τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Samstag, 24. Dezember 2022

  In der Metaphysik lesen * Zusammenschau und Eingebung

21. Dezember 2022

 

Das letzte Protokoll hat eine Rückschau und Perspektive auf die Metaphysik-Lektüre versucht und eine solche kann von jeder Stelle aus versucht werden. Von einer frühen Stelle aus wird der Rückblick kurz und konkret ausfallen, der Vorblick weit und unbestimmt.

 

Bereits mit seinem allerersten Satz vom Streben aller Menschen nach Wissen hat Aristoteles selber einen nicht ganz unbestimmten Vorblick getan.

 

Ähnlich mit der frühen Formel von der „gesuchten Wissenschaft“, mit der Aristoteles die Gattungsbezeichnung „Wissenschaft“ für sich selber vorzieht und gleichzeitig der Dynamik eine wichtige Rolle zuspricht. Diese anthropologische Konstante teilt er mit der Psychoanalyse und der Vergleich mit der ist nicht deswegen unzulässig, weil Aristoteles kein Psychoanalytiker ist. Freud erfand und verstand die Psychoanalyse als Wissenschaft und nicht als esoterische Geheimlehre, daher teilt er die generische Ebene der Wissenschaft.

 

Die Stelle, die zunächst als „zentrale“ ausgewählt worden ist, XI 1064a 29 – 1064b 14, rückt vier Wissenschaften zusammen, von denen drei in der Wissenschaftsordnung ohnehin benachbart sind, nämlich die drei theoretischen Wissenschaften, sowie eine, die weit entfernt scheint und eher auf der Meta-Ebene angesiedelt ist und daher leichter als die allgemeinste gelten zu können scheint. Doch die dritte theoretische Wissenschaft, macht ihr Konkurrenz, weil sie ein Wesen aufweist, das in der Ursachenordnung das „erste“ ist. Und die Ursachenordnung wird von Aristoteles mit der Physik eingeleitet. Die Physik nennt die nächsten (eigentlich die „letzten“) Ursachen, Vater und Mutter und Lehrer zum Beispiel. Die ferneren und noch ursächlicheren sind die Gestirne. Mit der ersten Ursache kippt die Sache ins Unkörperliche und Permanente. (Nebenbei: jede Sache ist auch eine Ursache)

 

Doch ihre Beschreibung des Unbewegten Bewegenden fällt erstaunlich anthropomorph, also menschenförmig aus.

 

Wir lesen noch einmal XII 1072b 14ff. - den Anfang der aristotelischen Theologie. Es handelt sich um das Prinzip, von dem der Himmel und die Natur abhängen - es wird also zunächst kosmologisch bestimmt. Seine „Lebensführung“ – ein sehr anthropologischer Begriff! – besteht darin, daß es das Beste auf Dauer stellt, weil ihm die Aktivierung Lust bereitet.

 

Das heißt die Lust setzt sich durch, verwirklicht sich ohne Einschränkung, weil sie Lust ist.(Ein sehr bekannter Nietzsche-Satz drängt sich hier auf, als spätes Echo, als späte, aber nicht zu späte Bestätigung.) So wirkt sich dieses Prinzip bei dem einen soll ich sagen (?) „Superwesen“ aus – im Unterschied zu uns Menschen, die „natürlich“ von demselben Prinzip leben, aber mit Einschränkungen.

 

Das „Lustprinzip“ ist ein wichtiger Begriff bei Sigmund Freud. Da er sich fast ausschließlich für die Menschenschicksale interessiert und nicht nur als Seelenarzt sehen mußte, daß es bei den Menschen nicht hundertprozentig lust- und freudvoll zugeht, hat er zur Erklärung dieses Umstandes ein zweites, ein Gegenprinzip erfunden, das dem ersten zuwiderläuft und seine Wirksamkeit reduziert.

Wie bei Freud diese beiden gegenläufigen Prinzipien die wechselhaften Menschenschicksale mit- oder gegeneinander zuwegebringen, das kann hier nicht ausgeführt werden.

 

Aristoteles scheint nur das eine, das Lust- und Freudprinzip gekannt und aufgestellt zu haben, das bei den Menschen wechselhaft und unsicher am Werk ist. Nur bei dem nur gedachten und dennoch existierenden Wesen anderer Natur soll es ungestört und konsequent zum Zug kommen. Aber beide Wissenschaftler sehen den Menschen als gemischtes, als Lust-Unlust-Wesen.

 

Eine andere Konstellation als bei Freud. Welcher Graphiker könnte die beiden unterschiedlichen Lust-Unlust-Ordnungen übersichtlich zeichnen und gegenüberstellen?

 

Da äußert Maximilian Perstl eine Eingebung: kraft seines Namens ist auch Freud ein permanentes Freud-Wesen.

 

Die Person Sigmund Freud mit allem, was dazugehört, wird in eine Position gerückt, die derjenigen des Bewegenden Denkenden qualitativ und funktional nahekommt.

 

Der Name „Freud“ ist ihm zweifellos schon vor seiner Geburt zugefallen und seit der Traumdeutung (Leipzig und Wien 1900) ist dieser Name, dem ja auch eine begriffliche Bedeutung eingeschrieben ist, millionenfach gesprochen, geschrieben, gedruckt worden. Der Name überlebt ihn nach seinem Tod bis zu uns her und noch weiter – ein Höchstmaß an Permanenz.

 

Eine Eingebung von freudschem Format, die dem Wort eine entscheidende Mächtigkeit zur Vergegenwärtigung einer Sache einräumt. In der Psychoanalyse sammelt das „freie Assoziieren“ auch Buchstaben-, Silben- und Wortstücke und -manipulationen ein, um Vorstellungs-, Wunsch-, Denkelemente zu finden, die zur Sache gehören könnten.

 

Der Begriff „Freude“ ist ein Denk-, natürlich auch Wunschelement, das mit der Person Sigmund Freud fest verbunden ist und das er als Wissenschaftler und Schriftsteller weitergedacht, -formuliert, präsentiert, angeboten, vorgeschlagen hat, um die Menschen anzusprechen und sie an sie zu erinnern. Keineswegs nur an ihre Kindheit, sondern an sie in ihren aktuellen Situationen zwischen Lust und Unlust und so weiter.

 

Aristoteles hat mit seiner Begriffskonstruktion und Eigenschaftenbeschreibung, für die ich bereits mehrere Übersetzungen und Abkürzungen vorgeschlagen habe, den einen Pol in Worte gefaßt, der das Leben und Denken der Menschen in Bewegung versetzen kann, in zusätzliche Bewegung zu den ohnehin gewohnten und üblichen.   

 

Mit der oben zitierten Aussage betreffend Lust oder Freude beginnt die Beschreibung, ich sage Beschreibung des Ersten Bewegenden, und in meinem Protokoll vom 9. März 2022 habe ich die Protokollsprache in einen anderen Ton gesetzt – wie es sich gehört, denn die Sprache hat sich dem Objekt anzupassen.

 

Alles dies ist ins Protokoll vom 14. Dezember 2022 eingeflossen. Sophia Panteliadou sagt, sie habe die Adresse der Hermesgruppe der Klagenfurter Philosophin Alice Pechriggl mitgeteilt und Maximilian Perstl stellt in Aussicht, das Protokoll vom 14. Dezember 2022 in den Weihnachtsferien über Mark Zuckerberg, Chief Executive Officer von Meta (!), in die ganze Welt zu versenden. Natürlich in deutscher Sprache.

 

Am Schluß stellt sich heraus, daß ich auch in diesem Dezember Geburtstag gehabt habe, und nachträglich gratuliert man mir. Das Prinzip der Nachträglichkeit ist ein berühmtes Prinzip bei Lacan.

 

Walter Seitter

 

 

Nächste Sitzung am 11. Jänner 2023:  Hermann-Lektüre.

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