Gemeinsam mit ihr auf der Bühne waren Madonna,
Orpheus, Baubo und Momus, keine bloßen Instrumente, wie Samsonow versicherte,
sondern – quasi-göttliche – Figuren oder
„Persönlichkeiten, Gewachsene,
Erwachsene“ aus Lindenholz, die geduldig darauf warteten, dass sich die
Rednerin zwischenzeitlich vom Pult weg und auf sie zu, ja in sie hineinbewegt,
um sie zum Erklingen zu bringen. Die vier Skulpturen wurden einzeln abgenommen
und elektrisch verstärkt, sodass selbst feinste Streichel- oder Klopfbewegungen
als Sound vernehmbar wurden; zudem sind sie mit je vier Saiten bespannt, die
mal gezupft und mal gestrichen wurden. Diese vielseitige Nutzung der
einzigartigen Klangkörper versetzte das Publikum in eine besondere Stimmung und
das Gesagte traf auf offene Ohren.
Ausgangspunkt ist ein Konflikt zwischen
Geld und Leben. Das eine werde gegen das andere ausgespielt, wie bei einem
Raubüberfall muss man sich entscheiden: „Geld oder Leben!?“ Dieser Konflikt
basiert auf dem Anspruch auf eine Leistung, um deren Zuschreibung die beiden
konkurrieren, eben Wachstum.
Samsonow erinnert an das blanke Entsetzen mittelalterlicher
Antizinsaktivisten, das diese bei der bloßen Vorstellung von sich selbst
vermehrendem Geld ergriff; man befürchtete, alles Wirkliche würde von der Scheinwelt verschluckt werden. Jedem
Kind sei damals einsichtig gewesen, dass nur was lebt, wachsen oder sich
vermehren könne. Heute hingegen hätten sich die Verhältnisse umgekehrt und
neues Leben, vor allem auch die Kinder selbst, erscheinen zunächst als Kosten
oder Unkosten, jedenfalls als etwas das man sich kaum mehr leisten kann.
Wenn heute von Wachstum die Rede ist, denkt
man vor allem an Wirtschaft und kaum mehr an das was wirklich wächst. Dies sei das „perfekte Verbrechen“ – die
schenkende Natur ist dem Geld ins Netz gegangen. Die „Gesellschaft der Freunde
des Verbrechens“ hätte die Oberhand gewonnen und die eigentlich produktiven
Faktoren seien entwertet, besonders die Figur des Mädchens. Dieses wird einzig
in seiner Opferrolle wahrgenommen, als industrielle Sklavin missbraucht, ohne
dabei zu bedenken, dass gerade sie das Wachstum verkörpert. Zum einen da sie
selber noch im Wachsen ist, zum anderen auch, insofern das Mädchen exklusiv im
Besitz der Produktionsmittel sei – und von daher immer auch schon Mutter ist,
zumindest potentiell. Um diese Tatsache wieder zu ihrem Recht kommen zu lassen,
empfiehlt Samsonow die Installierung einer symbolischen Ordnung der Mutter
oder, allgemeiner, eine symbolische Ordnung der Körpers.
Momentan verließen wir uns zu sehr auf die
Zeichen: in der Theorie kann man sich einzig darauf einigen, dass das
Bezeichnende (die Signifikanten) Bedeutung und somit einen Wert haben; das
Bezeichnete bleibt dabei auf der Strecke, dem (theoretischen) Zugriff entzogen.
Dementsprechend vertraut man praktisch nur mehr auf die Wirkmächtigkeit des
Geldes, alles andere, zum Beispiel eben auch „Leben“, ist allenfalls
zweitrangig.
Aber als bloßem Zeichen fehlt dem Geld die
Deckung, denn der eigentliche Wert kann nur im Bezeichneten liegen. Über die
genauen Ursprünge des Geldes wird man sich wohl nicht so schnell einigen können
(obwohl die Geschichte mit dem Opfer sehr plausibel erscheint), aber klar ist
jedenfalls, dass das Geld seit jeher für irgendetwas anderes gestanden ist, da
es für sich genommen nicht imstande ist, Wert zu verkörpern. Das Geld war
indirekt „Zeichen an der Erde“, ein Pfand für Boden, Gold oder was auch immer.
In diesem Sinne kann auch Klossowskis
„Lebendes Geld“ verstanden werden: es geht um die Zusammenführung von Geld mit Menschenkörpern,
wobei letztere als Garant für den Wert selbst einstehen sollen: entweder indem
sie das gängige Geld überhaupt obsolet machen und man somit direkt in Männern
oder Frauen bezahlt werden würde, oder, in der schwächeren Variante, als neuer,
besserer, weil nicht nur phantasmatischer, Goldstandard. Dieses Szenario sollte
man sich besser im fourieristischen Geiste vorstellen: nur so kann man der
Verrücktheit Klossowskis gerecht werden. In der bloßen Verlängerung der
vorherrschenden Tendenzen wäre das Lebende Geld dazu verdammt verbraucht zu werden, aber das Lebende
Geld kann als solches nur infolge einer Umwertung enstehen, nach welcher der
Wert des Menschen über dem des Geldes steht.
Ivo Gurschler
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