gehört (und Eric Voegelin hat der Sache nach dasselbe gemeint).[1]
Das Stichwort
in Abschnitt 20 lautet „hexis“ – das Verbalsubstantiv von „echein“. Also heißt
„hexis“: Habung, Haltung, Habitus. Schwarz übersetzt mit „Zustand“,
„Innehaben“. Aristoteles insistiert in seiner Worterklärung auf dem verbalen
Verbalnomen, das zwischen zwei nominalen Verbalnomina steht: Verwirklichung
sowohl des Habenden wie des Gehabten. Praxis und kinesis wie poiesis, die
zwischen dem Bewirkenden und dem Bewirkten steht. Die Gewandtragung steht
zwischen dem Träger des Gewandes und dem getragenen Gewand.
Die zweite
Bedeutung von Hexis wird unter Disposition subsumiert – die also doch etwas
weiter ausgeführt wird. Und zwar im Sinn von Befinden, sich gut oder schlecht
befinden; etwa Gesundheit. Hexis kann auch ein Teil eines solchen Befindens
sein. Teil der Gesundheit? Etwa Kräftigkeit oder Appetit oder ... Und jetzt
erst kommt Aristoteles auf das Wort, welches in seiner Lehre den wichtigsten
Anwendungsbereich der Hexis bezeichnet: „arete“: Tüchtigkeit, Vortrefflichkeit,
Tugend. In der Ethik wird die Hexis als Gattungsbegriff für die Tugenden
eingeführt. Hier dasselbe Wort – aber wohl noch vor der ethischen
Spezifizierung. Bloß irgendwelchen Teilen zugesprochen, und zwar
Dispositionsteilen.
Aristoteles
geht mit „seinen“ Begriffen manchmal sozusagen respektlos um.
Walter Seitter
Sitzung vom 13. Jänner 2016
[1]
Meinem
Lehrer Eric Voegelin (1901–1985), dem gemeinhin und nicht ganz zu Unrecht eine
platonisch-aristotelische Orientierung nachgesagt wird, widme ich hier aus eher
politischem Anlaß eine Fußnote und zwar aufgrund einer Erwähnung, die ihm Jörg
Scheller jetzt in der ZEIT zuteil werden lässt. Scheller setzt sich mit Marc
Jongen auseinander, der mit flotten und (selbst)widersprüchlichen Thesen eine
„konservative“ Position zu entwickeln sucht. Und stellt ihm als Beispiel für
ein glaubwürdiges konservatives Denken Voegelin gegenüber, der amerikanische
Common-Sense-Philosophie mit philosophisch durchdachtem Christentum, „offene
Gesellschaft“ mit meditativer „Offenheit der Seele“ verbinde. Siehe Jörg
Scheller: Wenn die stolzen Geister denken, in: DIE ZEIT 2016/3.
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