τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Dienstag, 8. Februar 2022

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 7 (61vB -62rB)

2. Februar 2022

 

Bei der Rekapitulation der vorhergehenden Sitzungen zu Hermanns De Essentiis sprach ich über die Zweiteilung der Schöpfung in reine Samen und vermischte, wobei nur bestimmte Mischungen die Zeugungsfähigkeit haben sollen und so die Schöpfung Gottes in die nächsten Generationen weitertragen können. Dabei muss Gott selbst das Geschlecht der Samen herausfinden, das er daran erkennt, dass die Samen, die unvermischt bleiben und alle Gemeinschaft meiden, dasselbe Geschlecht haben. Da zwischen den Samen des gleichen Geschlechts keine Zeugungsfähigkeit möglich ist, musste Gott das Geschlecht erkennen, um sie entsprechend zu sortieren und zu gruppieren. Walter Seitter sieht darin eine deutliche Zurückweisung der Homosexualität, während Wolfgang Koch dies ablehnt. Was die Zeugungsfähigkeit und die Produktion von Nachkommen betrifft, wird es wohl stimmen, aber Gott stellt zuerst zwei Reihen des gleichen Geschlechts her und erst die dritte Reihe ist mit dem Vermögen der Zeugungsfähigkeit ausgestattet.

Da klingt für mich wie zwei Klassen von geistlichen Ständen und ein dritter Stand der allgemeinen Gesellschaft. Gleichsam ein Männerorden, ein Frauenorden und das Volk der Laien, die sich fortpflanzen sollen.

 

Wir haben uns bei der Lesung von Hermann im Sumpf der ungeformten Materie ohne Eigenschaften und Unterscheidung wiedergefunden. Wie kommt hier die Form ins Spiel?

Es soll zuerst der Status dieser ersten Samen geklärt werden. Während das materielle Behältnis der körperlichen Form sehr unruhig ist, wie sich Hermann ausdrückt, also veränderlich und vergänglich, muss es einen stabilen und unveränderlichen Anteil oder eine gleichbleibende Eigenschaft der Körper geben, die eben diese ersten Samen sind. Die ersten Samen können trotz ihrer Stabilität nicht außerhalb der Körper sein, noch ohne sie bestehen. Zugleich sind sie weder der Körper selbst, noch sein Entstehungsgrund. Hier wird eine Parallele zwischen Vernunft (ratio) und dem Vernünftigen (rationale) hergestellt, sodass es keine Vernunft außerhalb des Vernünftigen geben kann. Das heißt nicht, dass diese ersten Samen, die Dasselbe sind, also mit sich identisch, zeitlich früher sind. Vorher muss dargelegt werden was unter „früher“ verstanden werden kann.

Die Darlegung fällt kürzer aus als die Ankündigung. Denn in der Feststellung der vier Arten von „früher“, legt sich Hermann sofort auf ein „früher“ der Natur nach fest. Er führt zwar an, dass Aristoteles eine fünfte Art von „früher“ hinzufügt, er hält sich selbst aber nicht damit auf.

Bei Hermann sind die Arten von „früher“: der Ordnung, des Ortes, der Zeit und der Natur nach.

Bei Aristoteles im 12. Kapitel der Kategorienschrift ist die Reihung eine andere, nämlich der Zeit, der Abfolge des Seins, der Ordnung und der Würde nach, die fünfte als Umkehrung der zweiten, wenn die Aussage wahr ist.

Hermann fasst nahezu dieselben Beispiele von Aristoteles zu der zweiten und dritten Art von „früher“ zusammen und nennt es der Natur nach. Die konkreten Beispiele sind die Reihenfolge der Zahlen und der Vorrang der geometrischen Elemente vor den Figuren. Hermann kennt auch formale Unmöglichkeiten, wo kein „früher“ diskutiert wird, wie dass kein Mittelpunkt eines Kreises außerhalb des Kreises liegen kann.

Hermann ordnet die Materie in der Aktualität als körperliche Substanz ein, während sie dem Vermögen oder der Potenz nach als unkörperlich gesehen wird. Dabei hat die Aktualität nicht den ontologischen Vorrang vor dem Vermögen wie bei Aristoteles, sondern bei Hermann entsteht die körperliche Substanz geradezu aus einer unkörperlichen Natur. Sowie das Belebte, das Wahrnehmbare und das Vernünftige aus dem Nicht-Belebten, Nicht-Wahrnehmbaren und Nicht-Vernünftigen hervorgeht, und nicht aus der direkten Verneinung des Unvernünftigen, Unwahrnehmbaren und Unbelebten.

Als die Reihenfolge der Schöpfung wird jetzt zusammengefasst, zuerst die reinen und einfachen Prinzipien, geschaffen aus dem Nichts, dann wird aus den Prinzipien eine Mischung gemacht, aus der schließlich das Zusammengesetzte hervorgeht. Hier befindet sich die Materie noch in einem Zwischenzustand von Körper und unkörperlich, wie sich Nomen und Verben vor der vollendeten Rede zwischen wahr und falsch befinden und von beiden gleichermaßen angezogen werden. Es ist auch schwierig und unmöglich, über Wörter allein und nicht Sätze, zu urteilen, ob sie wahr oder falsch sind. Deswegen ist dieser Vergleich etwas schief geraten, wenn er auch interessant klingt. Man kann nur die Wahrheit eines Satzes beurteilen, die Wahrheit der kleineren Elemente, lässt sich nicht aussagen.

Bei Hermann taucht als dieser Zwischenzustand der „unkörperliche Körper“ auf, den er in solchen Zuständen wie das Heiße, das Trockene, das Kalte oder das Feuchte anzugeben weiß.

 

Karl Bruckschwaiger

 

Nächste Lesung: 9. Februar – Aristoteles – Metaphysik, XIII. Buch, ab 1077a,15

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