Die
Buchpräsentation zum Glaubensbegriff bei Aristoteles hat – jedenfalls vorläufig
– gezeigt, dass dieser Begriff bei Aristoteles so gut wie nichts mit Religion
zu tun hat. Es handelt sich um einen erkenntnistheoretischen Begriff, der die
Verbindung zwischen dem Wissen und der jeweiligen Person bezeichnet – also die
Gewissheit. Es scheint, dass zwischen Wissen und Glauben notwendige Beziehungen
bestehen, dass Meinen und Überzeugung, überzeugen als Tätigkeit, überzeugt
werden als Vorgang vom Wissen nicht abzulösen sind. Es geht also um
Erkenntnispsychologie, vielleicht um Erkenntnispolitik.
Bruno Latours
Buchtitel Existenzweisen könnte in Analogie zu den „Seinsmodalitäten“
verstanden werden, die wiederum eine Umformulierung der „Kategorien“
darstellen, die ihrerseits ausgehend vom Sprachgebrauch allgemeinste
Realitätsgattungen bezeichnen.
In der
aristotelischen Ontologie stellt die Substanz nur eine Modalität dar, welcher
neun oder noch mehr andere Modalitäten untergeordnet sind beziehungsweise
gegenüberstehen. Für den Sonderfall einer literarischen Handlung hat
Aristoteles die Dominanz der Substanzen (der handelnden Personen) suspendiert.
Man könnte die Frage stellen, ob nicht alle künstlichen Substanzen aus
Bestandteilen zusammengesetzt sind, die von – natürlichen – Substanzen
herrühren, die jedoch ihre Selbständigkeit verloren haben. Beispiel: Tisch -
aus Holz und Glas - aus Bäumen und Steinen.
Das bereits
erwähnte „Geben“ ist von Aristoteles nicht in den Rang einer Kategorie gehoben
worden. Woran liegt das? Ist dieser Vorgang in der Kultur seiner Zeit nicht so
wichtig gewesen? Eigentlich möchte man das kaum annehmen. Jedenfalls hatte die
griechische Sprache nicht das Synonym „es gibt“ für „existiert“. Das Schweizer
Deutsch hat das auch nicht – dort sagt man „es hat“. Und die Franzosen sagen
„da hat es“.
Wenn uns eine
bestimmte historisch vorliegende Ontologie mangelhaft erscheint, können wir das
nicht nur sagen, man kann sie durch eine andere Ontologie ersetzen. Analytische
Philosophen würden dann von einer „revisionären Ontologie“ sprechen. Die
radikalste Revision würde wohl darin bestehen, die dominante Substanz durch das
Ereignis zu ersetzen. Alfred North Whitehead (1861-1941) hat so etwas getan.[1]
Andere neuere Ontologien finden sich bei Williard Van Orman Quine, Keith
Campbell, Joshua Hoffman & Gary S. Rosenkrantz.[2]
Ich würde
daraus den Schluß ziehen, dass man vor Ontologie keine Angst haben muß.
Was nicht
heißt, dass man als Philosoph unbedingt eine machen muß. Das muß man gar nicht.
Allerdings dürfte es unvermeidlich sein, eine implizit vorauszusetzen. Explizit
eine formulieren – ist Sache der Entscheidung.
Die
Bezeichnung „Ontologie“ stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert und ist wohl
hauptsächlich durch die aristotelische Tradition motiviert. Man kann sie auch
auf Platon anwenden. Gianluigi Segalerba weist erneut darauf hin, dass die
platonische Ontologie, die häufig als „Ideenlehre“ bezeichnet wird oder als
„Zwei-Welten-Lehre“, in engem Zusammenhang mit der Anthropologie gesehen werden
muß, in der es um das Drama der menschlichen Entscheidung, um das Schicksal des
Menschen geht. Die Ontologie sei hier einer Art „Existenzphilosophie“
untergeordnet. „Existenz“ im Sinne der Existenzphilosophie, nicht als
ökonomische Subsistenz, auch nicht als bloße Faktizität. Dabei stellt sich
allerdings die Frage, wie denn diese menschliche Existenz ihrerseits
ontologisch oder kosmologisch oder ideenhaft definiert ist.
Demgegenüber
habe die Ontologie bei Aristoteles eine selbständige Bedeutung. Sie sei eine
theoretische Wissenschaft und verschaffe dem sie ausübenden Menschen ein Höchstmaß
an Erfüllung. Letzten Endes geht es auch bei Aristoteles um das Schicksal des
Menschen, das zwischen Unglück und Glück oszilliert. Auch hier stellt sich die
Frage, wie der Mensch in der Ontologie bestimmt werde: gewiß als Körper mit
Seele; eventuell mit einer Seele, die mit einer Art höheren Seele aufgestockt
wird: dem Geist, der den Menschen mit Göttlichem ausstattet, und andererseits
das aristotelische Postulat einer totalen Koextension, gewissermaßen
Koinzidenz, zwischen Körper und Seele stört - ?
Der
„existenzphilosophischen“ Dramatik bei Platon steht bei Aristoteles keine
ähnliche Dramatik gegenüber. Seine sachliche Gelassenheit (Signifikat) wird
allerdings von einem Text (Signifikant) geliefert, dem es an stiller ja
heimlicher Dramatik nicht fehlt.
Walter Seitter
Sitzung vom 15. Juni 2016
[1]
Siehe
dazu Pierfrancesco Basile: Monadologie und Relationen – Whitehead, Russel und
die Ablehnung der Substanz-Metaphysik, in: H. Gutschmidt, A. Lang-Balestra, G.
Segalerba (Hg.): Substantia – Sic et Non. Eine Geschichte des
Substanzbegriffs von der Antike bis zur Gegenwart in Einzelbeiträgen
(Frankfurt 2008): 445-459.
[2]
Siehe
dazu Christian Kanzian & Joseph Wang: Substanzen in der analytischen
Ontologie, in H. Gutschmict, A. Lang-Balestra, G. Segalerba (Hg.): op. cit.:
520-542.
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