Mittwoch, 10. Mai 2023
Die Charakterisierung, die Aristoteles im Buch XII dem von ihm aufgewiesenen, jedenfalls konstruierten Gott zukommen läßt, ist zwar rein begrifflicher Art, aber damit auch reichhaltig, anthropomorphisierend und fast plastisch: zusammengesetzt aus mehreren Tätigkeiten, Eigenschaften und Leistungen – wie permanente Lustrealisierung, Denktätigkeit, Betrachtung, Lebendigkeit, Wohlbefinden, Bewegungstätigkeit aufgrund von Geliebtwerden und so weiter.
Die aristotelische Beschreibung des Gottes, für den ich die Abkürzung UB-DD einsetze, folgt eingestandenermaßen seiner Bewunderung jenes Objektes.
Andererseits ergibt sich aus der Tatsache, daß Aristoteles Gott mit Pferd und Mensch als anderen Arten von Lebewesen in eine Reihe stellt, für uns im Jahr 2023 nach Christus auch die Möglichkeit, darüber nachzudenken, ob und wie wir jenes Objekt auch mit anderen Begriffen oder Darstellungsarten bezeichnen können.
Bezeichnen oder graphisieren?
Stellt man sich die Frage, ob es innerhalb der aristotelischen Unterscheidung natürlich – künstlich eher auf die eine oder die andere Seite gestellt werden sollte, könnte man es in seiner Eigenschaft als UB eher auf die Seite des Natürlichen setzen, in seiner Eigenschaft als DD, der Denk-Reflexivität, vielleicht eher auf die des Künstlichen – auf die der Kunsttätigkeit, welche das Naturhafte überschreitet.
Indem das altgriechische zoon nicht nur „Lebewesen“ bedeutet sondern auch „Bild“, überspringt dieses Wort die obige Unterscheidung und umfaßt beide Bedeutungen, die sich ja auch direkt zusammenführen lassen: zu einem Lebewesen, das sich selber gestalthaft darstellt – was man nicht nur oft genug an Menschen wahrnehmen kann, sondern manchmal auch an Pfauen und anderen Vögeln, an Schmetterlingen oder Löwen.
Diejenige Kunstsparte, in der Menschen die körperliche Selbstdarstellung bewußt und vielfältig kultivieren und auch mit Fremddarstellung aufladen, ist das Schauspiel einschließlich der Tanzkunst, mitsamt Körpermodifikationen verschiedenster Art, welche seit jeher die Grenzen zwischen Mensch und Tier und Gott und wohl auch noch anderen Realitätssorten überschreiten.
Der von fachlicher Seite erhobene Vorwurf gegen den aristotelischen Gott, sich wie ein Narziß zu benehmen, kann von mir oder sonstwem als Einladung verstanden werden, ihn auch mit anderen Dingen oder Eigenschaften zu assoziieren und darstellbar zu machen, sofern sie Aspekte der aristotelischen Schilderung verdeutlichen und vielleicht versinnlichen – obwohl jener Gott im großen und ganzen als stoffloser angenommen wird.
Also habe ich aus den im Internet greifbaren pornographischen Bildern einen amerikanischen Pornostar herausgegriffen: Tanner Mayes (*1989), die sich durch mehrere Vorzüge auszeichnet, welche sie für die genannte Darstellungsaufgabe qualifizieren (einige davon gehen sogar in eine theologische Richtung).
Auch der an einigen Tieren bemerkte direkte Übersprung vom Lebewesen zum Bild und zur bildnerischen Tätigkeit dürfte für Tanner Mayes unmittelbar zutreffen: sofern sie ihre Hurentätigkeit hauptsächlich für die Erzeugung von filmischen also fotografischen Bildern ausübt, ist sie für die Öffentlichkeit nur im Bild, nur als Bild „greifbar“.[1]
Dazu kommt, daß ihre schauspielerische Begabung sehr flexibel und weitreichend ist. Sie umfaßt diverse akrobatische Leistungen - bis hin zur Darstellung von Statuen und sogar von Torsi.
Beim hier gezeigten Torso-Foto habe allerdings ich nachgeholfen und habe das Aktfoto oben und unten beschnitten – das heißt ich habe mich selber als sekundärer aktiver Pornograph betätigt. Pornograph - in diesem Fall Tannerograph - neben meiner Rolle als Aristotelograph, der wiederum Aristoteles als einem Theographen nachfolgt.
Zur Illustrierung des aristotelischen Gottes trage ich zusätzlich zu dem aktiv lustrealisierenden Torso noch etwas anderes aus neuester Zeit bei.
Vor kurzem hat der Wiener Psychoanalytiker Georg Gröller in einem neulich genannten Buch, dessen Titulatur voller theologischer Bedeutungen ist, dem französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan (1901-1981) eine Schilderung von dessen habitus gewidmet, die jene Bedeutungen beiseite läßt.
Gröller beschreibt und erzählt eine extrem eigensinnige, hartnäckige, geradezu rücksichtslose „Lebensführung“ (das ist übrigens der Begriff, mit dem Aristoteles seine Charakterisierung des UB-DD-Komplexes einleitet). Er tut dies gestützt auf zahlreiche Berichte aus dem Umfeld von Lacan und ich kann seine Schilderung einigermaßen bestätigen, da ich Lacan oftmals in nächster Nähe erlebt habe - zusätzlich zu filmischen Dokumentationen und Lektüreerfahrungen.
Lacans Verweigerung aller Konformismen zeigte sich in seinem Verhalten gegenüber zuständigen Institutionen, gegenüber Kollegen – sofern sie ihn daran hinderten, das zu tun, was einzig und allein für ihn zählte: seinem Begehren treu zu sein. Dazu gehörte auch seine Weigerung, für eine bessere, gerechtere oder gar ideale Welt einzutreten. Sei es in der Zwischenkriegszeit oder in der Revolutionsstimmung des Jahres 1968. (Daß die Revolutionäre für ihn schwärmten, steht auf einem anderen Blatt)
Er war der wirkliche Antiheld – wohl aber überzeugt von der eigenen Großartigkeit und Überlegenheit. Perfekte Selbstinszenierung, Extravaganz seines Lebensstils. Lacan als Dandy.
Dazu eine Geheimnisgeschichte: irgendwann habe er seiner Tischnachbarin anvertraut, daß er ein Geheimnis habe, und dieses Geheimnis sei, daß er fünf Jahre alt sei.
All das aus Treue zum eigenen Begehren!
Ich würde also meine postaristotelische Theographie mit dem bei Lacan beliebten diagrammatischen Quadrat graphisieren, dessen vier Ecken heißen:
UB = DD
Tanner-Torso Lacan-Leben
Das gesamte Quadrat zeichnet den aristotelischen Gott auf: in seiner inneren Komplexität – erste Zeile. Und mitsamt zwei Illustrierungen durch zeitgenössische Darsteller aus dem späten 20. Jahrhundert nach Christus – zweite Zeile.
Zwischen UB und DD wird Identität behauptet. Die übrigen Beziehungen zwischen den vier Termen bleiben vorläufig unbezeichnet.
Zwischen UB=DD und Jacques Lacan besteht eine Beziehung, die darin besteht, daß dieser von jenem Kenntnis genommen hat, wie wir ja schon mehrere Male festgestellt haben. Natürlich gibt es da auch ein „wir“ – das bin ich, der mit diesem Diagramm seine Rolle als Aristotelo- sowie Tannero- und Lacanograph kundtut.[2]
*
Um den Satz über den Zusammenhang von Ewigkeit und Verwirklichung (in 1088b 24) näher zu betrachten oder etwa gar zu verstehen, greifen wir auf Buch IX 1050b 6ff. zurück, wo der Vorrang der Verwirklichung vor dem Vermögen, der Vorrang der ewigen Dinge vor den veränderlichen Dingen behauptet wird. Sowie der Ausschluß des Vermögens aus dem Ewigen.
Gäbe es die ewigen und notwendigen und „nur“ verwirklichten Dinge nicht, so gäbe es gar nichts (1050b 19). Dieser Satz formuliert einerseits zurückhaltend, andererseits doch kategorisch, daß es für die Existenz der Welt mit ihren veränderlichen Dingen als Bedingung etwas geben muß, das stets in Verwirklichung ist.
Und Aristoteles fährt fort, daher seien die Sonne, die Gestirne und der ganze Himmel stets in Verwirklichung und man brauche keine Angst zu haben, daß sie einmal stillstehen, wie dies die Naturphilosophen befürchten, die eine andere Auffassung von der Bewegung haben.
Wenn auch die heutige Kosmologie die Ewigkeit der Sonne und der Gestirne viel enger eingrenzt als Aristoteles, dann muß dessen Auffassung vom Verhältnis zwischen Möglichkeit und Verwirklichung deswegen nicht hinfällig sein: die pure Verwirklichung müßte dann eben nicht in den Gestirnen situiert werden, sondern woanders beziehungsweise „wieanders“ – und dafür hat er die Realunion von UB und DD konzipiert. In der dürfte wohl auch das anzusetzen sein „was viel wissender ist als die Wissenschaft selbst und viel bewegter als die Bewegung selbst“ (1050b 37f.) – welche mit der Emphatisierung durch das „selbst“ zu „Ideen“ substantiviert werden (ein schon öfter bemerkter Trick der aristotelischen Polemik).
Die Partizipien „wissend“, „verstehend“, „bewegt“, „sich bewegend“ , „in Bewegung befindlich“ bezeichnen hier Zustände der vorrangigen Verwirklichung, während die Ideen als Vermögen der Entstehung nach früher sein können, obwohl sie aus der Verwirklichung hervorgehen (siehe 1051a 3)
Walter Seitter
[1] Pierre Klossowski, der viel Arbeit auf die fotografische, filmische und pikturale Darstellung der Nacktheit verwendet, kommentiert deren Geschichte eher pessimisitsch. Siehe „Die Dekadenz des Aktes“ in P.K. : Die Ähnlichkeit (Bern-Berlin 1986)
[2] Siehe auch Walter Seitter: Jacques Lacan und (Berlin 1984)
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