τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Freitag, 7. Januar 2022

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 5 ( 60rG -60vC)


Der Teil aus Hermanns Schrift, der gelesen wurde, musste vor Ort von Walter Seitter und mir ad hoc übersetzt werden, da ich die vorbereitete Übersetzung vergessen hatte mitzunehmen.

Dieser Abschnitt ist von dem englischen Übersetzer Burnett mit dem Zwischentitel „Gottes Schöpfung von Materie und Form“ versehen worden.

In den ersten Sätzen wird eine Teilhaberschaft an der Schöpfung Gottes angesprochen. Wenn das Wort „consors“ aber eher als Genosse oder Gefährte übersetzt wird, dann könnte man Burnett, dem englischen Übersetzer, folgen, der die Schöpfung gleichsam als Gefährten Gottes sieht. Dazu würde zwar passen, dass Hermann hier die Elemente als Samen bezeichnet und damit die biologische Reproduktion auf die kosmische Ebene der Schöpfung hebt. Gleichzeitig schränkt er die Möglichkeit der Gefährtenschaft stark ein, wenn er Unsterblichkeit und vollkommene Ursprünge und feste Verbindungen als Voraussetzungen dieser Teilhaberschaft verlangt.

 

Da aber weder das völlig Gleiche noch das nur Verschiedene eine feste Bindung möglich machen, noch die Fähigkeit zur Zeugung haben, ist es notwendig, das Gott nicht nur die Samen legt, sondern die Samen vorher sorgfältig sortiert und bestimmt. In diesem Schöpfungsbericht muss Gott in seiner Schöpfung viel nacharbeiten, denn die Elemente sind offensichtlich nicht richtig aufgestellt, um sich vermischen und mit der Zeugung beginnen zu können.

Die Zeugungsfähigkeit wird hier mit der Fähigkeit sich zu vermischen gleichgesetzt.

 

Gott muss die Samen zuerst sortieren, damit er die mit der Fähigkeit sich zu mischen, die die fortwährende Zeugung gewährleistet (commiscendi potentia, virtutisque generative), aus dem ursprünglichen Durcheinander herausfindet. Um dieses anfängliche Durcheinander zu beseitigen, Hermann verwendet für diesen Zustand das Wort „confusa“, sind verschiedene Sortiervorgänge erforderlich.

Zuerst wird ein Sortiervorgang angesprochen, der sich für Samen nicht eignet, wohl aber für andere Elemente, nämlich der Schmelzofen, der vermischte Erze in reine Metalle trennt. Es wird eine Ordnung durch Zeichen hergestellt.

Der nächste Sortiervorgang ist der des Siebens oder Filtrierens, der die Samen oder Elemente nach Größe oder Feinheit trennt, wobei das Material mit der größeren Feinheit den Namen „Essenz“ bekommt, während der Bodensatz, der lateinische Ausdruck ist sedimen, hier zur Substanz wird.

Zu dem Wort „colamentum“ - Filtrat macht Burnett eine Anmerkung, wo er auf den Worfelkorb in Platons Timaios hinweist, wobei die leichtere Spreu vom Wind weggeweht wird und eigentlich der unbrauchbare Teil des Trennungsprozesses ist und das verbleibende Korn das gewünschte Resultat ist. Dann wird von Burnett noch auf die Verwendung in den Schriften des medizinischen Corpus der Zeit verwiesen, wie „Constantine tr. Isaak, De Urina, p.144: Urina est colamentum sanguinis“. Das benötigt selbst wieder etwas Aufklärung, der angesprochene medizinische Corpus, der in den 1080-er Jahren entstand, enthält neben Hippokrates und Galen auch die Übersetzung des „Liber de Urinis“ von Isaac Israeli, eines jüdischen Arztes (850-932) aus Ägypten durch Constantinus Africanus, einem tunesischen Arzt und konvertierten Mönch in Montecassino.

 

Obwohl Hermann hier die Ansicht der medizinischen Autoren wiedergibt, widerspricht er den dargestellten Vorgängen nicht vollends. Wir befinden uns mit dem Schmelzofen und der Filtrationsanlage gedanklich in der Werkstatt des Alchemisten. Jedenfalls werden die Ergebnisse des Filtriervorgangs Zahlen oder Zahlenreihen zugeordnet und es wird von der ebenen Fläche als Ausgangspunkt der Körper gesprochen.

Dass Körper aus dreieckigen Flächen aufgebaut werden könnten, darüber wird von Platon im „Timaios“, 53 bis 55 und darüber hinaus, gesprochen und das wird von Aristoteles in „Werden und Vergehen“, 315b, 30ff als unlogisch – alogon abgelehnt. Diese Zerlegung von Körpern in Flächen führt Aristoteles einige Zeilen später auf den Verzicht von Erfahrung und dem Zuviel an rein logischen Argumenten zurück.

„Ursache der geringeren Fähigkeit, die zusammengehörigen Konsequenzen zu überblicken, ist der Verzicht auf Erfahrung (apeiria); weshalb diejenigen, die mehr in den physikalischen Verhältnissen bewandert sind, eher in der Lage sind, solche Prinzipien vorauszusetzen, die ein größeres Feld bündig erklären können; die aber infolge vieler rein logischer Argumentationen keine Betrachtungen über die Tatsachen anstellen, die urteilen, weil sie nur auf Weniges ihren Blick richten, zu leichtfertig.“ (Aristoteles, Über Werden und Vergehen, 316a, 5-10)

 

Hermann erwähnt die Flächen hier nur kurz, und der Widerspruch von Aristoteles wird Hermann nur ungefähr bekannt gewesen sein, aber die erwähnte Schrift von Aristoteles war zu der Zeit im Westen bekannt.

Im Text von Hermann sucht der Schöpfer nach der richtigen Anordnung und Auswahl der Samen, um die Wirkung der Zeugungsfähigkeit zu erreichen. Dazu muss noch die Mischung von Bewirken und Erleiden, Aktivität und Passivität hergestellt werden. Dafür ist es notwendig das Geschlecht der Samen herauszufinden, und das gleiche Geschlecht kann man dadurch erkennen, das es unvermischt und ungesellig bleibt. So werden jetzt männliche und weibliche Samen in jeweils drei Reihen angeordnet und gepaart, wobei nur die jeweils dritten Reihen mit der ständigen Zeugungsfähigkeit ausgestattet werden.

 

Karl Bruckschwaiger

 

Nächster Termin: 12. Jänner 2022

Aristoteles, Metaphysik, Buch XIII

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