In den
Weihnachtsferien las ich zwei Bücher des schwedischen Schriftstellers Aris
Fioretos (den ich vor drei Jahren in Berlin gesehen und getroffen habe und im
letzten Dezember wieder in Wien).
Er ist
mütterlicherseits österreichischer und väterlicherseits griechischer Herkunft.
Und diese Herkunft liefert indirekt und direkt den Stoff sowohl für den Roman Der
letzte Grieche (München 2011) wie für Die halbe Sonne. Ein Buch über
einen Vater (München 2012). Das zuletzt genannte Buch würde sich gut zu
einer philosophischen Interpretation eignen, ja eine solche herausfordern, weil
es mit seiner ungewöhnlichen Schreibweise selber eine Reihe von theoretischen
oder analytischen oder spekulativen Methoden einsetzt.
Doch möchte
ich nur einige letzte Zeilen des erstgenannten Buches zitieren, welche die
Bilanz eines tödlichen Verkehrsunfalls ziehen, bei dem ein Vater und seine neun
Monate alte Tochter sterben. Diese Zeilen treiben auf die Spitze, worüber wir
gesprochen haben, als wir im Abschnitt 13 von Buch V von der Kategorie der
Quantität gelesen haben: indirekt nämlich akzidenziell können auch Menschen als
Quanten bezeichnet werden.
So schreibt
Fioretos von den beiden Toten des Verkehrsunfalls, der sich am 29. November
1969 in Zagreb ereignet hat:
256
Zentimeter, 74,5 Kilo
Zweieinhalb
Quadratmeter Haut
Vier Augen:
zwei grüne, zwei schwarze
Zweiunddreißig
Zähne, verteilt auf einen Mund
Zwei Münder
Zwanzig
Finger, zwanzig Zehen, mehrere Knochenbrüche
Ein anderes
von mir jetzt gelesenes Buch ist Gold und Geist. Prolegomena zu einer
Theorie des Schmucks (Berlin 2015) – also eine philosophische Abhandlung.
Ich greife daraus nur ein Kapitel heraus, dessen Titel „Apeiron und Kosmos“
an den Abschnitt 17 anklingt, der vom peras handelt – dem Gegenteil von apeiron.
Mazumdar
übersetzt peras mit „Schranke“ und schreibt, der Begriff sei für die
Konzeption des kosmos als des endlichen Weltganzen maßgeblich gewesen,
welches von einem Endlosen (apeiron) umflossen sei. Nach Anaximandros
und anderen Naturphilosophen sei das apeiron göttlich, unsterblich und
unvergänglich.
Aristoteles
hingegen lässt das Unendliche nur potenziell gelten – sozusagen in der
logisch-mathematischen Dimension. Er verwirft eine substanzielle Konzeption des
Unendlichen; insofern gehört er dem Hauptstrom der griechischen Tradition an,
der das Unendliche als das Unbestimmte, Chaotische, Nichtige dem Endlichen als
dem Begrenzten, Bestimmten, Substanziellen nachordnet.
Bemerkenswert,
dass mit kosmos das Ganze des Seienden als endliches bestimmt wird, was
mit den Zusatzbedeutungen „Ordnung“ und „Schmuck“ gut zusammenpasst.
Walter Seitter
PS.: Erstes
Wiener Philosophen-Café im Café Korb am Samstag, 9. Jänner 2016, um 16
Uhr. „Warum existiert die Welt?“
Apeiron, chaos, ... wunderbar. Heute am Abend die Frage "warum existiert die Welt", angesichts der zivilen und politischen Tatsachen eine geradezu märchenhafte. Ich kann heute nicht ins Café Korb kommen. Aber mir fiel, als ich die Frage las, sofort ein: ist das die wichtige, die richtige Frage? Oder sollten wir die Herausforderung in folgendem Satz sehen, "warum stellen wir die Frage, warum die Welt existiert". Denn daraus ergibt sich eine richtige Frage als Antwort: "Gibt es die Welt und uns in dieser Welt vielleicht deshalb, damit wir die Frage stellen, warum es sie gibt?"
AntwortenLöschenBeste Grüße, Bernd