τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Montag, 21. Februar 2022

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 8 (62rB - 62vF)

 16. Februar 2022

 

 

Wenn Hermann Schwierigkeiten hat, die Entstehung der Körper aus Materie oder dem Unkörperlichen der ersten Samen folgerichtig zu entwickeln und deshalb als Zwischenstufe den „unkörperlichen Körper“ einführt, kommt es zum ersten und größten Unterschied zwischen den erhaltenen Handschriften, in denen der Text überliefert ist. Charles Burnett gibt an, drei Handschriften verwendet zu haben, erstens die Handschrift N in der Biblioteca Nazionale in Neapel, möglicherweise aus der Zeit von Hermann selbst, zweitens die Handschrift C in Oxford im Corpus Christi College aus dem 14. Jahrhundert und drittens die Handschrift L im Britisch Museum in London aus dem Jahre 1423. Die Manuskripte L und C sind etwas umfangreicher, Burnett führt sieben Stellen an, wo der Unterschied auch inhaltlich augenfällig ist.

 

Es geht also um die Selbst-Identität der ersten Samen, um das sogenannte „Dasselbe-Sein“ der Materie, die allen Zeugungen vorausgeht. Da fehlt offenbar etwas, deswegen werden in den Handschriften LC noch die ersten einfachen Elemente wie Hitze, Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit als grundlegende Formen eingeführt, die die Materie vor der Ankunft der Körper mit den ersten Unterschieden versieht. Diese Welt der materiellen Körper wird erst in der zweiten Zeugung aus den Mischungen dieser Elemente oder Prinzipien zu den Körpern gemacht, die daraus entstehen und wieder vergehen. Als nächstes versucht Hermann den Ursprung der Materie aus den ersten Samen gegen die Vorstellung der Elemente als Teile oder Teilchen abzugrenzen, mit dem Argument, das die Teile sich in ihren jeweiligen Orten aufhalten, während die Samen universelle Elemente sind, die für die Notwendigkeit der Form in den Zusammensetzungen der Körper bereitgestellt sind.

 

Womit wir bei der Klärung sind, was Form überhaupt ist, und welche Vereinbarungen zwischen den Prinzipien der Dinge bestehen, die erste Bewegung der Zusammensetzungen ist das Hinzutreten der Form zur Materie. Wenn Hermann mit den Unterschieden in der Materie durch die Form beginnt, kommt er zum Gedanken, das es keine Erkenntnis (notitiam) der Materie geben kann ohne Teilungen, uns so jeder Begriff (notio) von der Form herkommt. Um das Spiel mit dem lateinischen Wort nota weiterzutreiben, wird jetzt von Formen der Dinge als Zeichen (nota) jedes Aufbaus gesprochen. Man könnte mit gleicher Berechtigung nota auch mit Merkmal oder Markierung übersetzen, eventuell auch als Note in einem musikalischen Aufbau. Denn in diesen Noten, Zeichen oder Merkmalen liegt die Erkenntnis aller Dinge, wobei es zwei Teile von Unterschieden in den Dingen gibt, den der Art und der Anzahl. Die Anzahl ist kein Unterschied in der Substanz, sondern im Einzelwesen. Die Formen der Dinge sind von „Derselben-Art“, untereinander erkennbar, tragen zur Schönheit des Aufbaus der Welt bei. Schönheit und Wohlgeformtheit, Hermann nennt es Glätte (expolitio), sind der Form eigentümlich. Die Gattung ist von der Materie bestimmt, die es von der Essenz bekommt, und die Arten von den Unterscheidungen, die das Individuum bestimmen. Daher sind die Arten der Dinge die Formen, die sie beschreibbar machen. Die Form selbst kann noch viele verschiedene Zeichen enthalten, die die Unterscheidungen in der Form selbst vermehren. Aber der erste Beweggrund darf nicht vergessen werden, der muss als Schöpfungsrest noch bewahrt werden, weil wir sonst in einem Materie-Form-Dualismus aufgehen würden.

Bezüglich dem Vermögen bestehen alle Formen in der Materie potentiell, dort wo die Form ist, besteht die Materie in seiner Aktualität. An dieser Stelle wird mit einem Zitat von Boethius noch einmal bekräftigt, dass nicht nur die Erkenntnis aus der Form möglich ist, weil es von der Materie als Ungeformtem kein Wissen geben kann, sondern dass auch das Sein der Dinge nur in der Form liegt. Hermann kommt so zum Schluss, das die Formen der Dinge die Substanzen selbst sind. Das Individuum kann nicht mehr bestimmt werden sondern nur beschrieben.

Hier bricht der Text in seiner Argumentation.

Der erste Ursprung aller Formen wird jetzt nicht in einem Bewegungsgrund gesucht, sondern von der reinen Form der Göttlichkeit als Abbild herkommend in einem Spiegel in viele Teilbilder zerspringend. Ein kurzer theologischer Exkurs.

 

Wir kehren zum Resümee der Bestandteile der Form zurück, die zum einen aus einer inneren Habitudo besteht, die das Verhältnis der Mischung angibt, und zum andern aus der äußeren Vervollständigung (absolutio) im Aufbau der Gestalt oder Figur des Dinges.

 

Karl Bruckschwaiger

 

 

nächste Sitzung: 23. Februar 2022 – Aristoteles lesen, XIII Buch, ab 1077a, 30

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