A Metaphysik – Kunst
Entscheidend
für den Begriff der Kunst im Unterschied zu Wissenschaft und Philosophie ist für
mich die dritte Bedeutung der dynamis,
Betonung auf „y“. Nach a) der Fähigkeit, in einem anderen etwas zu bewegen oder
zu verändern (kínesis, metabole), b) der
Fähigkeit, diese kinetischen und metabolischen Veränderungen zu erleiden, erscheint
als c) „die Fähigkeit, etwas schön oder nach Vorsatz auszuführen“ (A 1019a22) bzw.
die Fähigkeit, die Ausführung dieser Vorsätze zu ertragen. Ich denke hier
sofort an die Schöne Querulantin (La Belle Noiseuse) in dem Film von Jacques
Rivette (1991). Aber auch das vierte Vermögen, die Immunität gegen Beschädigung
und Zerstörung, ist für die Kunst an sich wichtig, auch wenn das Unzerstörbare
nur im Heiligenschein eines großen Kunstwerks oder Künstlers besteht. Es ist
das Vermögen zur Güte in einem idealen, nicht unbedingt stofflichen Sinne.
Zu
diesem Kunstbegriff sagt Rainer Marten: „Mit eigener Verantwortung nehmen sich
die Künste je bestimmter menschlicher Vermögen an, um sie für sich selbst zu
brauchen und fruchtbar zu machen. Zu denken ist an Bildkunst, Schauspiel,
Musik, Tanz, Dichtung und eben Denkkunst.“ (RM 200)
Ich
bin stutzig. Kann ich demnach sagen: Jemand kann
besonders bewegend, schön und gut denken und dann sagen, er sein ein Denkkünstler? so wie: Jemand kann besonders gut Tonstücke schreiben
und musizieren, also betreibt er
Musikkunst usw.? Schließlich kann man
alles im Sinne von Gutsein und Schlechtsein verschärfen und generalisieren und
daraus einen Kunstbegriff abstrahieren: die besondere Finesse, die sich in jeder Disziplin herauskitzeln lässt, und
diese, von wem auch immer begutachtet, macht dann den Heilkünstler aus und unterscheidet ihn vom gewöhnlichen Kassenarzt
oder den Dirigenten vom dritten
Flötisten in einem Orchester.
Martens
Versuch, die Denklehre (Noetik) als
analoge Disziplin im Verhältnis zur objektiven Methodik des Wissenschaftlers
oder zur subjektiven Entschiedenheit bzw. Finesse eines Künstlers der Kunst zu
setzen, geht insofern in die richtige Richtung, als er süßlichen Vermischungen
durch Beharren auf dem Denken als besonderer Disziplin den Weg versperrt. Aber
ist es nicht dennoch besser, einen kreativen Wissenschaftler als genialen
Entdecker, einen Künstler als entscheidendes Subjekt einer selbstbewussten
Kunst, einen Sucher der Weisheit, der in der Erfahrung die Prinzipien der
Weisheit aufsucht, diese befragt, jene buchstabiert, beide durchdenkt, schlicht
einen Philosophen zu nennen?
Woher
diese Scheu, statt mutig zu tradierten Wesensvorstellungen (Wissenschaft,
Kunst, Weisheit) zu greifen, zu Amalgamen oder Bindestrichen aller Art Zuflucht
zu nehmen? Als sei das Technisch-Handwerkliche bloß Mimesis, unterste Wahrnehmungsstufe, dagegen ‚das Subjektive‘, das
‚emotional Bewegende‘ als das für die Kunst Charakteristische hervorzuheben, das
den eigentlichen Bildhauer, Komponisten, Schauspieler, Maler ausmacht und mit diesem
oder jenem Wissenschaftler der Quantenphysik auf eine Stufe stellt. Der
feuilletonistische Gedankenkitsch kann dann rasch losgelassen werden: Warum verzaubert diese Skulptur den Platz, verzückt dieses Musikwerk den Hörer, hypnotisiert dieser Film den Zuschauer, revolutioniert diese Formel unser gesamtes Weltbild, wirft ein einziger Gedanke all unsere Vorstellungen vom Anfang und Ende
der Welt um?
Ist
es am Ende doch wieder die berühmte Magie
des Inneren, die generell der Kunst und den Künstlern angedichtet wird, die
dann auf Wissenschaftler und Philosophen übergreift, diese zu Künstlern mit
hohem Denkvermögen, jene zu kreativen Formalisten macht?
Ein
wichtiger Hinweis findet sich gleich zu Anfang unserer Lektüre der Metaphysik
in den Protokollen: „Der antike Begriff
der Kunst geht über den modernen weit hinaus, weil er auch Kochkunst,
Heilkunst, Kriegskunst usw. umfasst. Außerdem geht der aristotelische Begriff
der Kunst über den modernen noch in einer anderen Richtung hinaus, weil er auch
Wissen, beinahe wissenschaftliches Wissen, jedenfalls lehren könnendes Wissen
einschließt.“ (ML
26.01.11) Heisenbergs Theorien, auf die ich im Folgenden eingehen will, wären
sicherlich auch als Objekt der Kunst denkbar, an dem dann allerlei
freischaffende Veränderungen vorgenommen werden können, auch in seinem
Erscheinen als Filmfigur eines historischen Dramas um die Entstehung der
Atombombe.
B Kunst - Wissenschaft - Philosophie
Auf Werner Heisenberg, den berühmten
Naturwissenschaftler, Mathematiker, Denker, Musiker, stieß ich vor kurzem
zufällig, weil ich Deutschkurse für eine koreanische Oberschülerin gebe, die als
mathematisch, musisch und sprachlich Begabte lieber ein Studium in Physik oder Biologie
anstrebt, statt in Philosophie, Kunst- oder Literaturgeschichte, die sie zwar
liebt, aber keineswegs zum Gegenstand so großer Anstrengungen wie der eines
Studiums machen will. Nachdem wir einige botanische, zoologische und poetische Sprachspiele
und Stoffe hinter uns hatten, äußerte sie den Wunsch, etwas über Quantentheorie
zu machen. Und so stieß ich beim Stöbern nach Material auf ein Vortragsvideo,
in dem der Wissenschaftsjournalist Ernst Peter Fischer Werner Heisenberg zunächst
als bahnbrechenden Physiker vorstellt, der seine Erfahrungen auch philosophisch
reflektiert hat, ihn dann jedoch auf dreierlei Weise als eigentlichen Künstler
markieren will: 1. wegen bewiesener ‚Kreativität‘ bei der Entwicklung der
Grundformeln ‚seiner‘ Quantenmechanik, 2. wegen der biographisch belegbaren
Nähe des Physikers und Mathematikers zur Formen- und Gestaltlehre Goethes und 3.
wegen eines autobiographisch überlieferten Moments der Ergriffenheit, in dem
Heisenberg die Schönheit als Teil seiner inneren Wahrnehmung am Ende der
geleisteten mathematischen Arbeit aufruft.
Ernst Peter
Fischer sagt in seinem Vortrag: „Die Physiker waren ... vor Heisenberg
beschäftigt, die Bahn des Elektrons genau auszurechnen, - bis Heisenberg kam.
Heisenberg hat dann gesagt, dass die Bahn des Elektrons erst dadurch entsteht,
dass ich sie berechne, d.h. die Bahn des Elektrons kommt von mir. - ... Und das
ist der eigentliche Gedanke, d.h. Physik ist Kunst. Ich gebe der Welt eine Form
und verstehe sie dadurch. Das macht auch der Künstler. Er gibt der Welt eine
Form und zeigt sie uns. Das macht Heisenberg. Nur ist die Form in der Sprache
der Mathematik geschrieben. Das ist vielleicht ein bisschen kompliziert, aber
wer sich darauf einlässt, also nicht nur auf bestimmte abstrakte Malereien
einlässt, sondern auf bestimmte Gedankengänge, wird feststellen, dass
Heisenberg ein Künstler ist. Heisenberg hat als Künstler die Welt verstanden,
indem er den Atomen die Formen gegeben hat, die Menschen zugänglich sind.“
(Film1, 11. Min.)
„So konzentrierte sich meine Arbeit immer
mehr auf die Frage nach der Gültigkeit des Energiesatzes, und eines Abends war
ich soweit, dass ich daran gehen konnte, die einzelnen Terme in der
Energietabelle - oder wie man es heute ausdrückt: in der Energiematrix - durch
eine nach heutigen Maßstäben reichlich umständliche Rechnung zu bestimmen.
Als sich bei den ersten Termen wirklich der
Energiesatz bestätigte, geriet ich in eine gewisse Erregung, so dass ich bei
den folgenden immer wieder Rechenfehler machte. Daher wurde es beinahe 3 Uhr
nachts, bis das endgültige Ergebnis vor mir lag. Der Energiesatz hatte sich in
allen Gliedern als gültig erwiesen, und da das alles von selbst ohne jeden
Zwang herausgekommen war, so konnte ich an der mathematischen
Widerspruchsfreiheit und Geschlossenheit der damit angedeuteten Quantenmechanik
nicht mehr zweifeln.
Im ersten Augenblick war ich zutiefst
erschrocken. Ich hatte das Gefühl, durch die Oberfläche der atomaren
Erscheinungen hindurch auf einen tief darunter liegenden Grund von merkwürdiger
innerer Schönheit zu schauen, und es wurde mir fast schwindelig bei dem
Gedanken, dass ich nun dieser Fülle von mathematischen Strukturen nachgehen
sollte, die die Natur dort unten vor mir ausgebreitet hatte.“ (Film2 18. Min.)
Es spricht
einiges dafür, dass der Atomphysiker Heisenberg mit dem aristotelischen Naturbegriff
vertraut und historisch von ihm geprägt ist. Natur ist a) Entstehung des Wachsenden b) innerer
Urstoff c) Natura naturans, innerer Antrieb einer jeden Bewegung (kínesis próte). In dieser Hinsicht war
Heisenberg ein gebildeter Demiurg, kein phantasiebegabter Poet, Maler oder
Komponist. Schauen wir, was Werner Heisenberg im Wesentlichen beschäftigt hat.
C Impuls, Element, Atom
Ich fasse die
antike Kosmologie wie folgt zusammen, sofern sie von Grundelementen ausgeht: Das
Atom ist das unteilbare im Substrat der Natur, der Materie. Es ist Prinzip (arché), Wesen (ousía), Eines (hén) das
kontinuierlich durch sich selbst besteht (kath‘
hautó), als konstitutiver Bestandteil für das Wesen.
Heute wird das
Atom anhand von Masse und Ladung definiert, mit entsprechendem Gerät nachgewiesen
und als Quantität bestimmt, wenn auch post Heisenberg als prinzipiell ungenau, was
sein Eins-Sein (heni einnai) infrage
stellt. Für die Griechen gab es vier Atome/Elemente: Wasser, Erde, Luft, Feuer.
Aus heutiger Sicht sind sie zu einem Medium degradiert worden, in welchem die
chemischen Elemente Zirkonium, Hydrogen, Oxigen Helium in höchster
Wahrscheinlichkeit anzutreffen sind, als kontinuierlich hohes Quantum. Platon
hat den kosmischen Elementen den Himmel hinzugefügt, weil auch dieser sich nach
eigenen Gesetzen bewegt und diesen Elementen fünf regelmäßige Polyeder (vielflächige
Körper) zugeordnet,

die allesamt Ecken
mit gleichen Kanten, Flächen mit gleichviel Ecken, gleichlangen Kanten, gleichgroßen
Winkeln besitzen. In jedem dieser regelmäßigen Körper lässt ich eine Kugel, die
alle Seiten tangiert, unterbringen. „Das Wort Atom“ so Heisenberg, „heißt das
‚Unteilbare‘. Es ist gebildet worden als Ausdruck für die Hypothese, daß es
kleinste, unteilbare Einheiten gebe, aus denen alle Materie zusammengesetzt
sei.“ (H 422). In Bezug auf die Kategorien Aristoteles‘ ist das Atom Wesenheit (ousía), Gestalt (morphé) und Form (eidos).
Niels Bohr und Zeitgenossen betrachteten seine Gestalt als Kern (mit ProtonPlus
in direkter Nachbarschaft zu NeutronNull als Kern) und ‚Bahn‘ eines immer negativ
geladenen Elektrons, was man sich in Gestalt eines kugelförmigen Ensembles aus
Kern und Hülle vorstellen kann. Die Dualität aus Kern und Hülle bindet die drei
Elemente zu einem Atom mit Masse, Ladung und magnetischem Feld.
Es scheint
mir, als sei mit dieser Vorstellung die antike Vorstellung prinzipiell nicht umgestoßen.
Die Elemente (P,N,E) sind immanente Bestandteile einer Wesenheit Atom, „Teile (moría), welche immanent in den Dingen
dieser Art dieselben begrenzen und als dies bestimmte Etwas bezeichnen, mit
deren Aufhebung das Ganze aufgehoben ist, wie z.B. mit Aufhebung der Fläche der
Körper, wie einige behaupten, und mit Aufhebung der Linie die Fläche aufgehoben
ist; und überhaupt dieser Art scheint einigen die Zahl zu sein, weil nach ihrer
Aufhebung nichts sei und sie alles begrenze.“ (A 1017b)
Wenn nun in
der obigen Anekdote ein historischer Moment in Heisenbergs Entdeckung dessen,
was er Quantenmechanik nennt, geschildert wird, dann besteht dessen Dramatik darin,
dass er mit diesen dort im Jahre 1925 aufgeschriebenen Gleichungen der seit
2500 Jahren überlieferten Vorstellung der Unveränderbarkeit (Kontinuität) der
Grundbestandteile des Kosmos theoretisch den Boden entzogen hat, indem er die Unbestimmtheit
des Messvorgangs als Unbestimmbarkeit der Elemente (stoicheion) in seine Gleichungen integriert und mit dem Energiesatz
in Widerspruchsfreiheit gebracht hat. „Die ‚Bahn‘ entsteht dadurch, dass wir
sie beobachten.“ Das Akzidentelle (symbebekos)
als Gegenstand der Wissenschaft, steht in scharfem Widerspruch zu
Aristoteles, für den es dasjenige ist, „was sich zwar an etwas findet und mit
Wahrheit von ihm ausgesagt werden kann, aber weder notwendig noch in den
meisten Fällen sich findet.“ (HPP 17 und A 1025a14)
Der griechischen
Vorstellung der Elemente ging es um scharfe Bestimmung und Bestimmtheit des
Seienden, nicht um grundsätzlich Unbestimmbares. Platons Idee der Elemente als fünffach
triangulär strukturierte Körper blieben eine kunstvolle Idee, aber eine unfruchtbare
Matrize in der Naturwissenschaft. Anders der aristotelische, von Platon etwas
abweichende Begriff ousía: Das
Atom/Element bleibt Substrat (Hypokeimenon)
des Seienden, zugleich Selbständiges, zugleich Himmelskörper (ein göttlich‘
Ding). Seine Teile (moría) entziehen sich
als Gestalt (morphé) und Form (eidos) (A 1018a) zwar der unmittelbaren
Anschauung, aber was wäre das für eine Philosophie, die keine Fiktionen des
möglichen Wissens dulden würde, keine Science
Fiction. Die Kunst (erfahrungsbasierte techne)
hat in letzter Zeit mit atemberaubender Geschwindigkeit ein
Wahrnehmungsvermögen entwickelt, das sich den Idealvorstellungen kleinster
Teile der Natur (physis verstanden
als Materie) anzunähern vermag. Und
nicht nur das: Jetzt muss auch diese gerätemäßig verschärfte Kunst als
formulierbare Größe in die theoretische Betrachtung eingerechnet werden, um zu
richtigen Ergebnissen zu kommen.
Die Bahn des
Elektrons kann in der von Niels Bohr hervorgerufenen Vorstellung der Immanenz
des Atoms als Kern, Hülle, Zirkulation keinen beliebigen Wert annehmen. Nur auf
einer begrenzten Zahl von Bahnen behält das Elektron mit seiner Ladung seine innere
Ruhe und Kontinuität. Bohrs Postulat, dass ein Elektron diese Bahn wechseln und
sich in Energie (Strahlung) verwandeln kann, betrifft somit nicht die ousía des Atoms als bestimmbares Element
im Universum, aber dessen Unwandelbarkeit (hén
einai), dessen Kontinuität wird gebrochen.
Heisenberg
ist dies, als Nachfahre Aristoteles, Newtons und Kants, bewusst: „Nun müssen
wir uns aber auch die Frage stellen: besitzen diese Elementarteilchen der
Materie, Proton, Neutron und Elektron, wirklich die beiden Eigenschaften, die
in der alten Atomphilosophie formuliert worden waren, nämlich die
Unwandelbarkeit und die Identität aller Atome einer Sorte?“ (H 426) Er schaut
1954 auf die wichtigsten Ereignisse in der Empirie der Physik zurück: Das
Neutron kann verändert werden. Man kann es vom Atomkern trennen (indem man
diesen zertrümmert), und dann verwandelt es sich binnen ca. 15 Minuten „in ein
Proton, ein Elektron und ein neutrales Teilchen, das wahrscheinlich die
Ruhmasse 0 hat, das sogenannte Neutrino. Die Beständigkeit, die Demokrit von
den Elementarteilchen der Materie gefordert hat, gibt es also beim Neutron
nicht. Die alte Vorstellung, dass die Materie aus vielen gleichen kleinsten
Einheiten besteht, die für alle Zeiten unveränderlich existieren, kann also
offenbar nicht richtig sein.“ (H 427)
Während es
das in sich zusammenhängend Ausgedehnte, Lückenlose, Ununterbrochene (hén qua synechés A 1016a) verliert, seine Kontinuität, beantwortet
Heisenberg die zweite Frage nach der Einzigartigkeit des Atoms (dass es im
wesentlichen Sinne Eines sei, hén kath‘
hautó) mit einem eindeutigen „Ja“. (H 427, A 1016a). Obwohl das Atom in
seinem Innern verstümmelt (kolobón)
ist, so bleibt es dieses Atom, nur eben „die Zahl ist dann ... nicht mehr
dieselbe“ (A 1024a).
Er nennt
außer dem o.g. Zerfallsprozess des Atoms nach Zertrümmerung seines Protons noch
andere Beispiele aus der neuen Physik. Der Amerikaner Carl-David Anderson (1905-1991) entdeckte positiv geladene
Elektronen, die sich mit negativ geladenen in der Weise vereinen, „daß bei
dieser Vereinigung die Gesamtmasse der beiden Teilchen sich in Energie
verwandelt und als Strahlung in den Raum ausgesandt wird.“ (H 248) Anderson
konnte das von Paul Dirac (1902-1984) postulierte Positron (als positiv geladenes Elektron) experimentell nachweisen,
was Heisenberg als Beweis für Albert Einsteins Behauptung (1905), Masse und
Energie seien Äquivalente, angesehen hat. Durch das Vermögen der Beobachtung
kosmischer Strahlung in großer Höhe wurden weitere Atome entdeckt, z.B. die Mesone, die eine irrwitzig geringe
Lebensdauer besitzen (bis zu 1 Billionstel Sekunde), über die wir nur darum
fundierte Aussagen treffen können, weil sie sich gerade noch in dem Bereich der
Lichtgeschwindigkeit bewegen, wo ihre Strecke messbar und ihre Wirkung quantenmechanisch
betrachtet erkennbar bleibt, was bedeutet, dass ihr Erscheinen als Prozess und
nicht als reversibles Wechselspiel eines Impulses A hier (dasjenige, dem
Dinge nicht innewohnende, von welchem die Entstehung anfängt, A1013a7) und
eines Bewegten B dort betrachtet wird.
„Wenn ich
Impuls (dasjenige, dem Dinge nicht innewohnende, von welchem die Entstehung
anfängt, A1013a7) mit dem Ort des Bewegten multipliziere, dann erhalte ich, je
nachdem ob ich mit dem Impuls anfange oder dem Ort, jeweils ein verschiedenes
Ergebnis. „Heisenberg hat entdeckt, dass man zwar etwas wie Ort und Impuls
verwenden kann, aber wenn man denen ganz spezielle Eigenschaften gibt, z.B.
die, wenn ich zwei Größen miteinander multipliziere, Impuls mal Ort, dass das
was anderes bringt als wenn ich Ort mal Impuls multipliziere.“ (Anton
Zeilinger, Film2). Hans-Peter Dürr zieht aus dem Paradox der Naturbeobachtung,
dass ihr Vermögen nie zu einer unmittelbar erkennbaren Wahrheit (episteme) gelangt, den Schluss: „Das
Urelement ist ein Prozess, das ist auch der Grund, warum ich nicht von einem
Atom rede, sondern von Wirks, also etwas, das sich verändert.“ (Film2
12:43)
Nun kommt das
Sehen als primäre Tätigkeit des wissen Wollenden erneut ins Spiel (Aristoteles,
Seitter). „Denn nicht zur zu praktischen Zwecken, sondern auch, wenn wir keine
Handlung beabsichtigen, ziehen wir das Sehen so gut wie allem anderen vor, und
dies deshalb, weil dieser Sinn uns am meisten Erkenntnis (gnorízein) gibt und viele Unterschiede (diaphoraí) offenbart“ (A 980a25). Die arche des Aristoteles muss neu
geschrieben werden. Die Natur (physis)
erlaubt uns nicht, sie als Ursprung aller Bewegung und Veränderung zu erkennen,
deren Prinzip das Zuerst der Bewegung durch sich selbst ist, das Zuerst des
wahrscheinlichsten Ursprungs(ortes), das Zuerst vorhandener Materie, Zuerst
eines Anstoßes (Impuls des Quantensprungs), „von welchem die Entstehung von
etwas beginnt“ (A 1013a), Zuerst Entscheidende (prohaíresis), auch wenn diese auf dem höchst zweifelhaften Vermögen
beruht, tyrannisch zu handeln, um zu verändern, - auf vermessenen
Entscheidungen, anderen Künsten (Techniken) ihre Zwecke vorzuschreiben. Sie
liefert dennoch fleißig allerlei Prämissen, in denen wir uns als Erkennende
bewegen können.
D KUNST - WISSENSCHAFT - WEISHEIT
Um die gezielte
Umwandlung der Bausteine der Welt sowohl theoretisch/kontemplativ als auch
praktisch/realisierend zu betreiben, um Existenz, Beschaffenheit und Verhalten in
der Erfahrung (empeirea) nachzuweisen,
benötigen die Erforscher der Ursprünge, die Prinzipien sind, in der heutigen
Welt entweder Raumfahrzeuge (zur Erforschung der kosmischen Strahlung und ihrer
Elemente, Studium der Kristalle, Verhalten unter himmlischer Schwerelosigkeit) oder
hochenergetische Beschleuniger wie beim C.E.R.N. in der Schweiz, wobei die
Sprecher dieses viele Millionen verschlingenden Projekts immer wieder betonen,
dass sie tatsächlich ein faustischer Beweggrund antreibt: zu erkennen, „was die
Welt im Innersten zusammenhält“.
Die Klugheit
ihrer speziellen Herangehensweise an die Prinzipien des ursprünglichen Wachstumsvermögens
(physis) scheint mir nicht zuletzt
darin zu liegen, dass ihr künstlerisches Vermögen auf der Plausibilität einer
Technik beruht, die mit enormen Kosten verbunden ist. Die Philosophie kann
hier, als Hüterin der Weisheit qua geschliffenem
und geschärftem Denkvermögen nicht mithalten. Das machte erklärlich, warum sie sich
ebenfalls dem Kreis der Künste anschließen will, weil sich im akademischen
Bereich ihre Vermögenswerte auf einige Professorenstellen beschränken, die
selten ein guter Nährboden für gedankliche Konzentration und seelische Ausdauer
sind.
Als Medium
der Kommunikation bedarf es der Nähe und Befragbarkeit von Weisen, wie sie z.B.
von dem buddhistischen Mönch Pomnyun Sunim (Südkorea) in seinen beliebten
Versammlungen gepflegt wird, hilfsweise einfacher Aufzeichnungsgeräte wie
Mikrophon, Kamera, Schreib- und Druckmaschine, Sende- und Empfangsgerät, um
Menschen aller Art als Fragende und Zuhörende zu erreichen. Und dies ist weit
entfernt von den Gefilden emphatisch betriebener Kunst.
Aber auch
diese wird ihren durch die Aristoteles-Lektüre erkennbare gewordenen Zwiespalt
nicht überwinden. Es wird der ‚unverständige‘, nicht ‚hörfähige‘ Künstler eher dem
Insekt ähneln, und diese Ähnlichkeit die Basis seiner Phantasie und seines
Fatalismus gegenüber dem Zufall und Erstaunen bilden (A 980b). Denn nur der
verständige Künstler, den Aristoteles im Auge hat, der aus vielfältiger
Erfahrung durch Denken „eine allgemeine Annahme über das Ähnliche bildet“ (A
981a5), wird heute zweifellos ein gefragter Entwickler in den Konzernen des ‚Metauniversums‘
sein, gespeist aus den Formeln und Algorithmen der numerischen Geometrie, geschützt
durch Überlagerungen der Quantenphysik, irgendetwas „Ähnliches“ schaffen, vielleicht
sogar einen Hybriden aus Las Vegas, Tokio und Peking.
Aber so wie
die Weisheit in den technisch verstandenen Künsten nach meiner Einschätzung in
eitler Bespiegelung und Liäson mit entscheidungs- und zahlungskräftigen Mächten
versinkt, droht ihr in der wunschgetriebenen Beziehung zur Kunst an sich das Schicksal eines von der Schönheit affektierten,
verblendeten Denkens, das nicht in erhabener Weise das Gesehene, Gehörte und
Verstandene analysiert und ordnet, sondern sich als etwas weiteres Schönes
aufspreizt, so als liefere die Erhebung des Denkens zur Kunst allein schon den
Ausgleich für den drohenden Abstieg zu einer Art wohlfeiler Lebens- und
Entscheidungshilfe.
E DAS RELATIVE
Ich habe mir
selbst, dem Künstler, als Ausgangspunkt einer Verständigung von Philosophie und
Kunst via verschärftem Denken nach 11jährigem stillen Mitlesen der Metaphysik
in Walter Seitters Hermesgruppe zur Schulung des Denkvermögens, verschrieben, die
30 Grundbegriffe der Metaphysik von Arche
bis Akzidenz an ausgesuchten
Erscheinungen einschließlich Verstümmelungen des Hier und Jetzt, Heutigen,
Anschaubaren, Erleidbaren durchzulesen, durchzukauen und dabei die Kategorie
des Relativen (pro sti), nicht nur in
Hinsicht auf Zahl und Proportion, Übertreffendes und Übertroffenes, Tätiges (poiëtiká)
und Leidendes (pathëtiká), sondern auch
da zu erproben, wo pro sti, das Relative
am Menschen, von Aristoteles mit erhabenen, aber auch dunklen Sätzen wie den
folgenden beschrieben wird: „Ferner heißt alles das relativ, durch dessen
Besitz etwas relativ ist, z.B. die Gleichheit ist etwas Relatives, weil das
Gleiche relativ ist, und die Ähnlichkeit, weil das Ähnliche. In akzidentellem
Sinne dagegen heißt z.B. der Mensch relativ, weil es ein Akzidens desselben
ist, das Zweifache von einem anderen zu sein, und dies ein Relatives ist; oder
das Weiße heißt relativ, wenn weiß und doppelt Akzidenzien desselben Dinges
sind.“ (A 1021b)
Wird meine Schülerin in näherer Zukunft erfahren, warum
es der Mühe wert war, eine neue Sprache nicht nur als nützliches Instrument,
sondern in Beziehung zu ihrem Inneren, ihrem Geist zu setzen? Es wird wohl
davon abhängen, wieviel Fragen sie dort entwickelt.
Anmerkungen
Die auf Aristoteles verweisenden altgriechischen
Kategorien sind ohne Akzentsetzung in latinisierter Rohform wiedergegeben. Die
Zitierkürzel lösen sich folgendermaßen auf:
A = Aristoteles: METAPHYSIK -
übersetzt von Herrmann Bonitz (ed. Wellmann). Hamburg (Rowohlt) 20054
H = Elementarteile der Materie. Von Professor Dr. Werner Heisenberg,
Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik, Göttingen. Vortrag gehalten
im Süddeutschen Rundfunk Heidelberg, gesendet Anfang 1954. Zitiert aus: Blum,
Dürr, Rechenberg (Hrsg.): Heisenberg. Gesammelte Werke Bd. 1 . Physik und Erkenntnis. München-Zürich
(Piper) 1984
RM = Rainer Marten: Denkkunst. Kritik
der Ontologie. A.d.J. 1989. Neuaufl. München (Alber) 2018.
ML = Mittwoch-Lektüre der Sektion Ästhetik
| Neue Wiener Gruppe | Lacan SchuleWien (26. Jänner 2011). Auf Basis dieser
Protokolle erschienen: Walter Seitter: Aristoteles betrachten und besprechen
(Metaphysik I - VI) Freiburg-München (Alber) 2018.
HPP =
Werner Heisenberg: Physik und Philosophie (Physics
and Philosophy 1958). Stuttgart 2011. Heisenberg, zit. aus dem Vorwort von
G. Rasche und B.L. van der Waerden.
Film1 = Ernst Peter Fischer: Vortrag in der Fernseh-Reihe: Urknall
Weltall und das Leben. (Harald Lesch & Josef M. Gaßner) München (Bayerischer
Rundfunk) 2015.
Film2 = Werner Heisenberg. Fernsehreihe. Folge
6: Der Teil und das Ganze. Thomas Gonschior. München (BR) 2011.