Die beiden Filme verbinden
indirekt die Erotik-Thematik und die Religions-Thematik – und zwar über die
Schiene der Wunsch-Erfüllung.
Charles Fourier hat sich
(wie die meisten französischen „Frühsozialisten“ oder „Utopisten“ nicht in die
aus dem 18. Jahrhundert herrührende Tradition des Atheismus gestellt (im
Unterschied zu den deutschen Linkshegelianern und zu Nietzsche) und Pierre
Klossowski hat in seine mehr oder weniger fourieristische Vision La monnaie
vivante auch eine theologische Dimension eingebaut. So daß man sagen
könnte, daß die „utopischen“ oder vielmehr desiderativen Vorschläge der beiden
darauf zielen, den in Europa installierten Abstand zwischen den fast
ausschließlich privaten Sexualitäten und den mehr oder weniger öffentlichen
Religiositäten zwar nicht schlechterdings aufzuheben oder zu schließen, wohl
aber Zwischen- und Übergangsformen in ihn einzubauen.
Diese Problematik wird von
Ulricht Seidl in den beiden Filmen mit krassem Realismus dargestellt und
ausgeleuchtet. Die Protagonistin von Paradies: Glaube, Maria,
medizinisch-technische Assistentin in Wien, füllt ihre Freizeit so gut wie
vollständig mit fanatischer Religiosität, mit inbrünstiger Jesus- und
Marien-Verehrung aus, welche sie auch zu privaten Bekehrungsversuchen in der
ihr fremden urbanen Umwelt führt. Sogar ihre Selbstgeißelungen vermitteln den
Eindruck, daß Religions-Fanatismus, solange er sich in Praktiken realisieren
läßt, ein Maximum an Wunscherfüllung liefert. Daß allerdings ausgerechnet diese
Frau mit einem Muslim verheiratet ist, der irgendwann im Hause den
Religionskrieg vom Zaun bricht, stellt das Paradies: Fanatismus denn doch in
Frage.
In Paradies: Liebe
bricht eine Frau (Schwester von Maria und Mutter eines halbwüchsigen (und
übergewichtigen) Mädchens) zu einer Urlaubsfahrt nach Kenia auf, kommt in ein
Hotel direkt am Strand des Indischen Ozeans, wo Beachboys auf Kundinnen warten.
Es geht also um Sextourismus (der literarische Spezialist dafür ist Michel
Houllebecq): erotische (oder zumindest sexuelle) Wünsche, die in der „Heimat“
nicht erfüllt werden, sollen in einer „zweiten“ Welt, in der sogenannten
„Dritten“, befriedigt werden. Die Wienerin bahnt drei oder vier Annäherungen
an, sie münden entweder sofort oder bald in Enttäuschung, Zorn, Tränen. Die
einzige erfreuliche Episode: zu ihrem Geburtstag wird Teresa von ihren
Freundinnen (Urlaubsbekanntschaften) auch so ein Beachboy mitgebracht:
Striptease, rosa Mascherl um den Penis, Herumspielen, Lachen und Lachen und
Ende.
Nur die inszenierte
Wunscherfüllung, die sich in einer kleinen Öffentlichkeit und in den Grenzen
der Inszenierung gehalten hat, verlief erfreulich.
Walter Seitter
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