τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Montag, 16. Oktober 2023

In der Metaphysik lesen (1090b 5 – 1091a 22)

11. Oktober 2023

 

Die überlieferte Reihenfolge der „Bücher“ der Metaphysik I – XIV wird der Redaktionsarbeit des 1. Jahrhunderts zugeschrieben. Etwas übertreibend könnte man sagen, dieses Werk sei zwischen dem 4. und dem 1. Jahrhundert vor Christus verfaßt worden und vom Autor nicht selber vollendet worden.

Die Bücher XIII und XIV, in denen wir nun seit dem Dezember 2021 (!) lesen, machen nach dem Buch XII mit der Theologie doch einen etwas schwachen Eindruck. Sie stellen hauptsächlich Fragen nach der Seinsweise oder nach dem Wirklichkeitsrang der „mathematischen Dinge“ und versuchen nachzuweisen, daß ihnen kein hoher Rang zukommt, der sie etwa zu Ursachen anderer Dinge machen könnte. Es komme ihnen nicht einmal das Abgetrenntsein, also das selbständige Existieren, zu.

 

Aristoteles schiebt eine im Irrealis formulierte Behauptung ein, daß nämlich, wenn es weder die Zahlen noch die Größen gäbe, immerhin die Seele und die wahrnehmbaren Körper existieren müßten.

 

Trotz des ganz anderen Kontextes läßt sich sagen, daß Aristoteles hier eine ähnliche Minimalnotwendigkeit formuliert wie Descartes mit seinem Cogito ergo sum. Nur daß bei Aristoteles das unleugbare Minimum etwas mehr umfaßt - die Seele und die wahrnehmbaren Körper. Also die beiden konstitutiven Pole der „Welt“. Die wird von Aristoteles aber „Natur“ genannt, und zwar die Natur, die aufgrund der Erscheinungen, die wohlgemerkt im Plural auftreten, aber nicht zusammenhanglos wie eine schlecht gemachte Tragödie daher kommt.

 

Davon haben wir in der ersten Periode der hiesigen Aristoteles-Lektüre-Unternehmung gelesen – nämlich in der Poetik.

 

Diese Gott sei Dank noch weitergehende Unternehmung, die vielleicht irgendwann auch historisch „aufgearbeitet“ werden wird, fügt also unterschiedliche Wissensformen zusammen, die Aristoteles auch explizit miteinander verbindet.

 

Mit der oben genannten „Seele“ mag in erster Linie die menschliche gemeint sein, aber da ich die cartesische Engführung dann dazu erwähnt habe, sei darauf hingewiesen, daß bei Aristoteles die Seele kein Monopol des Menschen ist, er spricht Seelen, aber eben verschiedenartige, auch den Tieren, ich würde sagen, zu allererst den Tieren zu; den Menschen dann insoweit, als sie auch Tiere sind, und dazu noch den Pflanzen (einschlägige Beobachtungen stehen neuerdings jeden Tag in der Zeitung, wenn man etwas bessere Zeitungen liest).

 

Die so verstandene Natur kann nicht aus Zahlen oder sonstigen mathematischen Dingen hervorgehen. Diese haben nicht die Kraft, auf irgendwelche Dinge einen Einfluß auszuüben.

 

Diese eher moderne Redeweise von „Einfluß“ hat mich erstaunt und im Wörterbuch nachschauend (es handelt sich um das uralte Griechisch-deutsche Schulwörterbuch, das auch dem Peter Handke behilflich ist) finde ich, daß Aristoteles hier das mir unbekannte Wort symballesthai verwendet, die mediale Form von symballein, welche die transitiven Bedeutungen „verabreden, beschließen, zustandebringen, zusammenbringen (österreichisch), herstellen“ hat.

 

Was Aristoteles sagen will, ist, daß die mathematischen Dinge, Zahlen, geometrische Größen und dergleichen nicht fähig sind, die Dinge der Welt hervorzubringen oder aber abzuändern.

 

Wohl aber gelingt es den Theoretikern, die solches behaupten, „groß zu tun“ (griechisch und österreichisch), indem sie irgendwelche eigene Meinungen fabrizieren. Dabei entsteht ein so genanntes langes Gerede wie etwa dasjenige von Sklaven, wenn sie dummes Zeug reden.[1]

 

Was sie sagen, ist unsinnig und widerspricht sich selbst wie auch dem, was die Vernünftigen sagen. Daß sie nämlich eine Entstehung der ewigen Dinge annehmen.

 

Jedoch reden sie kosmologisch und physikalisch also naturkundlich und daher ist das, was sie sagen, im Hinblick auf die Natur zu untersuchen.

 

 

Walter Seitter

 




[1] Aristoteles verweist hier auf den Dichter Simonides von Keos (557-468), dem die Erfindung der Mnemotechnik zugeschrieben wird, deren bekanntestes Zeugnis, die sogenannte Parische Chronik, den Zeitraum von 1582 bis 298 vor Christus umfassen soll. 

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