Fundament oder Supplement?
Ist die Wissenschaft von
den logischen Denkgesetzen dieselbe wie die Wissenschaft von den Wesen? Nein,
denn die Denkgesetze werden in allen Wissenschaften vorausgesetzt, angewandt.
Die Wesenserfassung gehört zu den Annahmen, die nicht bewiesen werden: „Es
scheint nicht, daß es eine Beweisführung des Was ist? gibt.“ (997a 32).
Wohl aber werden die „wesentlichen Akzidenzien“ von den Wesenheiten abgeleitet,
denen sie notwendig zugehören (997a 22). Zwar spricht Aristoteles hier
hauptsächlich von den „wesentlichen Akzidenzien“ – aber nicht nur. Die
Betrachtung der Akzidenzien wird hier entschieden zur Aufgabe der Wissenschaft
erklärt – weniger eindeutig entschieden wird darüber, ob die Betrachtung und
das Studium der Akzidenzien einer gesonderten Wissenschaft zugewiesen wird.
Jedenfalls widersprechen
diese Äußerungen der allgemeinen aristotelischen Linie, derzufolge es keine
Wissenschaft von den Akzidenzien gibt. In seinem Gesamtsystem könnte die
wissenschaftliche Behandlung der Akzidenzien nur in einer „niedrigen“ Stufe von
Wissenschaft stattfinden – also weit weg von der „gesuchten Wissenschaft“.
Diese „Herablassung“ zu den Akzidenzien findet sich übrigens viel prägnanter im
Buch über die Seele, wo Aristoteles zuerst betont, daß man die Wesenheit kennen
muß, um die Usachen der Akzidenzien zu betrachten. Sodann gelte aber auch das
Umgekehrte: „Die Akzidenzien tragen viel dazu bei, um die Washeit zu verstehen
.... Daher sind alle Definitionen, aus denen sich keine Erkenntnis der Akzidenz
ergibt, nur dialektische und leere Redensarten.“ (402b 30ff.)
Und im Anschluß steigt
Aristoteles wiederum auf eine sogenannte höhere Ebene und stellt die Frage, ob
es tatsächlich neben den veränderlichen Dingen der Natur, sei es am Himmel oder
sonstwo, die gleichen Dinge aber unveränderlich, ewig gebe, und zwar
selbständig existierend. Also eine Verdoppelung der Dinge – aber sozusagen in
verbesserter, ja idealer oder optimaler Ausgabe. Diese Verdoppelung, die eine
vollkommene, eine unvergängliche Welt bilden könnte, wird von Aristoteles nicht
für wahrscheinlich gehalten. Und er wagt es, eine solche Konstruktion deutlich
als Konstruktion zu kennzeichnen, und außerdem wagt er es, sie mit einer
anderen Konstruktion zu vergleichen, die er ebenfalls zu einer Konstruktion
erklärt, nämlich der Annahme von Göttern, die menschengestaltig seien, was
nichts anderes sei, als ewige Menschen zu „machen“ (997b 10ff.) Es sieht so
aus, daß er damit den seinerzeitigen griechischen Polytheismus aufs Korn nimmt.
Und auch das Christentum, das es damals noch nicht gab, dürfte damit an
entscheidender Stelle getroffen sein.
Mit anderen Worten: die
Suche nach einer „gesuchten Wissenschaft“, die mit allerhöchsten Qualitäten
tituliert wird, besteht nicht in der Annahme, Aufstellung, Konstruktion
irgendwelcher Vollkommenheiten.
Walter Seitter
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