Anstatt im Text
weiterzulesen, schauen wir uns noch einmal die Bestimmungen an, die Aristoteles
der „gesuchten Wissenschaft“ unter dem Titel „Weisheit“ zuspricht. Und zwar
zuerst ihre spezifischen Objekte: das sind – entsprechend dem Duktus der
bisherigen Ausführungen – die ersten Ursachen, also hier bereits eine Superlativierung
der Ursachenforschung, die laut Aristoteles das Kennzeichen aller theoretischen
Wissenschaften ist; sodann das Erkennen über das Sein (und nicht das
Nicht-Sein); die Wissenschaft vom Wesen (und nicht von den Akzidenzien); die
Wissenschaft vom Wißbarsten, also vom Klarsten, Deutlichsten, das mit „Wesen“
ineinsfällt; und im Übergang zum nächsten Typ die Wissenschaft vom
Erscheinendsten laut Platon also vom Schönen bzw. Schönsten; sodann der andere
Typ von Objekten: das Ziel und das Gute – womit wohl nicht nur irgendwelche
Ziele oder Güter gemeint sind, wie sie von den praktischen und den poietischen
Wissenschaften anvisiert werden: gute Handlungen, gute Hervorbringungen,
sondern das Ziel schlechthin und das Selber-Gute (das Höchst-Gute), das
Höchst-Gelingen; mit diesen Objekten „kippt“ die gesuchte Wissenschaft von
einer bloß theoretischen zu einer auch praktischen und poietischen, d. h. sie
ist selber die theoretisch-praktisch-poietische Höchst-Wissenschaft. Und dann
die „subjektiven“ Merkmale dieser gesuchten Wissenschaft: die erkennendste, die
wissendste Wissenschaft: nicht nur Feststellung von Akzidenzien oder
irgendwelchen naheliegenden Ursachen (Vaterschaftstest siehe Gerichtsurteil vom
6. Februar 2013); eventuell beweisende Wissenschaft oder aber noch höhere
nämlich einsehende Wissenschaft; herrschendste und führendste Wissenschaft –
jedenfalls gegenüber den anderen Wissenschaften, und zwar aufgrund ihrer
Einsicht hinsichtlich des Zieles und des Guten; diese aber kann sie nur haben,
weil sie die wünschendste Wissenschaft ist: etwas verständlicher gesagt: die
engagierteste, die verehrendste, die enthusiastischste.
Wenn die gesuchte
Wissenschaft als Superlativ-Wissenschaft auch praktisch und poietisch
orientiert oder vielmehr orientierend ist, dann kann die
wissenschaftstheoretische Annäherung an sie, also an die „Weisheit“, wie sie
Aristoteles hier vorführt, nicht die einzige sein. Es müßte auch eine
praktisch-ethische sowie eine poietisch-technische geben. Die erste verläuft
über Tugend-Übung, über sogenannte „Askese“ oder „Spiritualität“ (wie sie von
Michel Foucault auch aus spätantiken Quellen rekonstruiert worden ist), die
zweite über die Kunst oder die Magie, wofür auch das Beispiel der Alchemie
stehen mag oder Foucaults „Ästhetik der Existenz“.
Diese beiden Wege werden
von Aristoteles hier nicht beschritten, nicht einmal erwähnt. Ihre
Möglichkeit, Notwendigkeit gar, konstruiere ich aus den zitierten knappen
Angaben, aber auch aus dem Namen „Weisheit“. Daß er in der Poetik die
Dichtung über die Geschichtsschreibung stellt, zeigt immerhin, daß auf den drei
Paradigmen Wissenschaft, Kunst, Praxis unterschiedlich hohe Realisierungsstufen
angesiedelt sind, die miteinander in Konkurrenz, jedenfalls in Vergleich treten
können. Zuhöchst fallen oder vielmehr gipfeln sie in eins.
Walter Seitter
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