In der Metaphysik lesen (BUCH VII (Z),
1031b 3 – 28)
In 1031a 30 bis 1031b 18 wird die
platonische Lehre vom Wesen referiert und problematisiert – jedenfalls eine,
von der sich Aristoteles absetzt und die er mit den „Ideen“ assoziiert, die er
„irgendwelchen“ unterstellt. Er scheint also von der platonischen „Ideenlehre“
zu sprechen.
Ich habe geschrieben, das Gute, das
Lebewesen, das Seiende (1031a 32) - seien nach Aristoteles die platonische
Erfindung. Nicht etwa kommen diese Begriffe nur bei Platon vor, wohl aber setzt
nur Platon sie zu einer solchen Reihe zusammen. Bei Aristoteles wird das Gute
zu einer Ursache (982b 10, 983a 32)), das Lebewesen ist bei ihm die zentrale
Realitätssorte, das Seiende ist bei ihm der Fundamentalbegriff der Ontologie
(noch vor allen Kategorien). Im aristotelischen Platon-Referat ist jeder dieser
Begriffe dadurch gekennzeichnet, dass der einfache Begriff verschieden ist von
seiner Zusammensetzung mit dem Infinitiv „sein“ und dass außerdem immer noch
ein anderes Wesen, eine andere Natur und Idee, nämlich eine frühere,
vorausgesetzt ist. Also ein dreifaches Auseinandersein kennzeichnet eine jede
dieser Entitäten – zu denen noch das Eine und das Schöne dazugenannt
werden. Womit der Eindruck vervollständigt wird, es handle sich um platonische
Ideen. Auch um die „speziellen“ platonischen Ideen.
Diese sind ja dann vor allem in der
deutschen Klassik um 1800 zur Triade des Wahren, Schönen und Guten
zusammengefasst worden (und am 14. Dezember 2016 habe ich sie in mein
Philosophisches Manifest aufgenommen). Daher wird denn jetzt auch gefragt, ob
das Wahre ebenfalls genannt werden müsste. Man kann diese Frage bejahen, es
gibt bei Platon Stellen, die sich in diesem Sinne verstehen lassen. Etwa Phaidros
247c ff.: „überhimmlischer Ort“ mit der „Rede von der Wahrheit“, vom
„wirklich seienden Wesen“, „Ort des Geschlechts des wahren Wissens“, „Wissen in
dem, was wirklich seiend ist“, „Gefilde der Wahrheit“ ....
Und Aristoteles nennt im Buch I der Metaphysik
die Wahrheit als diejenige Instanz, welche die Philosophen zwingt, die Suche
nach den Prinzipien weiterzutreiben (984b 9).
In dem nun gelesenen Text lässt sich
Aristoteles zwischendurch doch darauf ein, dass man das Gute und die
benachbarten Eigenschaften auch verselbständigen kann – aber dann müsste man
ihr Auseinandersein aufheben, das bei Platon methexis heißt: also
Mithabe, Teilhabe, Abhängigkeit. Man müsste sie „komprimieren“, zur Koinzidenz
von Was-ist und Das-da bringen. Man müsste die „Aus(einander)setzung“, die in
der philosophischen Erkenntnistätigkeit unvermeidlich ist und die Platon
anscheinend verfestigt hat, rückgängig machen. Man müsste die Sachen zur
„Re-koinzidenz“ führen.[1]
Daß man Eigenschaften wie „gut“,
„schön“ mit einem Wesen wie „Lebewesen“ und sogar mit dem präkategorialen
„seiend“ in eine Reihe stellt, das will Aristoteles zunächst nicht
einleuchten. Aber er verschließt sich nicht ganz und gar dieser Sicht und baut
sie in seine Ursachenlehre ein.
Und in einer längeren Klammerpassage
wiederholt Aristoteles dann aus den vorhergehenden Abschnitten die Ansicht, dass
die Differenzbehauptung in Bezug auf Wesen und gewöhnliche Eigenschaften wie
„weiß“ und „musisch“ sehr wohl aufrechterhalten werden muss, womit der
hierarchische Primat der Wesensbestimmung neuerlich betont wird. Eine
Koinzidenz wäre nach Aristoteles insofern zu bejahen, als man den
Vorgang des Weiß-werdens in Betracht zieht. (1031b 28, 1037b 17). Das würde
heißen: der Prozess könnte die Abgehobenheit des Wesens relativieren.
Walter Seitter
Sitzung vom 29. November 2017
[1] Mit diesem
Ausdruck drehe ich die „De-koinzidenz“ um, mit der François Jullien das Leben
vom Sein abhebt, aber auch dem platonischen „Ort der Ideen, Gefilde der
Wahrheit“ eine Funktion bei der Mobilisierung des Lebens zuspricht. Siehe
François Jullien: Vivre en existant. Une nouvelle Éthique (Paris 2016):
127, 201ff. Für den Hinweis danke ich Gerhard Weinberger.
Nächste Sitzung am 6. Dezember 2017