τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Dienstag, 17. Dezember 2024

De Anima / Peri psyches 12 - ( 409a, 32 – 411a, 26)

Aristoteles – Lektüre 12


Mittwoch, den 27. November 2024


Wir beginnen mit dem 5. Kapitel des ersten Buches und lesen in diesem Abschnitt einen größeren Teil davon. Aristoteles beschäftigt sich darin hauptsächlich mit der Lehre von Empedokles und seiner Vorstellung, das die Seele aus den Elementen bestehe.

Aber zuerst behauptet Aristoteles, dass die Theorie der Seele als Zahl und Demokrits Darstellung der Seele als kleinteilige Körper von denen die Bewegung ausgeht zu den selben eigenen Abwegigkeit (atopon) führt. Diese Abwegigkeit ist ein Ortsproblem, dass zwei Körper nicht am selben Ort sein können oder dass in einem Punkt nicht viele Punkte sein können und dass jeder Körper eine Seele haben müsste. Zuerst müssten auch die Zahlen und die kleinteiligen Körper bewegt werde, um das Lebewesen zu bewegen.

Aristoteles kann sich die Inkorporierung von Zellen in andere Zellen nicht vorstellen.

Außerdem kann er sich die Annahme von Affektionen und Leistungen der Seele wie Wahrnehmungen, Denken, Lust- und Leidensempfindungen aus diesen Voraussetzungen vorstellen.

Jetzt wendet sich Aristoteles der Behauptung des Empedokles zu, die Seele bestünde aus den Elementen, womit die Seele eben diese Elemente außerhalb des Körpers wahrnehmen und jedes Ding erkennen könne. Bei den unmöglichen Konsequenzen für diese Annahme konzentriert sich Aristoteles vornehmlich auf die Schwierigkeit der Erkenntnis der Verhältnisse wie Gott oder Mensch, Fleisch oder Knochen zusammengesetzt sind. Für die Annahme das die Knochen aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt sind, zitiert Aristoteles sogar einige Zeilen von Empedokles, wobei in der zitierten Stelle von acht Teilen die Rede ist, aber nur sechs davon bestimmt werden.

So nützt es nichts, wenn die Elemente in der Seele sind, wenn nicht auch die Verhältnisse darin sind. Das alle Mischungsverhältnisse in der Seele sind, hält Aristoteles für unmöglich, wie auch das der Stein oder der Mensch darin sind.

Jetzt kommt ein Schwenk in die Ontologie von Aristoteles, um Empedokles zu widerlegen. Aristoteles zitiert seine Metaphysik, wo er sagt, das „seiend“ (tou ontos) vielfach ausgesagt wird, das bedeutet ein Dies, Quantität oder Qualität oder eine andere der Kategorien. So müsste die Seele aus allen Elementen und Prinzipien bestehen, was nach den Vorgaben des Aristoteles wiederum unmöglich ist. Denn aus den Elementen der Quantität kann keine Substanz bestehen.

Das Gleiches durch Gleiches erkannt werden birgt noch eine weitere Schwierigkeit, denn wenn das Wahrnehmen eine Art Affiziert- und Bewegtwerden und auch das Denken und Erkennen ist, gibt es viele Teile des Körpers, die nichts erkennen wie Knochen und Haare. Jedes Element erkennt jeweils eines, aber alle anderen nicht, und Gott würde nach Empedokles den Streit nicht erkennen, das die Sterbliche aber alle erkennen würden.

Das sind aber nicht die griechischen Götter aus der Lektüre von Homer.

Die nächste Schwierigkeit die Aristoteles hier aufbaut, um nicht zu sagen konstruiert, ist die Frage nach der Einheit der Elemente, wobei sofort ein Unmögliches postuliert wird. Das was die Elemente zusammenhält stärker sei als die Seele ist unmöglich, noch unmöglicher ist dies bei der Vernunft. Aber die Anhänger von Empedokles behaupten dies, weil Sie die Elemente als die primären unter den seienden Dingen annehmen.

Das die Seele sowohl wahrnehmend als auch bewegungsfähig sei, stimmt nicht für die Seele aller Lebewesen, wie die Pflanzen, die daran nicht teilhaben, aber doch leben.

Die Erzählung in den sogenannten orphischen Liedern besagt, dass die Seele von den Winden getragen werde und durch das Einatmen aus dem All in den Körper gelange.

Dazu meint Aristoteles, das nicht alle Lebewesen atmen würden, wie die Gewächse.

Deren Atmung ist der unseren entgegengesetzt.

In einem Einschub spricht er darüber, dass die Seele nicht aus allen Elementen bestehen müsse, sondern nur aus einem Glied eines Gegensatzpaares.

Doch es geht orphisch weiter, indem er von manchen, unter andern Thales, annimmt, das Sie die Seele mit dem All vermischt denken. Aber warum bringt die Seele im Feuer und in der Luft keine Lebewesen hervor, aber in den vermischten Elementen schon. So erkennt Aristoteles in der Annahme, das die in der Luft befindliche Seele besser und unsterblicher sei, etwas Abwegiges und Widersinniges.

Das die Luft und das Feuer eine Seele besitzen, obwohl sie keine Lebewesen sind, es aber sein müssten. Wenn die Lebewesen durch die Luft beseelt werden, ist zwar die abgetrennte Portion Luft im Körper homogen und die Seele inhomogen.

Aus diesen Widersprüchen schließt Aristoteles, das die Seele weder aus den Elementen besteht, noch das Sie sich bewegt.


Karl Bruckschwaiger


Samstag, 23. November 2024

De Anima / Peri psyches 11 - 408 a 31 - 409a 30

Mittwoch, 13. November 2024


408 a 31 - 409a 30


Eingangs berichtet Karl Bruckschwaiger, daß er demnächst nach Venedig fahren werde, was ihm eine befreundete Person vorgeschlagen habe. 

Dabei wird es sich um eine Ortsbewegung handeln, die auch durch irgendein Fahrzeug verursacht sein wird, welches als physisch Bewegendes zu gelten hat. Da er diese Reise freiwillig ja gern durchführen wird, dürfte noch ein anderes Bewegendes dabei im Spiel sein  - etwa ein solches, von dem wir in 406b 10 gelesen haben: die Seele werde von wahrgenommenen  Dingen bewegt. Im angegebenen Fall sind solche Dinge die gehörte Rede der befreundeten Person, aber auch die Stadt Venedig, die von ihm bereits vor mehreren Jahrzehnten gesehen worden sei. Solche Bewegungen können als psychische bezeichnet werde (auch wenn Aristoteles sie nicht so nennt). Dazu gehören das Motivieren, das Faszinieren, das Attrahieren.
Die intransitive Bewegung des Reisenden ist jedenfalls eine physische - aber auch eine psychische.

Ein Zusammenspiel von psychischen und physischen Bewegungen dürfte wohl auch bei dem berühmten „Unbewegten Bewegenden“ des Buches XII der Metaphysik gegeben sein - dort aber wird nicht von „Seele" sondern von „Geist“ gesprochen, der das Bewegende ist und das Bewegte sind die irdischen Dinge. Statt von psychischen müsste man da von noetischen Bewegungen sprechen.

Die quasi psychologische, genau genommen aber noologische Vorbereitung der aristotelischen „Theologie“ findet sich im 7. Abschnitt von Buch XII. Dort ist die Rede von dem erotisch Geliebten, dem Begehrten, dem als schön Wahrgenommenen, dem, was   schön agiert und daher exzelliert, also nicht anders sein kann und folglich initiiert.  


In der Folge referiert Aristoteles einige ältere Auffassungen von den Bewegungen zwischen Körper und Seele, zunächst die des platonischen Timaios. Dann gewisse Lehren von kreisförmigen Bewegungen des Denkens, die den Pythagoreern zugeschrieben werden, von Aristoteles jedoch skeptisch beurteilt werden.  Auch die Lehren von der Seele als Harmonie und als Mischung werden eher abgelehnt. 

Aristoteles geht dazu über, gewisse bekannte Seelenerfahrungen oder -tätigkeiten wie  Leid, Freude oder Denken auf eine Ebene zu stellen. Beziehungsweise dazu, diese Tätigkeiten nicht einfach der Seele sondern dem  aus Körper und Seele zusammengesetzten Menschen zuzusprechen. Mitleiden, lernen, denken seien Bewegungen, die wie die Wahrnehmung oder die Wiedererinnerung zwischen den Dingen und der Seele, entweder in der einen Richtung oder in der anderen,  passieren. 

Interessant, daß Aristoteles heute so genannte „emotionale“ (das heißt: herausbewegende) Seelenbewegungen auf ein und dieselbe Ebene stellt wie kognitive oder intellektuelle.  Wobei das Lernen vielleicht bestimmten Bewegungsarten wie dem   Wachsen oder dem Sich-ernähren nahesteht. 

Dem schon öfter genannten „Geist“ wird nun eine Sonderstellung zugeschrieben: er sei ein eigenes Wesen, das  hineingelangt und nicht vergeht (siehe 408b 19). Mit dem „hinein“ ist wohl die Seele-Körper-Gesamtheit gemeint, zu der dann auch der Geist gehört. Er bewahrt aber eine gewisse Eigentümlichkeit.

Ähnlich wie schon zuvor werden Nachdenken und Lieben und Hassen zusammengerückt - aber nicht als Affektionen des Geistes sondern als Affektionen dessen, der ihn hat - also des Menschen.

„Affektion“  heißt eigentlich Passivität, Leiden, Leidenschaft.  Daß man das Lieben und das Hassen so zuordnet, dürfte uns einleuchten - aber das Nachdenken? 

Das Nachdenken als Leidenschaft - wäre das nicht das Ideal für den Wissenschaftler, den Philosophen? Das lateinische Wort dafür ist „studium“. Hat nicht doch jeder diese Erfahrung schon gemacht? Muß man nicht beim Aristoteles-Lesen dem nahekommen?

Aristoteles nimmt das an, weil beim Menschen der Geist in das Gesamte eingegangen ist und seine spezifischen Leistungen dann auch abnehmen und vergehen. 

Die Triade der Affektionen „Nachdenken und Lieben und Hassen“ (408b 27) hat im 20. Jahrhundert nach Christus eine Wiederbelebung und Transformation erfahren, indem Jacques Lacan die Triade der Leidenschaften "Liebe und Haß und Ignorieren“ aufgestellt hat. 

Der noetische Terminus „Nachdenken“ ist durch den ebenfalls noetischen aber  konträren Gegenbegriff  „Ignorieren“ ersetzt worden - eine pessimistische Wendung?

Kann man daraus schließen, daß Lacan dem Geist, der ja das Vermögen zum Nachdenken ist, eine schwächere oder etwa gar keine Position einräumt? 

Diese Frage wollen wir stellen, wenn wir einen kompetenten Lacanianer treffen. 

Vorläufig begnügen wir uns mit folgender Aussage Sigmund Freuds: „Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör geschafft hat. Am Ende, nach unzählig oft wiederholten Abweisungen, findet sie es doch. Dies ist einer der wenigen Punkte, in denen man für die Zukunft der Menschheit  optimistisch sein darf ….“

Aristoteles selber nimmt für die genannten  Fähigkeiten und Leidenschaften an, daß ihre Leistungen aufhören, wenn der Mensch stirbt. Vom Geist selber aber sagt er, er sei „göttlicher und leidensunfähig“ (408b 29)

Das Adjektiv „göttlich“ im Komparativ - damit taucht Aristoteles  ganz in die damalige und dortmalige Umgangssprache ein. Es handelt sich um eine Eigenschaft, die bei dem oder bei jener, da und dort, einmal mehr, einmal weniger vorkommt.  Wie da die seinerzeitigen Götter, die olympischen und die titanischen, genau einzuordnen sind, sei dahingestellt.  

Das „Unbewegt-Bewegende“, das Aristoteles im Buch XII aufweisen will und beschreibt und als „Gott“ bezeichnet,  ist wohl  auch mit dem „Geist“ zu identifizieren, von dem hier gesagt wird,   er sei „göttlicher“ als die geistigen Fähigkeiten der Menschen, selbst wenn sie hoch veranschlagt werden. Ob er gar als das „Göttlichste“ gelten kann, das im Universum zu finden ist? Selbst wenn das für die aristotelische Weltsicht zutreffen sollte, würde er wohl durch den Gott, den die jüdische Religion annimmt, übertroffen werden,  und erst recht durch denjenigen, den das Christentum dann mit noch  mehr  Qualitäten ausgestattet und überhöht hat.

Aristoteles wendet sich wieder dem Referieren älterer Ansichten zu und schon stößt er auf eine „unsinnigste“: die Seele sei eine sich selbst bewegende Zahl.  Da spricht er superlativisch allerdings von einer negativen noetischen  Qualität.

Schaut man sich diese Seelendefinition  an, sieht man sofort, daß sie mit dem, was wir heutzutage unter Seele verstehen, nichts zu tun hat, während die oben zitierten aristotelischen Bestimmungen sich sehr wohl damit berühren. Daß er eine davon, nämlich die geistige, dann noch in ein Extrem steigert und vom Menschen abtrennt - stimmt natürlich auch. 

Kann man sagen, daß der eben zitierte Freud  mit seiner Seelenauffassung in ein anderes Extrem gegangen ist, nämlich in die Richtung der Triebe, der Körpertriebe? 


Selbst wenn er die noetische Seite der Seele als schwach wahrgenommen hat, er hat ja um 1900 nach Christus gelebt, so hat er doch nicht angenommen, die noetischen Leistungen würden  ganz und gar verschwinden - da die Menschen sterben. Er hat mit seinem Werk dazu beigetragen, daß sie sogar in jenem 20. Jahrhundert weitergeführt worden sind - in dem dieses Werk von bestimmten Mächten der Vernichtung geweiht worden ist. Eine derart bewußt geplante und politisch organisierte Vernichtung von intellektuellen Leistungen dürfte es im griechischen Kulturraum der Antike vielleicht kaum gegeben haben. 

Aristoteles wirft die Frage der Vernichtung der noetischen Leistungen, zu denen auch die Wiedererinnerung und das Lieben gehört, explizit auf und verknüpft sie mit der natürlichen Sterblichkeit der Menschen. 

Die Bestimmungen der Seele als Zahl, als Einheit von Punkten im Körper, werden im Text dann noch weiter diskutiert.
 
Walter Seitter



 

Mittwoch, 13. November 2024

De Anima / Peri psyches lesen 10 - ( 407a, 20 – 408a, 30)

 

Mittwoch, den 30. Oktober 2024


Denn es ist nach Platon notwendig, das die Vernunft dieser Kreis und die Bewegung der Vernunft das Denken und die Bewegung des Kreises der Umlauf des Himmels ist .

Wenn aber das Denken der Umlauf ist, dann folgert Aristoteles, dass die Vernunft der Kreis sein müsste, der diesen Umlauf vollführt. Dieser Umlauf wird nach dem Vorbild der Himmelsgestirne wohl ewig sein, doch es gibt für die praktischen Gedanken (praktikon noeseon) Grenzen, den sie sind um eines anderen willens da, und die theoretischen Gedanken sind entweder Definition oder Beweis. Diese kommen für Aristoteles auch zu einem Ende in der Konklusion. Sie kehren nicht zu ihrem Anfang zurück, sondern schreiten durch Hinzunahme eines Mittel- und Außenterms in eine Richtung fort. Also ist das Denken eher dem Stillstand und dem Anhalten der Bewegung ähnlich.

Wenn die Bewegung nicht die Substanz des Denkens ist, dann wird das Denken gegen seine Natur bewegt. Damit wäre es für die Vernunft besser, nicht mit dem Körper verbunden zu sein. Auf jeden Fall scheint der konstruierte Widerspruch darin zu bestehen, das weder die Substanz der Seele Ursache für die Kreisbewegung des Himmels ist noch die des Körpers, da die Seele akzidentiell von diesem bewegt wird. Dabei fällt wieder einmal das Wort Gott, der die Seele im Kreis bewegt sein lässt, weil das Bewegtsein-sein besser ist. Aber das führt Aristoteles auf ein anderes Themengebiet, das er hier beiseite lassen will. Die Seele hat eben für ihn wenig mit Theologie und mit Gott zu tun.

Aristoteles sieht eine weitere Abwegigkeit (atopon) seiner Vorgänger darin, das sie den Körper nicht bestimmen, der die Seele aufnehmen soll. Es werden zwar verschiedene Relationen angegeben wie, dass etwas bewirkt oder erlitten wird oder dass etwas das andere in Bewegung setzt, aber dank der Unbestimmtheit scheint es möglich zu sein, das eine beliebige Seele in einen beliebigen Körper eintaucht, wie es in den pythagoreischen Mythen vorkommen soll. Aristoteles verwendet eine Formulierung, das jemand behaupten würde, die Baukunst tauche in Flöten ein, bei der heutigen Lehre von der Raumakustik nicht mehr so absurd wie damals.


Neben der Kreisbewegung stört Aristoteles die Rede von der Seele als Harmonie. Harmonie wird allgemein als eine Mischung und Zusammensetzung von Gegenteiligen bestimmt, und der Körper sei auch aus Gegenteiligen zusammengesetzt. Die Seele kann aber es nicht sein, denn die Harmonie kann nicht bewegen, eine Eigenschaft, die der Seele aber von den meisten im höchsten Maße zugeschrieben wird. Deswegen passt die Rede von der Harmonie für Aristoteles besser zur Gesundheit und den körperlichen Tugenden als zu den Leistungen und Affektionen der Seele.

Auch wenn Aristoteles neben der Zusammensetzung von ausgedehnten Dingen auch das Verhältnis der Mischungen als Harmonie anspricht, gilt das dennoch nicht für die Seele. Er widerlegt die Auffassung mit der Annahme, dass es dann viele verschiedene Mischungsverhältnisse geben müsste, und dass auch das Denken, die Wahrnehmung und das Streben eine Zusammensetzung und ein Verhältnis sein müssten. Das erscheint ihm so abwegig wie wie die Vorstellung der Seele als Mischung.

Wenn nun alle Teile des Körpers Mischungen sind und die Seele das Verhältnis dieser Mischungen, dann müsste es viele Seelen in den Körperteilen geben. Da wendet sich Aristoteles an Empedokles, um eine Erklärung einzufordern, ob die Seele ebenso ein Verhältnis der Elemente wie die Körperteile ist und wie sie in die Körperteile hineinkommt.

Nach den aufgezeigten Schwierigkeiten, stellt er sich noch die Frage, was geht zugrunde, wenn die Seele abgeschieden wird, da sie weder die Mischung der Elemente noch das Verhältnis dieser Mischungen ist.

Also kann sich die Seele weder im Kreis drehen noch Harmonie sein.


Karl Bruckschwaiger


Mittwoch, 30. Oktober 2024

De Anima / Peri psyches lesen 9 - (406b, 10 – 407a, 20)

 

De Anima / Peri psyches lesen - (406b, 10 – 407a, 20)


Mittwoch, den 16. Oktober 2024


Nach dem Verlesen des Protokolls möchte Walter Seitter an das Seelenähnliche in der Metaphysik erinnern. Die Seele spielt in der Metaphysik eigentlich keine selbständige Rolle, daher die Suche nach Eigenschaften, die die Seele ausmachen und die den erwähnten Lebewesen zukommen, insbesondere und in vollkommener Weise dem Unbewegten Bewegenden. Eine Seelentätigkeit ist das Denken, die dem ersten Bewegenden besonders zukommt, als Denken des Denkens (noesis noeseos) in Metaphysik, 1074b, 34, die Tätigkeit des Denkens geht auf das Höchste der Vernunft, das Denken selbst und ist daher als seine wirkliche Tätigkeit (energeia) zugleich auch Lust (hedoné) in Metaphysik, 1072b, 17. Danach folgen unmittelbar das Wachsein, Wahrnehmen und Denken als das Angenehmste (hediston – das Wohlschmeckendste), dann erst Hoffnungen und Erinnerungen. Einige Zeilen später fasst die wirkliche Tätigkeit des Denkens als Leben (zoon) zusammen und so kommt Gott das beste und ewige Leben zu und damit auch der Status als Lebewesen. in Metaphysik, 1072b, 29.

Von der Erinnerung an die Metaphysik zurück zur Seele selbst und ihren Bewegungen.

Aristoteles wendet sich im gelesenen Abschnitt dem Problem des Bewegt-werden oder der Selbstbewegung der Seele zu. Es herrscht ein hypothetischer Ton, denn jede Bewegung der Seele würde ein Heraustreten der Seele aus Ihrer Substanz bedeuten, hier steht ousia, mit all den Implikationen wie Seelenwanderung. Die andere Möglichkeit wäre, das die Seele den Bewegungen ihrer ousia folgt und sich nicht selbst bewegt.

Damit kommt Aristoteles, auf die zu sprechen, die eine Bewegung des Körpers durch die Seele annehmen, in einer sehr direkten und physikalischen Weise wie Demokrit. Aber zuerst wird der Komödiendichter Philippos erwähnt, der erzählt haben soll, dass Daidalos eine hölzerne Aphrodite durch das Eingießen von Quecksilber beweglich gemacht hätte. In derselben Weise würden die unteilbaren Kugeln bei Demokrit, den Körper bewegen und ihn in Bewegung setzen. Aristoteles fragt sich in einem Nachsatz, ob dieses Bewegungsprinzip auch Stillstand verursachen kann, und das dies schwer anzugeben sei, wie das möglich sei.

In völliger Naivität bezüglich der Atombewegungen könnte man sich vorstellen, dass sich eventuell genug Bewegungen gegenseitig aufheben und dadurch Stillstand erzeugen.

Aber Aristoteles favorisiert ohnehin andere Bewegungsursachen, nämlich das die Seele die Körper durch Entschluss (proaireseos) und Gedanke (noeseos) bewegt.


Auf dieselbe Weise wird im Timaios eine naturphilosophische (physiologei) Erklärung gegeben, dass die Seele den Körper bewegt. Nur ist bei Platon die Seele stark mit dem Kosmos verflochten und folgt den Umläufen des Himmels. Des weiteren wird die Seele als aus den Elementen zusammengesetzt vorgestellt und gemäß den harmonischen Zahlen aufgeteilt und bewegt sich in zwei verbundenen Kreisläufen, wovon der zweite Kreis noch in sieben Kreise unterteilt ist, die den sieben Planeten entspricht.

Nun widerspricht Aristoteles der Vorstellung, das die Seele etwas Ausgedehntes ist und der damit verbundenen Vorstellung von der gleichen Beschaffenheit der Bewegungen des Kosmos. Denn die Bewegung der sogenannten Vernunft, es ist ja weder die wahrnehmende noch die begehrende Seele, kann kein Kreislauf sein. Für Aristoteles ist die Vernunft einheitlich und kontinuierlich, wie die einzelnen Gedanken. Diese stehen in einer Abfolge wie die Zahl und nicht wie das Ausgedehnte. Die Vernunft hat auch keine Teile und ist nicht auf dieselbe Weise kontinuierlich wie das Ausgedehnte.

Wie soll etwas Ausgedehntes mit mit einem Teil seiner Selbst sich selber denken. Aristoteles spielt noch die Punkte als Teilbares durch, wobei eine andere Aporie entsteht, das man mit unendlich vielen Punkt niemals einen Kreis durchschreiten könne, und dadurch etwas auch unendlich viele Male denken müsste. Es soll möglich sein etwas nur einmal zu denken und nur einmal den Kreis zu berühren, ohne sofort in eine Kreisbewegung zu geraten, wobei man dann unendlich viele Male dasselbe denken müsste.

Aristoteles verschärft das Argument, indem er fragt wie etwas Unteilbares wie die Vernunft etwas Teilbares wie den Himmelskreis berühren kann, und wie etwas Unteilbares mit einem Teilbaren zu denken ist. Den es ist nach Platon notwendig, das die Vernunft dieser Kreis und die Bewegung der Vernunft das Denken und die Bewegung des Kreis der Umlauf des Himmels.


Karl Bruckschwaiger





Mittwoch, 16. Oktober 2024

De Anima lesen/ΠΕΡΙ ΨΥΧΗΣ - 405b 31 - 406b 10

 9.Mai.2024

405b 31 - 406b 10

Zuerst die Frage, ob die Seele überhaupt oder gar wesenhaft mit Bewegung zu tun hat. Im heutigen Verständnis der beiden Begriffe ist der Zusammenhang nicht von vornherein gegeben - denn unter „Seele“ versteht man gewöhnlich die Innerlichkeit des Menschen, während man die „Bewegung“ eher für etwas Physikalisches hält. 

Wir haben schon im  1. Kapitel gesehen, daß bei Aristoteles der Begriff der Seele eine weitgespannte Bedeutung hat. Und jetzt sagt er, es gebe gegensätzliche Ansichten dazu: die Seele könnte als das Bewegende schlechthin aufgefaßt werden - oder aber sie könnte mit Bewegung gar nichts zu tun haben. 

Allerdings ist schon früher gesagt worden,  daß ein Bewegendes selber auch unbewegt sein könne - prominentes Beispiel dafür das sogenannte Unbewegte Bewegende in der Metaphysik. In Bewegung gerät etwas entweder durch ein anderes oder aus sich selbst heraus. Durch etwas anderes bewegt ist  etwas, wenn es sich in einem Bewegten befindet, wie etwa die Schiffer auf einem Schiff, dessen Bewegung eine andere als als die der Schiffer - wobei mir jetzt unklar ist, ob Aristoteles meint, die Schiffer werden einfach mit dem Schiff mitbewegt und insofern durch etwas anderes , oder ob er meint, die Schiffer, die auf dem Schiff arbeiten, vollziehen zusätzlich Bewegungen völlig anderer nämlich kleinteiliger Art.

Nun fragt Aristoteles in Bezug auf die Seele, ob die Bewegung der Seele aus ihr selbst heraus oder durch Teilnahme stattfindet.  

Dann eine  Unterscheidung von vier Arten   von Bewegung - wobei allerdings „Bewegung“ und „Veränderung“ durcheinander zu geraten drohen. Die natürlichen Bewegungen der Seele müßten im Raum stattfinden - doch im Griechischen steht topos und dieses Wort wird von den einen mit „Ort“,  von den anderen mit „Raum“ übersetzt.  Gemeint ist sicherlich nicht ein unendlicher Raum sondern eine Raumzone, von denen es viele geben muß, jeweils eine für einen Körper.   Wenn die Seele sich von Natur aus bewegt, dann hat sie einen Raum  (oder Ort?). Wenn die Seele sich irgendwohin bewegt, dann kommt sie dort zur Ruhe.  Sie kann auch durch Gewalt irgendwohin bewegt - und dort zur Ruhe gelangen. Aber wie diese Bewegungen und Stillstände aussehen, das kann man sich auch nicht mit viel Phantasie erklären. Da sie den Körper bewegt, ist es verständlich, daß sie die Bewegungen, die sie bewirkt, auch selber vollzieht.  Im Griechischen steht für „bewirkt“ und „vollzieht“, immer kinei  - das heißt bei Aristoteles kumuliert            sich die Seelenbewegung über sich selber gleichsam reflexiv. Und daraus ergibt sich, daß die Seele die Ortsveränderungen des Körpers mitmachend folglich sowohl hinein wie auch hinausgehen könne. Woraus sich ergeben könnte, "daß Lebewesen nach ihrem Tode wieder auferstehen müßten“. (406b 5)

Nach diesem doch etwas verblüffenden Satz eine weit gefaßte Analogie zwischen einer Bewegung aus sich heraus und einem Guten, das aus sich heraus gut ist. 
 
Walter Seitter





Montag, 16. September 2024

De Anima lesen 7 - (404b, 8 – 405b, 31)

Mittwoch, den 26. Juni 2024


Im hier behandelten Abschnitt des Kapitel 2 vom 1. Buch wird weiter auf Bestimmungen der Seele durch seine Vorgänger eingegangen. Aristoteles stellt fest das Anaxagoras die Seele mit der Vernunft (nous) gleichsetzt, aber zugleich als das Bewegende selbst ansieht, was in der Behauptung deutlich wird, dass die Vernunft das All in Bewegung setzt. Allgemein sagt Aristoteles, das diejenigen, die vor allen die Bewegung des Beseelten beachten auch annehmen, dass die Seele Ursache der Bewegung sei.

Diejenigen, die sich mehr auf das Erkennen und Wahrnehmen der seienden Dinge (onton) durch die Seele konzentrieren, würden demnach eine oder mehrere Prinzipien behaupten, die aus den Elementen genommen werden. Empedokles wird als Beispiel angeführt für die Behauptung, die Seele besteht aus allen Elementen (stoicheion), wovon jedes Einzelne auch Seele sei. Dazu bringt Aristoteles ein Originalzitat von Empedokles wo nicht nur Erde, Wasser, Feuer und Äther mit demselben Stoff erkannt werden, sondern auch Liebe und Streit, die keine körperliche Elemente sind, aber doch Prinzipien (archon), die Körper bewegen können.

Einen ähnlichen Isomorphismus zwischen Seele und Beseelten, wie es Corcilius formuliert, sieht Aristoteles auch im Timaios von Platon am Werk, wo „Gleiches mit Gleichen“ erkannt wird und die Dinge (Pragmata) aus den Prinzipien bestehen würden. Hier erwähnt Aristoteles eine Vorlesung von Platon „Über Philosophie“, die in den von mir eingesehenen Kommentaren nicht einmal erwähnt wird, worin sich die Zahlentheorie der Ideen bei Platon dargelegt sein soll. Das Lebewesen-Selbst besteht aus der Idee des Einen Selbst und der ersten Länge und Breite und Tiefe. Dann führt er eine zweite Version der Prinzipienlehre an, nämlich dass die Vernunft das Eine ist und Wissen die Zwei. Das erinnert sehr an die sogenannte ungeschriebene Lehre von Platon, wo die Vielfalt der Ideenlehre auf zwei Prinzipien zusammengefasst werden soll, die Eins und die unbestimmte Zwei. Darüber hat sich Aristoteles an drei Stellen in der Metaphysik und an einer Stelle in der Physik geäußert. Weder im Handbuch Platon, noch im Wikipedia-Artikel zur „ungeschriebenen Lehre Platons“ ist von einer Stelle in „De Anima“ die Rede. Ist diese Stelle so unwichtig, immerhin gibt zwei Schulen, die sich mit der Rekonstruktion der ungeschriebenen Lehre beschäftigen, die Tübinger und die Mailänder Schule. Wie auch immer, Aristoteles fährt fort, dass die Zahlen in dieser Sicht als Ideen und Prinzipien bezeichnet werden, aber sie bestehen aus Elementen, die teilweise durch die Vernunft, teils durch Wissen (episteme), aber auch durch Meinung und Wahrnehmung beurteilt werden.

Wenn die Ideen die Zahlen der Dinge sind und die Seele sowohl beweglich wie auch des Wahrnehmens fähig ist, haben einige aus der Schule Platons daraus die Seele als sich selbst bewegende Zahl zusammengeflochten, wie sich Aristoteles ausdrückt.

Ohne weitere Besprechung der Zahlen wendet sich Aristoteles einer Einteilung nach Art und Anzahl der Prinzipien zu, die die Seele ausmachen, wobei er zuerst einen Unterschied zwischen körperlichen und unkörperlichen Prinzipien feststellt, und auch von Leuten spricht, die diese Prinzipien mischten. Nun stellt Aristoteles fest dass seine Vorgänger in der Menge der Prinzipien uneins sind. Die Prinzipien, die zum Bewegen befähigen angenommen werden, werden auch zu den Prinzipien der Seele.

So scheint für Demokrit das Feuer als Prinzip zu gelten, weil es das unkörperlichste und feinteiligste Element ist, das sowohl bewegt wird, wie auch andere Dinge bewegen kann. Seele und Vernunft seien wie das Feuer aus unteilbaren und kugelförmigen Körper aufgebaut, die wegen ihrer Gestalt am leichtesten beweglich seien.

Anaxagoras scheint Seele und Vernunft als verschieden anzunehmen, beide sind von derselben Natur und ersetzt die Vernunft am meisten als Prinzip an, wobei er Erkennen und Bewegen diesem Prinzip zuordnet, denn Aristoteles zitiert den Satz: Die Vernunft hat das All in Bewegung gesetzt.

Auch Thales hat die Seele als etwas zum Bewegen Fähiges aufgefasst, denn er soll gesagt haben der Magnetstein hätte Seele, weil er das Eisen bewegt. Hier gibt es einen zweifelnden Anklang bei Aristoteles, den er fügt die Zwischenbemerkung ein, soweit dies überliefert ist.

Diogenes nimmt die Luft als Prinzip an, weil sie durch die Feinteiligkeit bewegen könne und weil die übrigen Dinge aus ihr bestehen würden und dadurch erkannt werden könnten. Heraklit erkennt das Prinzip der Seele im aufsteigenden Dunst, aus dem die anderen Dinge zusammengesetzt sind. Dieses Prinzip ist am am unkörperlichsten und ständig im Fluss, und Bewegtes werde durch Bewegtes erkannt.

Damit kommt Aristoteles zu Alkmaion und dessen Vorstellung der Seele als unsterblich, weil die Seele den Unsterblichen gleicht und auch immer in Bewegung sei. Das mag als ein Sprung erscheinen von der Luft als Prinzip zur Unsterblichkeit, aber die diese Eigenschaft wird aus einer Ähnlichkeit mit den Göttern abgeleitet. Denn das Göttliche ist ständig in Bewegung, sonne, Mond und Sterne und der ganze Himmel.


Der nächste Schritt ist überraschend wertend, wenn er plötzlich von den plumperen Denkern wie Hippon spricht, die das das Wasser als Prinzip annehmen. Aristoteles meint das sie aus der Beobachtung, das der Samen bei allen feucht sei, und damit spricht er sich gegen das Blut als Seele aus, ein Ansicht die Kritias vertreten habe. Der Hintergrund scheint die Wahrnehmungsfähigkeit der Seele zu sein, die der Natur des Blutes am meisten zukommt. Mich enttäuscht diese Abwertung des Wassers als Prinzip in zweifacher Weise, erstens weil es die am meisten biologische Erklärung wäre und das Wasser Ausgangspunkt alles Lebens ist, und zweitens weil es ein Verrat am Beruf seines Vaters zu sein scheint, der Arzt war und für den Wasser, Samen und Blut wesentlichen Stoffe seiner Heilkunst sein mussten.

Die Aussage, das Luft und Feuer feinstofflicher seien, kann kein Argument gegen das Wasser sein und die Dinge in Bewegung zu setzen, gilt für das Wasser mindestens im selben Ausmaß wie für die anderen Elemente, auch wenn heute die meisten Autos von Feuer betrieben werden.

Aristoteles kommt zuletzt zum Element der Erde, für die sich kein Vertreter gefunden hätte, außer die, die Seele aus allen Elementen bestehen lassen.

Die Seele besteht bei allen aus drei Merkmalen: Bewegung, Wahrnehmung und das Unkörperliche, die auf die Prinzipien zurückgeführt werden. Wird die Seele durch das Erkennen definiert, wird sie aus den Elementen bestehend gedacht, da die Seele alles erkennt, und Gleiches nur von Gleichem erkannt werden kann.

Einzig Anaxagoras setzt die Vernunft als Seele an, die nichts mit den anderen Dinge gemeinsam habe, aber Aristoteles kennt die Art des Erkennens und den Grund dieser Beschaffenheit nicht.

Zum Schluss kommt Aristoteles noch die zu sprechen, die Gegensätze zu den Prinzipien zählen und daher die Seele aus Gegenteilen bestehen lassen, wie das Warme und das Kalte, oder nur eines davon. Gerade diese sollen sich an die Etymologie (onomasin) halten und das Warme vom Lebendig-sein herleiten, die anderen halten die Seele für das Kalte wegen des Einatmens und der damit verbundenen Abkühlung. Hier wird der der Ausdruck für Lebendig-sein (zên) von Ausdruck für kochen (zein) und der Ausdruck für Seele (psychê) vom Adjektiv „kalt“ (psychron) hergeleitet.

Diese Onomastik, das Studium der Namen, ist zwar nicht einer historischen Etymologie getragen, mehr von einer einer assoziativen Sehnsucht, ein dahinter stehendes Wort, ein wahres Wort (étymos logos) zu finden, das durch seine Verbindung einer lautlichen Ähnlichkeit etwas Prinzipielles aufleuchten läßt.

Seele übrigens ist dem See zugehörig, also dem Wasser, wo die Seele herkommen und nach dem Tod zurückkehren. Im Wasser werden die Seelen aufbewahrt, aber davon wusste Aristoteles wohl nichts.


Donnerstag, 20. Juni 2024

De Anima Lesen - Zusatzprotokoll (404 a 26 - 404b 6)

den 29. Mai 2024

Zusatzprotokoll (404 a  26 - 404b  6)


Die genannten Autoren sind Homer, Demokrit, Anaxagoras.

Sie gehen wie die vorhin erwähnten mehr oder weniger davon aus, die Seele und ihre Leistungen in der Nähe des Körperlichen anzusiedeln, aber sie richten ihre  Aufmerksamkeit auf spezifisch menschliche Tätigkeiten - wenngleich nicht ohne Mehrdeutigkeiten.

Am interessantesten wohl die Anaxagoras  zugeschriebene Aussage, der Geist (der vielleicht mit der Seele identisch ist), sei die „Ursache des schön und richtig   (Agierens)“ (404b 2).

Schön und richtig hier adverbial - als Eigenschaften von menschlichem Tun, das damit der Beurteilung ausgesetzt wird. 

Und Aristoteles schreibt sich selber so eine Beurteilungskompetenz zu, indem er seinen historischen Überblick mit der Bemerkung einleitet, er wolle die „richtig gesagten (Dinge)“ von den „nicht richtigen“ unterscheiden. (403b 23).

Dabei handelt es sich um Aussagen, die sich zu den von ihm selber gemachten Aussagen kollegial verhalten: Aussagen ähnlichen Typs über gleiche oder selbe Gegenstände. 

Die Gegenstände heißen Seele - mitsamt angrenzenden Gegenständen wie Körper, Geist. 

Die Aussagen sind solche mit Wahrheitsanspruch - überwiegend im theoretischen Sinn, eventuell im medizinischen Sinn.

Wenn die Seele Ursache von richtigem Verhalten ist, wird wohl sie auch Ursache  von weniger richtigem Verhalten sein. Dann aber erweist sie sich als äußerst mächtige, aber auch gefährliche  Ursache - deren genauere Kenntnis aus pragmatischen Gründen sehr erwünscht wäre, wenn sie möglich sein sollte. 

Diese Selbstbezüglichkeit der Seelenkunde wird von Aristoteles damit angedeutet, daß er sie auf seine Kollegen, seine prominenten, bezieht - und damit kann er auch sich selber nicht aus der Problematik ausschließen. 

Wenn andere Berühmte in diese oder jene Fall getappt sind, warum sollte dann er davon ausgenommen  bleiben?

Und wenn wir selber uns „richtig“ verhalten wollen, dann müssen wir jede Gelegenheit dazu ausnützen.

Zum Beispiel Protokolle schreiben  - gegen das Vergessen. 

Diskutieren - gegen die Gleichgültigkeit. 

Und vielleicht die Entscheidung, die jetzige Lektüre mit dem lateinischen Buchtitel zu benennen, revidieren. Auf den Gedanken hat mich meine Erinnerung an den katastrophalen Kreuzzug des Jahres 1204 gebracht.
 
Walter Seitter

Sonntag, 9. Juni 2024

De Anima lesen 6 - (404a, 10 – 404a, 25)

 

Mittwoch, den 29. Mai 2024


In den Textteilen vor diesem Abschnitt hat Aristoteles mit der Darstellung der Positionen seiner Vorgänger zur Beschaffenheit und Funktion der Seele begonnen. Zuerst werden Demokrit und Leukipp behandelt und deren Annahme, dass die Seele den Lebewesen ihre Bewegung verschaffe, daher wird auch die Atmung zu einem Kriterium des Lebendig-Seins.

Das Atmen selbst ist ein Vorgang, wobei die Körper durch die Umgebung zusammengedrückt und dabei Formen (schemata) herausgepresst würden, die den Lebewesen ihre Bewegung verschaffen. Das Atmen sorgt aber dafür, dass gleichartige Formen oder Atome wieder in den Körper hineinkommen und die weitere Abstoßung der Formen verhindern und so das Verdichtende der Umgebung aufhalten. Die Lebewesen sind eben lebendig, solange sie fähig sind, diesen Austausch zu bewerkstelligen.

Es stellt sich die Frage, ob Aristoteles es richtig darstellt, denn er unterstellt den Pythagoreern eine ähnliche Position, wobei er einigen davon der Ansicht sein läßt, das sie die Sonnenstäubchen selbst für die Seele halten, andere betrachten die Seele als Beweger dieser Sonnenstäubchen. In dem einen Fall würde einen Seelenaustausch mit der Umgebung passieren und eine Einheit der Seele im einzelnen Körper wäre schwer zu denken. Im anderen Fall müsste die Seele die Sonnenstäubchen oder Atome auch außerhalb der Körper bewegen, da sie auch bei völliger Windstille in Bewegung zu sein scheinen.

Aristoteles fasst noch einmal die Gruppe derer zusammen, die die Seele für das sich selbst Bewegende halten, weil die Bewegung das der Seele im höchsten Grad Eigentümliche sei. Alle diese nehmen an, das alles andere durch die Seele bewegt werde, diese aber von sich selbst bewegt werde. Dabei ist die Seele selbst kein Unbewegt-Bewegendes, sondern ein selbst bewegtes-Bewegendes, denn ein Unbewegt-Bewegendes kann man nicht sehen.

Hier müsste die Seele auch außerhalb des Körpers Bewegungen verursachen und wäre damit keine ausschließliche Eigenschaft beseelter Körper. Eine solche Weltseele wird hier nicht vorgestellt.


Corcilius schreibt, das Aristoteles seinen Vorgängern vorhält, die Eigenschaften beseelter Körper zu den Eigenschaften der Seele selbst zu machen und das als Grundfehler der meisten Seelenvorstellungen bisher zu identifizieren sei. Hier würden das zu Erklärende und das Erklärende selbst nicht genug auseinandergehalten, Explanandum und Explanans. Man erkennt beseelte Körper an der Bewegung und zugleich ist das der Grund für die Bewegung die Seele selbst.

Diese Argumentation kommt erst später in der Darstellung.


Karl Bruckschwaiger







Sonntag, 26. Mai 2024

De Anima Lesen - Zwischenprotokoll

26. Mai 2024

 

Protokoll vom 22. Mai 2024

 

Die ersten bisher gelesenen Seiten von De anima erweisen sich als sehr komplex und dicht. Einerseits fassen sie  manches zusammen, was wir schon früher gelesen haben. Sozusagen rein zufällig aber auch das, was ich in den vergangenen Monaten an verschiedenen Orten (VINOE, Café Korb) vorgetragen habe,  nämlich die sehr weit auseinander spreizende aristotelische Wissenschaftsklassifikation. Und Aristoteles greift dabei – wie es scheint – zu ziemlich neuen Formulierungen.

Am 22. Mai habe ich mit Ivo Gurschler  eine selektive Rekapitulation vorgenommen und dabei folgende Punkte ausgeführt.

Im Abschnitt 1 des Ersten Buches führt Aristoteles gewissermaßen wissenschaftspragmatisch in die Erforschung der Seele beziehungsweise ihrer Affektionen im Zusammenwirken mit dem Körper ein, indem er deren Untersuchung auf mehrere Spezialisten aufteilt.

 

 Zuerst werden genannt der Naturforscher und der Dialektiker (403a 29) – wobei der erste sich für Körperveränderungen  wie das Sieden des Blutes und des Warmen rund ums Herz, der andere aber für Streben nach Rache für erlittene Kränkung interessiert. Tatsächlich zwei sehr unterschiedliche Phänomene – die aber auch für einen heutigen Begriff von „Psychologie" noch relevant sein könnten. Wenn der erste eher mit „Physiologie“ assoziiert wird – und der zweite: womit? Mit seelischer Aufregung ja. Aber woher kommt die und worauf bezieht sie sich? Auf „soziale“ Akte, Verhalten, Aktionswünsche.

 

Dieses Psychische im engeren Sinn scheint also gar nicht „rein“ psychisch im Innenleben zu beruhen; es bezieht sich auf die Außenwelt und zwar ein bestimmte Facette der Außenwelt, die man auch „Mitwelt“ nennen kann, wobei dieses „Mit“ hier leider die Form von „Gegen“, also Konflikt annimmt.

 

Ich sage dazu „leider“ und damit wird schon eine Problemrichtung angedeutet.

 

Ich würde sagen, dieses winzige Beispiel für das Auseinanderdriften der „Psychologie“ zeigt schon die Reichhaltigkeit des aristotelischen Textes. Sie zeigt sich aber nur dann, wenn man an den Text wie einen Fremden herangeht – und ihn nicht als selbstverständlich brav akzeptiert.

 

Denn die andere Seite der Psychologie, die physiologische, die ihrer Einordnung in die aristotelische „Physik“ (als erste Theoretische Wissenschaft) entspricht, die bezieht sich ebenfalls und wesensmäßig auf die Außenwelt, die Außenwelt der Körper überhaupt.

 

 

Die beiden hier „personalisiert“ genannten Wissenschaften werden dann sehr knapp auch rein begrifflich charakterisiert: die eine liefert den Stoff, die andere die Form und den Begriff.  

 

Die Physik den Stoff, die Dialektik Form und Begriff.

 

Können wir diese Charakterisierung der Dialektik ins bisher  Bekannte einordnen?

So ohne weiteres wohl nicht. Wenn die Dialektik über die Physik hinausgeht  - wohin geht sie dann?  Zu einer anderen Theoretischen Wissenschaft – und zu welcher?

 

Oder zu irgendeiner ganz anderen Wissenschaft?  Welche gibt es noch?

 

Die Angabe „Form und Begriff“ – hilft die weiter?

 

Anstatt die Frage direkt, gradlinig oder irgendwie „höher“ weiter zu erörtern, führt Aristoteles auf einen Seitenweg, er führt zu einem Nebenbeispiel, das den Vorteil bietet, etwas noch Bekannteres als den irgendwie aufgeregten Nebenmenschen (bis zum Jahre 1938 sprach man in Österreich, in den gebildeten Kreisen (siehe Sigmund Freud, Erich Voegelin) nicht vom Mitmenschen sondern vom Nebenmenschen), zu irgendeinem Haus, und er ist so freundlich dieses jetzt unter einen ganz bestimmten Begriff zu stellen, der bei Aristoteles keineswegs zu den prominenten Begriffen gehört, etwa den sogenannen metaphysischen. Nämlich unter den Begriff des Dinges (der dann eher bei Heidegger und Seitter) Karriere macht.  

 

 

Und da teilt Aristoteles den Begriff des Hauses drei verschiedenen Spezialisten zu.  Der eine interessiert sich für die Schutzfunktion, der andere  für Baumaterialien, ein dritter für deren zweckmäßige Bearbeitung.

 

Und Aristoteles stellt die Frage:

 

Wer von ihnen ist  nun der Physiker?

 

Diese Wer-Frage zeigt uns die Stoßrichtung an, die hier eingeschlagen wird, und der aufmerksame Leser zeichnet sich dadurch aus, daß er auf diese Frageform aufmerksam wird, anstatt sie einfach als selbstverständlich abzunicken.

 

Es könnte ja sein, daß so eine Wer-Frage hier oder anderswo vom Leser damit beantwortet wird, daß der sich sagt – ach so vielleicht ich?

 

(Oder es könnte sein, daß zum Beispiel der berühmte erste Satz der Metaphysik so ein Fangsatz ist, der beim Leser, natürlich auch bei der Leserin, wenn sie eine interessierte ist, die Frage auslöst: Stimmt das überhaupt, trifft das auf mich zu?  (Wenn kein Satz der Metaphysik so eine oder eine ähnliche Reaktion auslöst, dann ist alles vergeblich!))

 

Hier, in der „Psychologie“, scheint Aristoteles seine Redeweise in diese Richtung zu lenken.

 

Ist der Physiker derjenige, der nur vom Begriff redet, oder derjenige, der nur vom Stoff redet, oder derjenige, der von beidem ausgeht?

Wie sind die beiden ersten zuzuordnen? Wer ist der Fachmann für die Bauzwecke? Und wer der für die Baustoffe? Oder gibt es einen dritten, der sich für die unabtrennbaren  Zustände der Stoffe interessiert? Was sind das für Zustände?

 

Die Antwort, die jetzt kommt, scheint nicht gerade weiterzuführen: denn Aristoteles schreibt nun dem  Physiker die  Zuständigkeit für alle Funktionen und Zustände eines so bestimmten Körpers und eines solchen Stoffes zu. 

Das mag ja den Physiker freuen, daß er jetzt diese Allzuständigkeit bekommt.

 

Aber es ist gar keine Allzuständigkeit, denn Aristoteles sagt, daß es auch andere Körperfunktionen und -zustände gibt, nämlich solche, die jetzt noch nicht bestimmt sind.

 

Und für die nennt er zwei andere Spezialisten, die gerade nicht für die Betrachtung bestimmter Zustände zuständig sind – sondern für was?

 

Sieht man, welche beiden er meint – er meint den Handwerker und den Arzt, dann sieht man hoffentlich, wodurch sich die beiden vom Physiker unterscheiden, sie sind nicht Betrachter, sondern Bearbeiter und Behandler.  Sie verändern vorliegende Körper – in einer gewünschten Richtung. Hier kommt das Wünschen zum Zug und man braucht nicht bei Lacan anfragen, ob man da vom Wünschen sprechen darf.

 

Der Handwerker bearbeitet Steine im einzelnen und setzt sie zu einem größeren Ganzen zusammen, das erwünscht ist. Und der Arzt schaut sich einen Menschenkörper an, an dem etwas zu verbessern ist – denn der Menschenkörper war schon bei den Griechen etwas Verletzbares und manchmal Reparierbares.

 

Neben den physikalischen Wissenschaften gibt es die poietischen Wissenschaften, die die poietischen oder technischen Künste wissenschaftlich unterstützen sollen, und diese Unterscheidungen sind wesentlicher als alles metaphysische Gerede.

 

Auch dieses war Aristoteles bekannt – doch nennt er es „dialektisches“  Gerede  (403a 1). Er war in seiner Terminologie nicht immer konsequent.

 

Dazu gibt es dann noch die praktischen Wissenschaften, die wohl die handlungsmäßige Bearbeitung der oben genannten sogenannten psychischen oder sozialen Probleme unterstützen sollen. 

 

Mit der  Dialektik  im seriösen Sinn des Wortes waren  vielleicht beide nicht-theoretischen Wissenschaften gemeint.

 

Wen aber meint Aristoteles mit dem hier und nur hier genannten Ersten Philosophen (304b 17)?

 

Die Singularität der Nennung könnte auf Selbstnennung verweisen.

 

Ist der Erste Philosoph derselbe wie der Dialektiker – nur daß er sich auch über die Unterscheidung von „abgetrennt“ und „nicht-abgetrennt“  definiert?

Die Erste Philosophie als Disziplin oder etwa als persönliche Qualifikation ist uns ja in der Lektüre der Metaphysik begegnet – ist sie uns wirklich begegnet? 

Wenn wir diese Lektüre wirklich betrieben haben, wenn sie uns wirklich umgetrieben haben würde – müßten wir dann nicht zu Ersten Philosophen geworden sein? Oder braucht man dazu länger?

Jedenfalls brauchen wir noch ein paar ältere und neuere Protokolle und Kommentare.

Walter Seitter

 

De Anima lesen 5 - 403b, 20 – 404a, 10

 

Mittwoch, den 15. Mai 2024


Nach dem Lesen des Protokolls beschäftigt sich Walter Seitter mit der, wie er es nennt, Personalisierung im Text von De Anima, der Dialektiker und der Physiker würden die Widerfahrnisse der Seele anders beurteilen oder definieren. So wäre der Zorn für den einen der Wunsch nach Vergeltung, für den anderen das Sieden des Blutes. Das ist eine Unterscheidung nach Form oder Zweck und Materie. Das nächste Beispiel des Hauses bringt die Frage nach dem Zweck und den Materialien mit der Hinzufügung der Frage nach der Form in den Materialien zu einem bestimmten Zweck willen. Aber wer befasst sich mit dem Zusammengesetzten, der Physiker beschäftigt sich mit den nicht abgetrennten, das meint selbständigen Eigenschaften der Körper und mit den anderen Eigenschaften hat der Techniker zu tun, bei Aristoteles werden der Architekt und der Arzt genannt.

Walter Seitter legt hier Wert auf die Unterscheidung zwischen Kunst und Lehre, als dem Baukünstler und dem Baukunstlehrer oder dem Heilkundigen und dem Heilkundelehrer. Beide sind  Vertreter der poietischen Wissenschaften. Die theoretischen Wissenschaften beschäftigen sich als Mathematik mit den Eigenschaften von Körpern, die aus Abstraktion gewonnen (aphairéseos) wurden und als Erste Philosophie mit Eigenschaften, die abgetrennt sind. Wie diese Abgetrenntheit, dieses Selbständig-sein zu verstehen ist, wurde mir noch nicht verständlich, ist hier der Zorn vom Zornigen abgetrennt oder ein Zorniger von der den anderen Zornigen, oder ist Zornig-sein ohne einen bestimmten Körper oder Zweck denkbar?

In der an diesem Tag gelesenen Stelle handelt es sich um den Anfang des 2.Kapitels des 1.Buches, wo sich Aristoteles den Meinungen (doxas) seiner Vorgänger in der Untersuchung der Seele zuwendet. Einerseits wird die die Beschäftigung mit den Vorgängern damit gerechtfertigt, dass bei den Schwierigkeiten der Untersuchung, deren Fehler vermieden werden könnten, andererseits gebe es auch etwas zu übernehmen. Nun scheint dem Beseelten von Natur aus zweierlei zuzukommen, die Bewegung und das Wahrnehmen. Daher seien zwei Positionen dazu auszumachen, wobei die eine die Seele als das primär Bewegende annimmt wie es Demokrit tut. Er nennt unter den vielen Formen und Atomen die kugelförmigen Feuer und Seele – und hier kommt ein für uns bildhaft poetisches Bild (wobei man sich fragt was es beweisen will) wie die Sonnenstäubchen in der Luft, die durch die im Fenster einfallende Sonnenstrahlen sichtbar werden. Die Gesamtmasse dieser Stäubchen seien die Elemente der Natur, die nach Leukipp kugelförmig sein müssen, damit sie alles durchdringen und damit bewegen könnten. Diese Sonnenstäubchen bilden also das Bewegende und die Seele, daher wird die Atmung zu einem Kriterium des Lebendig-Seins.


Corcilius meint, dass Aristoteles an diesen Punkt des Textes Demokrit und Leukipp vorwirft, dass sie die Unterscheidungsmerkmale zwischen beseelten und unbeseelten Gegenständen zu den grundlegenden Eigenschaften der Seele gemacht hätten und darin die Gesamtleistung und die verschiedenen Tätigkeitsbereiche der Seele verfehlen würden. Selbst bei der Selbstbewegung der Seele würde man in Widersprüche geraten.

Die weitere Lektüre wird es uns verraten.


Karl Bruckschwaiger




Sonntag, 5. Mai 2024

De Anima lesen 1 - 402a 1- 6 - Nachtrag


Sonntag, 5. Mai 2024



Nach der  Poetik (2007-2010)  und der Metaphysik  (2011-2024)  lesen wir nun, auf Vorschlag von Sophia Panteliadou und Karl Bruckschwaiger,  Peri psyches -  also gewissermaßen die aristotelische Psychologie, die allerdings nach Auffassung aller Kommentatoren, da die Körper ihr Gegenstandsfeld bilden, der Physik zuzurechnen ist, welche die erste der sogenannten theoretischen Wissenschaften ist - aber an anderer Stelle als Zweite Philosophie bezeichnet wird. Diese Zugehörigkeiten kommen auch in unserem Text gleich zur Sprache - und ebenso werden sie differenziert. 

Das erste Kapitel führt in die Seelenkunde ein, indem es hauptsächlich wissenschaftsanalytisch die Tätigkeiten bespricht, die mit ihr verbunden  sind - wobei der Begriff „Wissenschaft“  zunächst gar nicht genannt wird. Daraus zu schließen, daß Aristoteles diese Untersuchung von vornherein unter den Titel „Philosophie“ stellt , wäre allerdings voreilig. 

Der Text beginnt mit zwei verschiedenen  und entschiedenen „Wertungen“ - was erstaunen mag, insofern er eigentlich keine praktische Wissenschaft darlegen soll, in der es darum geht, wie „gut“ gelebt, gehandelt oder sonstwie getan werden kann.

Den Anfang machen  die „schönen und wertvollen“ Dinge.  „Schön“ ist ohnehin die Qualität, die in der griechischen Kultur an erster Stelle steht, und das Wort für „wertvoll“ stammt direkt aus der politischen Sphäre,  es stammt von der „Ehre“ ab, die in aristokratischen Gesellschaften das Um und Auf ist. 

Welche Sache wird nun unter die schönen und wertvollen Dinge gezählt - ausgerechnet diejenige, um die es in so einem psycho- oder sonstwie -logischen Buch geht: das Wissen, das im Griechischen hauptsächlich vom Sehen herkommt.

Beim Wissen wird gleich unterschieden zwischen dem und jenem und je nach dem, um welches Wissen es sich handelt, gilt es als mehr oder weniger schön und wertvoll. 

Aber das hängt wiederum von zwei Gesichtspunkten ab:  Qualität des Wissens als Leistung:  mehr oder weniger „genau“.  Die Genauigkeit ist bei Aristoteles - wie im heutigen Zeitalter der sogenannten exakten Wissenschaften - die performative Wissenschaftsqualität. 

Fußnote 1

Siehe Che-Han Huang: Die aristotelische Exaktheit: Von der Medizin zur Prinzipienlehre (Baden-Baden 2024)



Der zweite Gesichtspunkt zur Unterscheidung und Rangzuweisung für die Wissen liegt darin, welche Gegenstände „besser und erstaunlicher“ sind.  Also zwei andere Wertbegriffe,  die für das griechische Realitätsverständis ebenso entscheidend sind. 

In beiden Hinsichten gehört die Erforschung der Seele zu den „ersten“ Dingen. „Erst“ im Sinne von „vorrangig“  — wobei die Steigerungsstufen der Eigenschaftswörter  Positiv, Komparativ, Superlativ hier ihre Plätze haben. 

Warum die  Seele als Gegenstand so vorrangig ist, das wird dann ausgeführt. Warum  jedoch ihre Erforschung - dafür steht historia  -  „akribischer“  sein soll als andere Forschungen,  das sehe ich im Moment nicht.

Schön  und gut,  ehrenhaft und erstaunlich.  Ordnet man die hier eingesetzten Wertbegriffe etwas um, betrachtet man sie genauer, so  kann man nicht umhin, sich daran zu erinnern, sofern man nicht schon alles vergessen hat, daß am Anfang der Metaphysik und an ihrem Ende  ähnliche Wörter für Wertqualitäten und Wertschätzungen stehen -  dort aber müssen sie eine riesige Spannung über viele und diverse Themen aufrechterhalten.

Hier scheint es nur um „die Seele“ zu gehen. Aber gleich im ersten Satz des folgenden Leseabschnitts (2)  wird angedeutet, daß mit der „Erkenntnis“  der Seele „große Dinge“ zur „gesamten Wahrheit“ beigetragen werden.
 
Postskriptum zum Leseabschnitt 4.

Zum Wortfeld noein und nous ist tatsächlich zu überlegen, ob es eher etwas Produktives - denken, erwägen, meinen -  oder etwas Rezeptives -  vernehmen, verstehen, einsehen -  bedeutet.   Meine etymologische Hypothese, das das Wort über  gignosko, gnosis an nose, schnüffeln, riechen  annähert, ist zwar witzig, aber witzig im  Sinn von Witz, witness, video und oida- ich habe  gesehen, also eidisis.

Schon mit der Behauptung, die  Seele sei „Prinzip der Lebewesen“  rückt Aristoteles sie in die Physik ein,  denn die aristotelische Physik als Lehre von den Körpern hat ihr spezifisches Objekt nicht in einer Lehre von der trägen Materie, die unbedingt irgendwelche „Ursachen“ braucht, um zu Bewegungen angestoßen zu werden.  Sondern die Körper (nicht die geometrischen) sind Wesen, die je nach  ihrer Gattungszugehörigkeit sich bewegen, ändern, mischen. 

Aufgrund ihrer Affektionen müssen auch qualifizierte Seelen, wie die menschlichen,  als mit dem Körper verbunden gedacht werden. „Zorn ist eine Art von Bewegung eines ganz bestimmten Körpers oder Teiles oder Vermögens unter einer bestimmten Einwirkung zu einem bestimmten Zweck.“  Daher hat der Physiker über die Seele Begrenzungen, Bestimmungen, Definitionen zu machen, indem er das „Sieden de Blutes und das Warme ums Herz herum“ aufklärt.


Soweit also eine naturwissenschaftliche oder materialistische Seelenkunde.  Aber Aristoteles will sich damit nicht begnügen. Vielmehr postuliert er, daß noch eine weitere, bisher kaum genannte, auch in meinem Vortrag vom 6. November 2023 gar nicht erwähnte Wissenschaft sich mit dem Zorn beschäftigt, von dem übrigens Aristoteles anderswo sagt,  daß er zur  Natur des Menschen gehört.   

Auch der „Dialektiker“ hat etwas zum Zorn zu sagen: „Der sieht im Zorn ein Streben nach Rache für erlittene Kränkung.“  Was ist damit gemeint - wenn nicht irgendetwas Politisches oder Mikropolitisches?

Oben kam „Dialektik“ als leeres Gerede vor - und  schon seit der Antike hat das Wort auch diese Bedeutung, die sich in  den Wortkämpfen des 19.  (bis 20.) Jahrhunderts neuerlich bewährt hat. 

Aber hier soll der Dialektiker  ein seriöser und ernsthafter Wissenschaftler sein,  der den „menschlichen“  Sinn des Zornes ernst nimmt und etwa gar etwas zur Entschärfung des Situation beitragen zu können meint? Ist er vielleicht  gar ein Pychotherapeut und insofern ein Seelenspezialist? 

Das Wort „Dialektik“ stammt aus der Generation von Zenon und Platon und bezeichnet ursprünglich eine Art von Wissenserweiterung, Wissenserwerb also Wissenschaft durch Beweisführung und Diskussion. 

In der „Dialektik“ ist der Wissenschaftler nicht mit sich und einem eventuellen stillschweigenden Gegenstand allein,  sondern konfrontiert mit einem ebenso aktiven, demonstrativen, eventuell offensiven oder gar aggressiven und unbedingt siegen wollenden Gegenspieler.  

Wiederum eine Übertragung aus der vorphilosophischen Welt der Aristokratie mit ihren Zweikämpfen und  Mengenkämpfen - aber jetzt in der Welt der Reden und der Wahrheit oder Wahrheiten. 

Sobald  dieses Wahrheitsspiel erfunden war und regelmäßig als Sport beliebt wurde und wiederholt wurde, geriet es selber als Kampfzone in den Verdacht,  ein Kampfmittel zu sein, das mit Wissenschaft nichts zu tun habe, sondern nur Rechthaberei sei. Sophistik und Eristik bezeichnen solche Deutungen - mit denen das Politische direkt in die Wissenschaft eingeführt wird und zwar oftmals als feindselige,  ja unerträgliche Größe. 



Doch Aristoteles meint mit seiner Einführung des „Dialektikers“  einen Wissenschaftler, der die Analyse des Zorns  wesentlich weiter bringt als der „Physiker“ mit seiner Blutdruckmessung. 

Welche sonstwie bekannten aristotelischen Wissenschaftsrichtungen würden sich an diesen Dialektiker  annähern lassen?  

Möglicherweise könnten die folgenden Ausführungen des Aristoteles Hinweise dafür liefern.  Obwohl sich die auf einen ganz anderen Gegenstand beziehen, der eigentlich nur als Vergleichsbeispiel, als Parallelgegenstand ,  eingeführt wird:  nämlich der Begriff des Hauses. 

Der wird von Aristoteles in drei Versionen aufgespalten - auch so eine Unterscheidung, die  bei Platon oder Aristoteles unter „Dialektik“ fällt - und  zwar im seriösen Sinn des Wortes. 


Erstens Schutz vor Verderben durch Wind, Regen, Sonnenglut;  zweitens Steine, Ziegeln, Holz; drittens deren zweckmäßige Formierung.   Welcher dieser drei  Haus-Begriffe ist Sache des Physikers, fragt Aristoteles. 

Der Physiker befasse sich mit allen Funktionen  und Affektionen eines bestimmten Körpers und eines bestimmten Stoffes. Mit allen anderen Aspekten befassen sich andere Fachleute - etwa die Techniker, zum Beispiel der Architekt oder der Arzt. 

Mit diesen knappen Angaben sprengt Aristoteles den Rahmen der Physik - aber nicht mit so einem undeutlichen eigentlich „dialektischen“ das heißt verwirrenden Hinweis auf den sogenannten „Dialektiker“.  Sondern mit der Benennung einer Gattung, die eigentlich außerhalb der Wissenschaft liegt, dafür aber lebensweltlich, das heißt pragmatisch vorgeordnet ist:  nämlich die Künstler oder Techniker, die mit Sachverstand die Umwelt so gestalten können, daß nützliche und schöne Dinge zustandekommen. 

Diese Leute haben ein Wissen auch, ohne Wissenschaftler zu sein.   Aber sie müssen ihr Wissen gelernt haben  - und da in ihrer Lernphase könnte bereits Wissenschaft im Spiel gewesen sein, denn durch die Lehrtätigkeit kann Wissenschaft entstehen, die dann wiederum für die Lehre eingesetzt wird.


Für die Techniker oder Künstler nennt Aristoteles zwei Beispiele: den Architekten und den Arzt, von denen der erste direkt mit dem Hausbau zu tun hat (denn der ist die Kunst), ,  der zweite vielleicht auch,  denn das  Verderben, das abgewendet wird, betrifft die Gesundheit. 

Für die Wissenschaften, die solche Kunstfertigkeiten befördern können,  hat Aristoteles eine eigene Wissenschaftsgattung oder -richtung entworfen - er nennt sie die poietischen oder hervorbringenden Wissenschaften, man könnte sie auch die technischen nennen.

Für die Ausbildung des Arztes braucht  es die Wissenschaft namens Medizin - zur Verdeutlichung empfehlen sich die beiden zu unterscheidenden Ausdrücke „Heilkunst“ und „Heilkunde“, die ich in meinem Vortrag vom 6. November 2023 eigens genannt habe und die auch Lacan deutlich zu unterscheiden pflegt, da er klare Unterscheidungen liebt. 

Wie nennt man die Wissenschaft zur Kunst des Architekten - Architektonik oder Architekturlehre?   Wie die Wissenschaft zur Kunst der Poesie?  Die heißt seit Aristoteles  Poetik

Fußnote 2

Im Rahmen meiner Philosophischen Physik habe ich mit nur ungefährer Anlehnung an Aristoteles eine „Physik des Hauses“  ausgeführt in Walter Seitter:  Physik der Medien. Materialien, Apparate, Präsentierungen (Weimar 2002): 145-163






So weit so klar - aber dann wird es ein bißchen unklarer, denn es werden die Begriffe „abgetrennt“ und „nicht abgetrennt“ eingeführt - der erste wird dem Mathematiker, der zweite dem Ersten Philosophen zugeordnet.  Gleichzeitig sollen die Affekte der Seele - wie Zorn und Furcht - vom natürlichen Stoff der Lebewesen  nicht zu trennen sein.  Deren wissenschaftliche Behandlung war dem sogenannten Dialektiker zugewiesen worden - insofern einem sozusagen geborenen Fachmann, weil sie aus Streit und Rache, also aus Politik bestehen.

Aber wie soll der Erste Philosoph für das Abgetrennte der Affektionen zuständig sein? Als Ontologe oder als Theologe? Als Ontologie eher nicht - denn die Ontologie interessiert sich für das Nicht-Abgetrennte wie auch für das Abgetrennte nur als Metawissenschaft.

Die Theologie interessiert sich - in Fortsetzung der  Physik - für abgetrennte Wesen, die nicht oder nicht nur Körper sind  -  also  Götter. 


Wo gibt es so etwas  wie Zorn und Furcht? Auf der Straße oder im Supermarkt sind sie direkt nicht zu finden.   Sondern bei und zwischen Menschen - in deren gelungener oder weniger gelungener Praxis. Die Wissenschaften davon sind die Ökonomie, die Ethik, die Politik, vielleicht die Rhetorik oder eben doch die Dialektik, sofern diese  in die konfliktuellen Verhältnisse die Wahrheit einschmuggeln kann. Vielleicht könnten Rhetorik oder Dialektik die Kontrahenten als Personen hervortreten lassen, als extra existierende. Denn „abgetrennt“  heißt „extra existierend“.  Und die handelnden Personen sind so etwas wie Götter - im Glücksfall.


 
 
Walter Seitter

Mittwoch, 1. Mai 2024

De Anima lesen (403a 3 – 403b 19)

24. April 2024 

 

Von der Frage nach der korrekten Deklination von nous stolpern wir über dessen aktiv-passive Zwitternatur zu möglichen Übersetzungen des dazugehörigen Verbs noein: von „denken“ bzw. „verstehen“ über „wahrnehmen“ und „erfassen“ zu „vernehmen“ – was einerseits einfach „hören“ bedeutet, andererseits an polizeiliche Einvernahme erinnert. Vermutlich weil dieser letztens seinen 300. Geburtstag gefeiert hätte, landen wir damit endlich bei Kant, dessen theoriegeschichtliche Bedeutung mitunter daran festgemacht werden kann, dass seit ihm als modern gilt, den (Untersuchungs)Gegenstand als etwas aufzufassen, das sich nach dem Erkennen richtet, anstatt der (antiken) Auffassung zu sein, das Erkennen richte sich nach dem Gegenstand. Letztere Vorstellung liegt auch wörtlich näher am herkömmlichen Theoriebegriff, der sich ja vom Zuschauen ableitet. Mit seiner selbst so genannten „kopernikanischen Wende“ hat Kant das Denken oder die Theorie dem polizeilichem Vernehmen angenähert: die Polizei (= Wissenschaftler, Subjekt) bestimmt, was sie wissen will, der Verdächtige (= Objekt), antwortet im Sinn der Frage bzw. „sagt“ was diese hören will (und idealerweise damit auch die Wahrheit). Um dem Vorwurf des Idealismus auszuweichen hat Kant in der 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft dann unterschieden zwischen empirischem und transzendentalem Idealismus und seine Wende auf letzteren beschränkt. 

 

Die beste Übersetzung für nous/noien bleibt aber, wenn man Buchheim folgen mag, „Verstehen/verstehen“. Nicht nur weil auch hier für den nominativen und prädikativen Gebrauch dasselbe Wort verwendet werden kann, sondern vor allem deshalb, weil das Verstehen sozusagen Wahrheits-inklusiv ist. Für ein Erkennen, Wahrnehmen, Erfassen oder auch Vernehmen, das in dieser Hinsicht unbestimmt ist und auch falsch sein kann, verwendet Aristoteles dagegen den Ausdruck diainoia (bzw. dianoeisthai).

 

Weiter im Text:

Aristoteles reflektiert die Frage nach dem Verhältnis des Seelischen zum Körperlichen. Besonderes Augenmerk liegt darauf, ob es etwas „eigentümlich“ Seelisches gäbe. Nur wenn dies der Fall sei, könne es auch abgetrennt vom Körperlichen existieren. Wer hier eine klare Ansage erwartet, wird enttäuscht. Wie ein Fluss, der definitiv weiß wo es lang gehen soll, aber seine Breite und Tiefe gemächlich ‚ausbadet‘, mäandert Aristoteles zwischen den hierbei möglichen Positionen und steckt diese gleichzeitig ab. 

 

Um seine Auffassung bzw. die wirklichen Verhältnisse besser verständlich zu machen, bedient sich Aristoteles einer geometrischen Analogie, die uns nicht richtig einleuchten will (ab 403a 10). Buchheim ergänzt in seinem Kommentar Metaph. B2, 997b 32ff.: 

 

„Zugleich ist auch das nicht wahr, dass die Geometrie (geôdaisia) sich auf wahrnehmbare und vergängliche Größen bezieht; denn dann ginge sie zugrunde, wenn diese vergehen. Vielmehr dürfte sie sich so wenig auf die wahrnehmbaren Größen beziehen, wie die Astronomie auf gerade diesen Himmel hier. Denn weder sind die wahrnehmbaren Linien solche, wie sie der Geometer begreift (keines von den wahrnehmbaren Dingen ist ja so gerade oder rund: der Kreis berührt den Richtstab nämlich nicht in einem Punkt, sondern wie Protagoras sagte, um die Geometer zu widerlegen), noch sind die Bewegungen und Spiralläufe des Himmels denen gleich, über die die Astronomen ihre Sätze fabrizieren.“  
 

Was Protagoras sagte, kann ich leider nicht rekonstruieren, aber vielleicht entspricht es doch meiner Vermutung, dass eine ‚echte‘ Linie (wie z. B. eine Messlatte) einen ‚echten‘ Gegenstand nicht nur an einem Punkt, sondern, wenn auch minimal, ‚flächiger‘ berührt? Aristoteles möchte damit jedenfalls deutlich machen, dass seelische Aspekte nicht wie mathematische Konstrukte als abstrahiert (abgezogen) vom Körperlichen denkbar sind, sondern nur als enhylo logoi: „in Materie befindliche Begriffe“. 

 

Als Beispiele für Leidenschaften, die „sämtlich im Verein mit einem Körper“ (Buchheim) existieren, zählt Aristoteles auf: Eifer, Milde, Furcht, Erbarmen, Zuversicht, Freude und das Lieben und das Hassen. Wir bemerken dazu, dass im Originaltext an der Stelle von „Liebe“ philia geschrieben steht. Nicht agape, wie im zweiten Satz der Metaphysik.[1]

 

Bei alledem fragt sich Aristoteles, wer für die Untersuchung des Seelischen zuständig sei und spielt durch, inwiefern das davon abhängt, was man darunter versteht bzw. was vom Seelischen man jeweils zu fassen versucht. Obgleich Seelisches nicht unabhängig von Körperlichem sein kann, so bleibt deren gesonderte Untersuchung „als abgetrennt [von Materie]“, dennoch die Aufgabe des „ersten Philosophen“ (protos philosophos – ein Ausdruck der sich, in dieser personalisierten Form ausschließlich hier, sonst nirgends bei Aristoteles finden lässt).[2]

 

Zu den vordringlichen Aufgaben dieses unmöglich scheinenden Jobs wird zählen, diese Konstellation widerspruchsfrei zu denken. Das Seelische ist Gegenstand vieler anderer Disziplinen; je nach Herangehensweise/Definition ändert sich seine Erscheinungsform, was Aristoteles an den Beispielen „Zorn“ und „Haus“ illustriert. Auffällig ist schließlich noch die Festellung, dass der Naturwissenschaftler „von überhaupt allem handelt.“ – Buchheim erklärt dies so, dass dieser „auch vom göttlichen nous handelt, sofern dieser nämlich nötig ist, um die Verstehensleistung körperlich existierender Lebewesen zu erklären.“ Zudem sind selbst die reinen Leistungen des Verstandes nur unter der Bedingung gewisser, körperlich bedingter Kognitionen möglich (vgl. III 4–8).

 

Ivo Gurschler   



[1] Vgl. dazu Hannah Arendt: Der Liebesbegriff bei Augustin (1929)

[2] Wir erinnern uns an die Definition der „ersten Philosophie“ in der Metaphysik: entweder „Theologie“ oder „Ontologie“, in Wahrheit wohl beides.