Aristoteles setzt seine
Kritik an dem, was wir die „platonische Ideenlehre“ nennen, fort und erläutert
sie mit dem Verweis auf die spezifischen Gegenstände mehrerer Wissenschaften
(womit er den obigen Hinweis auf die von ihm angenommene bzw. vorgeschlagene „Wissenschaftskultur“
ausführlich bestätigt). Die Unterscheidung zwischen „Linien an sich“ und
„wahrnehmbaren Linien“ erkläre den Unterschied zwischen geometrischen Größen
und geometrischem Zeichnen und leite über zur Unterscheidung von reiner
Mathematik und angewandter Mathematik, bedeute aber nicht, daß beide in
gleicher Weise existieren. Die angewandte Mathematik unterteile sich in die
mathematischen Wissenschaften wie Astronomie (bei Aristoteles „astrologia“),
die mathematische Optik, die sich mit den geometrischen Gesetzmäßigkeiten von
Lichtreflexion und –brechung beschäftigt (während die physikalische Optik auf
Farberscheinungen wie den Regenbogen eingeht), sowie die mathematische Harmonik
(Musiktheorie). Eine angewandte Geometrie stellt die Geodäsie dar: Landvermessung.
Der
Wissenschaftspluralismus stellt verschiedene Wissenschaften nebeneinander: zum
Beispiel Arithmetik und Geometrie; und übereinander: zum Beispiel Geometrie und
Geodäsie; doch diese behandeln nicht Gegenstandsfelder, die gleichermaßen „getrennt“
existieren. Die platonische Realitätsverdoppelung wird von Aristoteles mit dem
ironisch-polemischen Hinweis auf eine daraus folgende Realitätsverdreifachung
abgelehnt.
Walter Seitter
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