Zwei Monate nach seinen
beiden Auftritten auf der Berliner Schuld-Schulden-Bonds-Konferenz (siehe
Berliner Protokoll vom 12. Dezember 2012) wird Tomáš Sedláček im Standard vorgestellt.
Sein Buch Die Ökonomie von Gut und Böse wurde zum internationalen Bestseller;
die dramatisierende Aufführung seiner Thesen durch die Prager Theatergruppe
LiSTOVáni (an der er oft selber mitwirkt) hat weltweit Erfolg.
Am 12. Dezember zitierte
ich ihn mit der Aussage, er lese ökonomische Bücher religiös und religiöse
Bücher ökonomisch. Diese Selbstauskunft könnte in der Richtung
„verallgemeinerte Ökonomie“ (Georges Bataille) verstanden werden. Sein
Buchtitel läßt sich so lesen, daß er die Ökonomie der Spannung von Gut und Böse
unterordnet, womit eindeutig ein normativer Begriffsgegensatz gemeint ist, ein
moralischer oder gar religiös aufgeladener. Ich erinnere mich daran, daß er auf
der Bühne die Ökonomie unter den trivialeren Gegensatz von Gut und Schlecht
gestellt hat – den jedermann, jeder Leser, jeder Konsument so verstehen kann,
daß er fragen kann, welche Ökonomie ist für mich gut oder für mich schlecht?
Damit sind wir im optativen Parameter, welchen Aristoteles für die
Handwerkskünste (und abgeleitet davon auch für eventuelle Handwerkskunstlehren,
die bereits zur Betriebswirtschaftslehre gehören) einführt. Wenn Sedláček der
herrschenden Wirtschaftswissenschaft vorwirft, sie glaube bzw. predige den
Glauben an „objektive“ ökonomische Gesetze, um bestimmte Interessen
durchzusetzen, so operiert er formal „religionskritisch“ und führt die Ökonomie
auf die optative Dimension zurück, die dem Sachbereich Ökonomie, der ein
Praxisbereich ist (essen, kaufen, arbeiten, verkaufen, spekulieren ... wollen),
innewohnt. Er kritisiert eine bestimmte und womöglich verdeckte Optativität
oder gar Normativität, um ihr eine andere Optativität entgegensetzen, die sich
natürlich auch zu einer Norm hochstilisieren läßt: gute Wirtschaft gegen böse
Wirtschaft. Auf jeden Fall wird das wissenschaftliche Ideal der „Wertfreiheit“
(obwohl dieses in gewissem Sinn jeder Wissenschaft inhärent sein muss!)
destruiert (ich würde sagen zurechtgestutzt oder zurechtgedreht).
Im Standard-Interview
zeigt Sedláček, daß er diese verzwickte epistemologische Situation durchaus
kennt. Auf die Aussage bzw. Frage „Sie glauben nicht an die wertfreie Ökonomie.
Welche Werte würden sie ihr zuschreiben?“ antwortet er recht oxymorisch:
„Zunächst einmal ist Wertfreiheit schon selbst ein großer Wert. Und wertfrei zu
sein, ist sowieso unmöglich.“
Zweifellos wird hier das
Wort „Wert“ nicht ganz univok gebraucht. Tatsächlich hat das Wortfeld „werten“,
„wertvoll“ usw. wie wir schon festgestellt haben eine umfassende Bedeutung, die
verschiedene optative und normative Dimensionen, moralische und andere, meinen
kann; andererseits gehört das Wort „Wert“ in einem engeren Sinn ganz und gar
dem Bereich der Ökonomie an: Gebrauchswert, Tauschwert, Entwertung, Aufwertung
... Dieses Wortfeld steht für die triviale ökonomische Optativität, eine
bestimmte Art von „besser oder schlechter“.
Vielleicht wäre es angezeigt,
dieses Vokabular auf den Bereich der Ökonomie einzuschränken und es nicht auf
andere Bereiche loszulassen, wo es dann zu Unklarheiten oder Verwechslungen
führt. Für andere Optativitäten (und wenns sein muß auch Normativitäten)
empfehlen sich andere Wörter wie „wünschenswert“, „kostbar“, „notwendig“,
„herrlich“, „verpflichtend“ ....
Walter Seitter
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